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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

699–702

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fiedrowicz, Michael

Titel/Untertitel:

Christen und Heiden. Quellentexte zu ihrer Auseinandersetzung in der Antike.

Verlag:

Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004. 799 S. gr.8°. Geb. Euro 128,00. ISBN 3-534-15790-7.

Rezensent:

Ulrike Gantz

Durch das Studium der Theologie, Philosophie und Klassischen Philologie ist Michael Fiedrowicz, Professor für Kirchengeschichte des Altertums, Patrologie und christliche Archäologie in Trier, auf vielfache Weise für die Dokumentation der geistigen Auseinandersetzung des frühen Christentums mit der heidnischen Antike geeignet. In der vorliegenden Quellensammlung, die als Ergänzung zu seiner Monographie Apologie im frühen Christentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten (Paderborn 22001) gedacht ist, veranschaulicht F. die Konfrontation zwischen Christen und Heiden vom 2. bis 5. Jh. anhand repräsentativer Texte, von denen zahlreiche hier erstmals ins Deutsche übersetzt worden sind.

Das Buch gliedert sich in zwei große Teile. In einem Historischen Überblick stellt F. zunächst die verschiedenen Epochen und Protagonisten der Auseinandersetzung vor. Angefangen bei den ersten Ansätzen einer Konfrontation mit den Heiden in der Heiligen Schrift, dem Judentum und in den Märtyrerakten dokumentiert F. die Entstehung und Entfaltung einer formenreichen apologetischen Literatur im 2. bis 3. Jh. Beispiele aus Justin, Tatian, Clemens von Alexandrien, Tertullian, Minucius Felix, Cyprian und Origenes illustrieren die Vielfalt dieser Phase. Die Apologie in der diokletianisch-konstantinischen Epoche wird vor allem durch Laktanz, Eusebius von Cäsarea, Athanasius und Firmicus Maternus vertreten. Ein eigenes Kapitel ist der Auseinandersetzung mit dem Neoplatonismus und Synkretismus gewidmet. Dabei steht die Gestalt des Porphyrius (234­302/5) im Mittelpunkt, dessen Kritik am Christentum selbst Jahrzehnte nach seinem Tod eine Vielzahl christlicher Gegenschriften hervorgerufen hat. Ein weiterer großer Abschnitt beschäftigt sich mit Kaiser Julian Apostata (361­363), der mit seinem paganen Restaurationsversuch den Osten des Römischen Reiches zutiefst erschütterte. Ferner ist ein eigenes Kapitel der Auseinandersetzung mit der stadtrömischen Senatsaristokratie im Westen des Reiches gewidmet, deren Vertreter trotz zunehmender Favorisierung des Christentums durch die kaiserliche Religionspolitik bewusst an altrömischen Traditionen festhielten, wie sich besonders in der Kontroverse um den Victoria-Altar zeigt. Der Überblick endet mit dem erneuten Aufflammen antichristlicher Polemik nach dem Fall Roms (410). Diese Epoche wird durch Augustinus repräsentiert, der sich in seinem Gesamtwerk immer wieder mit apologetischen Themen auseinander setzte.

Durch die Vielfalt der Quellen, zu denen neben den Werken der Apologeten auch Inschriften, Gesetzestexte und Dichtung gehören, vermittelt der Historische Teil dem Leser ein lebendiges Bild der facettenreichen Auseinandersetzung zwischen Christen und Heiden. Beide Seiten kommen ausführlich über längere Passagen zu Wort; oft gehören mehrere Quellen direkt zusammen und ermöglichen das Verfolgen größerer Gedankenkomplexe. Kurze Einleitungen von F. stellen den Zusammenhang zu vorangegangenen oder späteren Abschnitten her, so dass sich für den Leser auch ohne Lektüre jeder einzelnen Quelle ein klares Bild ergibt. Der historische Überblick zeigt eindrucksvoll, wie sich im Laufe der Jahrhunderte die Situation der Christen von einer verfolgten Minderheit hin zur Staatsreligion verändert hat. Während dieses Prozesses sahen sich die Christen stets von neuem mit Kritik und Polemik seitens ihrer heidnischen Umwelt konfrontiert. Die ausgewählten Texte legen Zeugnis ab für die umfassende Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Kultur, Religion und Philosophie. Wie F. unterstreicht, handelte es sich dabei um einen bewussten Vorgang: Anders als alle anderen vergleichbaren Religionen der Zeit »entschied sich das frühe Christentum bewusst für einen Disput mit dem nichtgläubigen Denken« (11; ebenso 15). Dabei lässt sich einerseits »das bewusste Anknüpfen an religiös-philosophische Vorstellungen der nichtchristlichen Umwelt« beobachten (197; vgl. auch 198.434). Andererseits werden klar »die tiefgreifenden Differenzen« zwischen christlicher und antiker Weisheit herausgestellt (139), so dass pagane Gedanken nicht nur »rezipiert«, sondern auch vor dem Hintergrund der christlichen Lehre »korrigiert und radikalisiert« wurden (434; vgl. auch 511). Zuweilen spricht F. von einer »Allianz« des Christentums mit der Philosophie, die die Christen als »Verbündete« (15.198) betrachteten, um die eigenen Glaubensinhalte mit Argumenten der Vernunft zu begründen. Letztere Formulierungen sind gefährlich, da sie die Verbindung gleichwertiger Partner suggerieren können, was jedoch, wie F. insgesamt klar herausstellt, gerade nicht der Fall ist. Die Vorgehensweise der Apologeten wird stets geleitet von der Überzeugung, über eine einzigartige, von Gott offenbarte Weisheit zu verfügen. Das Christentum wird als »die von den Heiden immer schon gesuchte, teilweise bereits gefundene, nie aber restlos und unverfälscht erkannte Wahrheit« (15) präsentiert.

Diese klare Position der Apologeten durchzieht auch den Systematischen Teil, in dem F. die wichtigsten Argumentationsstrategien und Themen in der Konfrontation zwischen Heiden und Christen vorstellt. In einem allgemeinen Kapitel zu Formen und Methoden der Auseinandersetzung werden zunächst die Grundentscheidung der Apologeten für einen Dialog mit dem antiken Denken und die sich daraus ergebenden Fragen, wie die nach dem Ursprung der Wahrheitselemente in der heidnischen Weisheit, behandelt. Ferner wird die Auswahl angemessener Vorgehensweisen erörtert, z. B. die Darstellung christlicher Inhalte mittels paganer Kategorien, die Betonung von Gemeinsamkeiten sowie das Bemühen, die aus heidnischer Sicht absurden Glaubensinhalte argumentativ zu begründen. Im Folgenden werden die Argumente zu mehreren größeren Themenkreisen zusammengefasst.

Die erste Gruppe von Argumenten ist der christlichen Lebenspraxis entnommen: Im Gegensatz zur Immoralität der Heiden und ihrer Götter, wie sie sich in Mythos, Theater und Zirkus zeigte, diente die Integrität des christlichen Lebenswandels als Beweis für die Wahrheit der christlichen Lehre. Dem heidnischen Atheismusvorwurf sowie dem Verdacht der Illoyalität, da die Christen die Teilnahme an den traditionellen Zeremonien und vor allem am Kaiserkult ablehnten, wurde durch Darstellung der christlichen Religiosität sowie den Hinweis auf die positiven Auswirkungen des Christentums für das Wohl des Staates begegnet. Indem der Beginn des augusteischen Friedensreiches mit dem Auftreten des Christentums verknüpft wurde, kam es schließlich sogar zur Entwicklung einer christlichen Reichstheologie und Romideologie. Dieser Aspekt leitet über zum Themenbereich Geschichte: Auf den Vorwurf des Traditionsbruchs reagierten die Christen einerseits mit dem damals weithin akzeptierten »Altersbeweis«, der die Abhängigkeit der griechischen Denker von den Schriften der Bibel konstatierte. Andererseits verteidigten die Apologeten die Neuheit des Christentums sowie das späte Auftreten Christi in der Geschichte damit, dass die Menschheit erst allmählich auf das Evangelium vorbereitet werden musste, wobei die heidnische Philosophie und Geschichte als praeparatio evangelica dienten. Die rasche, weltweite Ausbreitung des Christentums, verbunden mit der moralischen Besserung der Menschen, galt als Beweis für göttliches Wirken und Wahrheit der neuen Lehre. Ferner wurde die antike Vorstellung von einer Urphilosophie aufgegriffen, die im Christentum wiederhergestellt worden sein. Damit ist der Übergang zum zentralen und umfangreichsten Abschnitt gegeben: Vernunftgemäßer Glaube als apologetisches Argument. Hier geht es vor allem um das Verhältnis des Christentums zur antiken Philosophie.

Infolge ihrer Grundentscheidung für die vernunftgemäße Darstellung der christlichen Lehre verstanden die Apologeten ihre Kritik an sämtlichen Phänomenen der paganen Religion als konsequente Weiterführung der philosophischen Religionskritik. Dem heidnischen Götterkult, dessen Entstehen sie auf das Wirken der Dämonen zurückführten, stellten sie das Christentum als wahre Religion des wahren Gottes gegenüber. Diesen Anspruch versuchten sie vor allem in Auseinandersetzung mit dem philosophischen Gottesbegriff zu legitimieren, wobei sie an monotheistische Vorstellungen im platonischen, peripatetischen und stoischen Weltbild anknüpfen konnten, um diese dann vor dem Hintergrund der christlichen Lehre zu korrigieren. Vor allem der Trinitätsglaube und der christliche Inkarnationsgedanke, der mit dem Wesen Gottes unvereinbar schien, waren dem philosophischen Denken fremd. Ebenso galt es, heidnische Zweifel an der Göttlichkeit Jesu sowie Einwände gegen die christliche Eschatologie, besonders die Auferstehungslehre, zu entkräften. Gegenüber der heidnischen Philosophie, die lediglich Wahrheitsfragmente enthalte, verstand sich das Christentum selbstbewusst als die »wahre Philosophie«, deren Weisheit im Unterschied zum elitären Charakter der antiken Philosophie allen Menschen zugänglich ist. Der universale Wahrheitsanspruch des Christentums, der sich auffällig vom religiösen Pluralismus und erkenntnistheoretisch begründeten Relativismus im Heidentum unterschied und mit dem Offenbarungscharakter der christlichen Lehre und dem Hinweis auf die Einzigartigkeit Christi im Unterschied zu anderen Messiasanwärtern begründet wurde, wird im letzten Abschnitt des Systematischen Teils noch einmal gesondert behandelt. Dieser Abschnitt, der etliche Aspekte der vorangegangenen Argumentation ein weiteres Mal aufgreift und auffallend viele Querverweise enthält, hätte vielleicht besser an den Anfang des Systematischen Teils gepasst und dort dem Kapitel über Formen und Methoden der Auseinandersetzung noch größeres Gewicht verliehen.

Auch sonst ist der zweite Teil durch das für den Laien zum Teil verwirrende unmittelbare Nebeneinander von heidnischen und christlichen Quellen weniger übersichtlich als der erste Teil. Angesichts der Fülle des Materials wäre das drucktechnische Hervorheben der einleitenden Texte von F. sicherlich hilfreich gewesen. Insgesamt ist die Quellensammlung, die durch ein detailliertes Inhaltsverzeichnis, Stellen- und Sachregister, Kommentare und Bibliographien ergänzt wird, jedoch ein äußerst nützliches Kompendium für Theologen, Klassische Philologen, Philosophen, Historiker und Religionswissenschaftler. Auf ein formales Versehen sei hingewiesen: Der vollständige Titel von Christian Gnilka, Chrêsis. Die Methode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur. Bd. II: Kultur und Conversion (Schwabe: Basel 1993), das im Kommentar mehrfach herangezogen wird, fehlt im allgemeinen Literaturverzeichnis. Dies ist zu bedauern, da F., von wenigen Ausnahmen abgesehen, gerade in seinen sorgfältigen Beobachtungen zum methodischen Vorgehen der Apologeten Gnilkas Position sehr nahe steht.