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Ausgabe:

April/1999

Spalte:

408–410

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Dahm, Albert

Titel/Untertitel:

Die Soteriologie des Nikolaus von Kues. Ihre Entwicklung von seinen frühen Predigten bis zum Jahr 1445.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1997. XXIII, 276 S. gr.8 = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, 48. Kart. DM 108,-. ISBN 3-402-03999-0.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

In seiner 1996 von der Kath.-Theol. Fakultät Trier angenommenen Habilitationsschrift widmet sich der Vf. einem bisher wenig beachteten Gebiet der Theologie des Nikolaus von Kues (=NvK). Vielfach wurde bisher angenommen, NvK blende den Ernst der Sünde in seinen Schriften weithin aus: "... was diese Sünde ist, und daß sie zum Kreuz führt, das finden wir bei Nikolaus nicht", zitiert der Vf. den Rez. (4). Dagegen will er nun - vor allem auf Grund seiner Predigten - bei NvK "die Entwicklung der cusanischen Soteriologie von den Anfängen der Verkündigung bis hin zu den Predigten der Karwoche 1445" darstellen. Der Vf. räumt dabei ein, daß der Cusaner dann bis zu seiner erneuten Predigttätigkeit (in Brixen) das Thema "ruhen läßt" (7).

Kap. I ist der "Darstellung des Erlösungswerks und die Frage nach einer Vollendung der ganzen Schöpfung durch Jesus Christus in den frühen Predigten" gewidmet (9-80), Kap. II der "Einordnung der Betrachtung des mysterium crucis in die universale Perspektive der kosmischen Größe Christi in De docta Ignorantia" (81-150) und Kap. III der "Ausfaltung und Weiterführung des soteriologischen Entwurfs von De docta Ignorantia in der cusanischen Predigt bis zur Mitte der vierziger Jahre" (151-268). Eine Schlußbetrachtung (269-271) faßt das Erarbeitete zusammen.

NvK geht bei der Frage nach dem Warum der Schöpfung von Gottes Gut-Sein aus. Gott schafft um seiner selbst willen, doch reflektiert NvK diesen Gedanken heilsgeschichtlich; jedes Geschöpf ist durch den Menschen auf Gott hingeordnet (14 f.). Hinsichtlich der Sünde betont er, daß sie nicht von Gott geschaffen sei, "das Nichts ist das, was ohne das Wort geworden ist" (19 f.), neuplatonischem Erbe folgend. NvK betont in seinen frühen Predigten, daß "die Inkarnation ... von vornherein auf die Sünde des Menschen bezogen" ist; sie ist "Antwort Gottes auf den Ungehorsam der Sünde" (37). In seinen Predigten zu diesem Thema ist NvK ganz der Tradition verpflichtet, zunächst Anselm, dann aber auch Augustin. In der Osterpredigt von 1432 formuliert NvK sehr schön: "Jesus suchen bedeutet, ihn als den Gekreuzigten (zu) suchen" (53, Sermo XII, h XVI, 230), eine Formulierung, die an Bernhard erinnert. Der Vf. stellt überzeugend dar, daß NvK sich nicht auf die anselmische Satisfaktionstheorie beschränkt, sondern sie mit augustinischem Gedankengut verbindet zu einer "am menschlichen Subjekt orientierte(n) soteriologische(n) Konzeption", denn es ist "nicht in erster Linie ein beschädigtes Rechtsverhältnis, sondern die verletzte Natur" des Menschen wiedergutzumachen (125 f., der Hinweis auf S. 58, Anm. 295, ist irreführend). Dazu klingt das Siegesmotiv an: Christus hat das Todesurteil auf sich genommen, "um unseren Tod sterbend, uns dem Tod abzugewinnen" (69 f., Sermones III und XII, h XVI, 45 und 233).

Zu De docta ignorantia (der Vf. schreibt ungewöhnlicherweise Ignorantia) wird zurecht erkannt, daß für NvK "Jesus Christus (ist) nicht nur gesandt (ist), um im Werk der Erlösung die Folgen der Sünde zu überwinden. In ihm erreicht darüber hinaus die ganze Schöpfung ihren Höhepunkt". Wer das cusanische Hauptwerk aufmerksam liest, wird jedoch feststellen, daß es genau umgekehrt ist, es geht NvK vor allem um das zuletzt Genannte, um die "kosmische Größe Christi, in der sich das Universum vollendet", denn Christus ist ja der maximus homo (81 f., 113). "Der Mensch ist auf Grund seiner verletzten Natur nicht imstande, sich aus der Umklammerung des Irdisch-Zeitlichen zu befreien, um das Geistige zu umfassen", darum verfiel er "dann in letzter Instanz dem geistigen Tod" (123). Hier wird deutlich, worum es NvK letztlich geht, nämlich um die visio bzw. den mors intellectualis. Damit ist aber die Sündhaftigkeit des Menschen stark verharmlost. Dies erkennt der Vf. leider nicht! Die Sünde stört wohl nach NvK das Verhältnis zu Gott (129), aber in Wirklichkeit zerstört sie es! Von einem wirklichen Ernstnehmen der Sünde, so wie wir es etwa von Luther kennen, kann bei NvK nicht gesprochen werden. So bleibt auch seine theologia crucis blaß, sie ist "höchste Offenbarung der Tugendfülle Christi", sie redet vom exemplum (134). Was bedeutet es, daß NvK in einer Brixener Predigt (Sermo CXXII) hervorhebt, Christus habe im Tod die Sterblichkeit überwunden? Bezieht er das nur auf Christus oder auch auf die erlösungsbedürftigen Menschen (vgl. 139 - der Vf. zitiert nicht nach der 1995 erfolgten Edition: h XVIII, 9)?

NvK gebraucht für das sündige Verhalten des Menschen gern den Begriff curvitas. Sie besteht für ihn darin, daß er das nicht erreichen kann, "was er intellektual als zu erstrebend schaut" (174). Damit wird wieder deutlich, daß Sünde für NvK letztlich darin besteht, daß des Menschen Intellekt - gewiß selbst verschuldet - unzureichend ist. So ist folgerichtig "fides est via ad veritatem videndam", (Sermo XXXII, h XVII, 55: vgl. 182) die visio intellectualis ist also das Ziel der Erlösung. Sie ist des Menschen "Christusförmigkeit", bewirkt durch die Taufe. Die Einheit mit Christus ist letztlich eine intellektuale. Und umgekehrt besteht die "tiefste Not des Menschen (besteht) darin, daß er unwissend und blind geworden ist für sein ewiges Ziel" (244).

In späteren Predigten redet NvK wohl davon, daß Jesus wie ein (sogar: gotteslästerlicher) Sünder verurteilt worden ist (226), aber daß Gott ihn für uns zur Sünde gemacht hat (2Kor 5,21) und daß er den Sündern gleich war, das sagt er nicht! Er sieht durch Christi Auferstehung unseren Trost darin, daß "unsere Natur zur Unsterblichkeit gekommen ist" (Sermo XXXVI, Nr. 4, h XVII, S. 71, vgl. 249).

Sicher predigte NvK soteriologisch. Das kann der Vf. glaubhaft machen. Aber den tiefen Ernst der Sünde hat NvK doch nicht wirklich erkannt. Irgendwie erscheint sie nur als ein Mangel, die der menschlichen Natur durch den Fall anhaftet. Und wenn er Christi Kreuzestod als "Höhepunkt der Selbstoffenbarung der inkarnierten göttlichen Weisheit" auslegt (270), so verdeutlicht dies, daß hier zwar biblische und traditionelle Denkansätze durchaus aufgenommen werden, aber die totale Verfallenheit des Menschen durch seine Sünde und das darum totale Angewiesensein auf Christus wird bei NvK auch in seinen Predigten nicht recht erkennbar. Darum muß das Ergebnis dieser fleißigen Arbeit hinter dem zurückbleiben, was der Vf. eigentlich darstellen wollte.