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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

708 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Elliott, J. K. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Collected Biblical Writings of T. C. Skeat.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2004. XXXIV, 299 S. m. Abb. gr.8° = Supplements to Novum Testamentum, 113. Geb. Euro 115,00. ISBN 90-04-13920-6.

Rezensent:

Barbara Aland

Dem Herausgeber und langjährigen Gesprächspartner Theodore C. Skeats, J. Keith Elliott, gebührt Dank, dass er sich der Mühe unterzogen hat, die wesentlichen, an verstreuten Orten erschienenen Aufsätze Skeats aus mehr als 60 Jahren, vornehmlich aber aus den letzten 20 Jahren seines langen Lebens, erneut sorgfältig zu edieren und damit für die Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Die so entstandene Aufsatzsammlung ist deshalb so wichtig, weil Skeat, der ehemalige Bibliothekar am Britischen Museum und Altmeister in der Kunst der antiken Buchherstellung, Kodikologie und Paläographie wie kaum ein anderer, Wege aufgewiesen hat, wie man diese Realien für die Geschichte des Neuen Testamentes und seines Textes nutzbar machen kann. Mag manches im Zuge der wachsenden Spezialisierung auch hinterfragt und weiterentwickelt worden sein, so bleibt diese wegweisende Funktion der Arbeiten Skeats auf jeden Fall bestehen.

Der Herausgeber hat eine hilfreiche Einführung verfasst, in die er auch Auszüge aus Briefen aufgenommen hat, die ihm Skeat ­ teilweise durchaus streitbar, aber immer begründet ­ schrieb. Am Ende des Bandes folgt als Appendix C eine ebenfalls von Elliott verfasste Zusammenfassung über Skeats Arbeit zu Datierung und Ursprung des Codex Vaticanus, auch hier auf mündliches Material des Autors gestützt. Der eigentliche Hauptteil des Buches mit Skeats Beiträgen ist unterteilt in (A) Ancient Book Production, (B) New Testament Manuscripts, (C) Textual Variants. Dabei umfassen die ersten beiden Teile die wesentlichen Arbeiten Skeats, die bleibenden Bestand haben.

Der Kodikologe Skeat ist dort am stärksten, wo er praktische Arbeit mit breiter Gelehrsamkeit in christlicher und paganer Literatur verbindet. So hat ihn sein langes Arbeitsleben lang der Fragenkomplex zu Rolle und Kodex in der Antike beschäftigt. Seine wichtigsten Beiträge dazu, die auch für den Neutestamentler und Historiker von Bedeutung sind, sind abgedruckt. Skeat beweist endgültig: Papyrus war ein preiswertes Material, mit dem man in der Produktion von Literatur, Briefen, Traktaten, auch in der Buchherstellung relativ verschwenderisch umgehen konnte, es war das normale Material für Bücher. Er weist darauf hin, dass die überwältigende Akzeptanz des Kodex durch die Christen (Vergleichszahlen mit paganer Literatur werden genannt) Hand in Hand mit der Einführung der Nomina sacra geht, die Skeat mit guten Gründen schon ins frühe 2. Jh. zurückführt. Er vermutet berechtigterweise organisatorisches Talent und bewusste Planung dahinter, die aufschlussreich für die früheste Kirchengeschichte sind (besonders A2 und A8). Skeat erwägt, ob die Einführung des Vier-Evangelien-Kodex nicht damit zusammenhängen könnte, dass sich die Mehrheitskirche von der Evangelienproduktion der Häretiker absetzen wollte, wie sie spätestens seit Irenäus bezeugt ist (A7) ­ eine anregende Vermutung, da die physische Einheit, die der Kodex den vier Evangelien gab, ihnen schon früh zu einer anderes ausgrenzenden Autorität und einem Prestige verhalf, mit dem kein anderes Apokryphon rivalisieren konnte. Der Vier-Evangelien-Codex wäre dann ein sichtbarer Ausdruck der »Option für Invarianz« durch die Kirche, um einen Begriff Jan Assmanns zu benutzen. Erfreulicherweise ist auch Skeats große Arbeit über den Gebrauch des Diktats in der antiken Buchproduktion abgedruckt (A1). Dem modernen Textkritiker gibt sie vor allem zweierlei zu bedenken: a) Nachlässig geschriebene Handschriften mit vielen Schreibfehlern können dennoch einen ausgezeichneten Text aufweisen, und b) Handschriften müssen mit viel Sorgfalt und Geduld als Individuen studiert werden. Beides gilt bis heute.

In diesem Sinne sind wichtige Beiträge die, die sich mit einzelnen neutestamentlichen Handschriften beschäftigen (Sektion B). Mehrere Artikel sind dem Codex Sinaiticus gewidmet, der Handschrift, die Skeats ganzes Forscherleben begleitete. Denn kurz nachdem er in das British Museum eintrat, erwarb dieses den Codex Sinaiticus, dessen Entzifferung fortan die Aufgabe Skeats zusammen mit H. J. M. Milne und D. Cockerell wurde. Sämtliche Beiträge Skeats (B1 a und b, B3, B8) sind lesenswert, insbesondere der große Aufsatz »The Codex Sinaiticus, the Codex Vaticanus and Constantine« (B7). Skeat versucht darin nachzuweisen, dass beide Handschriften zur Bestellung Konstantins gehört haben und entsprechend in Cäsarea unter Eusebs Leitung geschrieben worden sind. Die These Skeats ist nicht unwidersprochen geblieben, anregend ist sie allemal. Mag die Arbeit an diesem Kodex ständig weitergegangen sein und weitergehen, so bleiben Skeats Beiträge nicht zuletzt wegen ihrer Verknüpfung von paläographisch-kodikologischen Realien und Historie doch specimina eruditionis. Das gilt ebenso für seine Rekonstruktion der weiteren Geschichte der beiden großen Codices Vaticanus und Sinaiticus. Skeat hat außerdem nachgewiesen, dass die Papyri P4, P64 und P67 aus einer Handschrift stammen und in das späte 2. Jh. zu datieren sind. Damit gehören die Fragmente zum ältesten existierenden Vier-Evangelien-Kodex, der mit seiner monumentalen, schon auf die großen biblischen Majuskeln des 4. Jh.s hinweisenden Schrift zu einer genauen Untersuchung seines Textes einlädt.

Skeat war über die besprochenen Handschriften hinaus an der kodikologischen Analyse der Chester Beatty Papyri, insbesondere an P45 interessiert. Er zeigt, dass dieser Kodex nicht nur die vier Evangelien in westlicher Reihenfolge (Matth/Joh/ Luk/Mk), sondern auch die Apostelgeschichte enthielt, und berechnet genau den ­ nicht allzu hohen ­ Preis, den die auftraggebende Gemeinde dafür aufbringen musste. Neuere Kostentabellen aus Ägypten lassen freilich den Preis von 43­44 Drachmen doch nicht allzu niedrig erscheinen.

Einige interessante textkritische Erwägungen zu einzelnen Stellen schließen den Band ab. Sie sind besonders überzeugend, wenn sie auf Skeats breite kodikologische und sprachliche Bildung gegründet sind (besonders Mk 7,3 und 2Tim 4,13).

Man sieht: Skeats Arbeiten bieten reichlich Stoff zum historischen Nachdenken, sie erweitern unsere Kenntnis und unser Material über die Frühzeit des Christentums und seiner Umwelt und regen zur Weiterarbeit und zur Nutzung für die frühe Kirchengeschichte an. Vielleicht hätte man auf die beiden Appendizes, in denen Skeat die Einführung des Vier-Evangelien-Kodex und das Eintreffen der 50 Bibeln in Konstantinopel in nachempfundene dramatische Form setzte, verzichten sollen. Skeat selbst wollte sie nicht publizieren. Der Leser bedauert, dass, dem Titel des Bandes entsprechend, die altphilologischen Arbeiten Skeats nicht mit aufgenommen wurden. Die Bibliographie weist eine Reihe von Titeln dazu auf. Auch aus ihnen wäre zu lernen gewesen.