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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

693–695

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Heuermann, Hartmut

Titel/Untertitel:

Religion und Ideologie

Die Verführung des Glaubens durch Macht

Verlag:

Tübingen: Francke 2005. 343 S. gr.8°. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-7720-8106-1.

Rezensent:

Martin Hailer

Das Buch entfaltet die These, dass die drei monotheistischen Religionen stets Verbindungen mit Machtinteressen eingingen, dass diese Verbindungen stets verderblich waren und einzig eine mystische Religiosität dieser Verführung und ihren fatalen Konsequenzen widerstehen kann. Es handelt sich um eine Kombination aus religionswissenschaftlichen, ideologiekritischen, historischen und theologischen Argumenten. Der Vf. entfaltet zunächst seine leitende Begrifflichkeit von Religion, Ideologie und Macht (Einleitung, 9­25). In den Kapiteln 1­12 (26­313) werden historische und gegenwärtige Beispiele zur Verquickung von Religion und Ideologie/Macht angeführt, und im abschließenden Kapitel 13 (314­330) wird die These vorgestellt, dass nur eine mystische Religiosität der Gefahr einer solchen Verquickung nicht erliegt.

Zunächst zur leitenden Begrifflichkeit: Der Vf. rezipiert Theorien, nach denen Religiosität essentiell zum Menschsein gehört, und beschreibt sie als auf einer Klugheitserwägung beruhende Tauschbeziehung: Menschen erfüllen der Gottheit gegenüber Pflichten, um ihr Wohlwollen zu erwirken (12, dass diese Idee etwas mit Schleiermachers Abhängigkeitskonzeption zu tun haben soll, ebd., ist allerdings falsch). Dass sich eine fatale Neigung der Religion zur Ideologie und Macht ergibt, liegt laut dem Vf. daran, dass etablierte Religionen Lehrsysteme ausbilden und diese Wahrheits- und Absolutheitsansprüche erheben. Einzig Religiosität ohne solche Ansprüche wäre nicht ideologiegefährdet (25). Der Begriff der Ideologie seinerseits wird vor allem mit Marx als falsches Bewusstein charakterisiert, das unter dem Deckmantel einer Idee die eigene Vorteilsbeschaffung kaschiert (19). Ideologie wird in Macht ausagiert und firmiert als deren (pseudo)-rationale Rechtfertigung: »Ideologie ist beanspruchte Macht hinter der Larve behaupteter Wahrheit.« (23, i. O. herv.)

Anhand dieser Vorbegriffe entfaltet der Vf. seine Beispiele. Es geht u. a. um Texte aus Bibel und Koran, die von Gottes Macht und Wüten sprechen, um die Kreuzzüge und die Hexenverfolgung, den Antisemitismus, die Ausbreitung des Islam und moderne Formen des Fundamentalismus in Islam, Christen- und Judentum. Der universalmenschliche Machttrieb hat, so soll dieses Kaleidoskop von Beispielen zeigen, die Religionen affiziert und korrumpiert (314). Dies geschieht laut dem Vf. mit jeder Religion, die, wie gesagt, Wahrheits- und Absolutheitsansprüche erhebt. Der Vf. nennt aber auch andere Gründe: Jede Religion, die vom Göttlichen menschlich spricht, zieht es in den Verfügungsbereich des Menschen und macht es dadurch für Ideologisierung anfällig (317). Auch seien dualistische Religionen wie das Christentum geneigt, sich zu den Guten und die Gegner zu den vernichtenswerten Bösen zu rechnen (283). Einzig in der mystischen Entgrenzungserfahrung sei das nicht der Fall, weil sie den Menschen ins Unbestimmbare des göttlichen Geheimnisses erhebe, statt Gott in die menschliche Verfügung zu zwingen. Wer so erfahre und denke, verspüre den Drang zu Mission, Macht und Ideologie nicht mehr. Wann dies soll erreicht werden können, ist für den Vf. aber nicht auszumachen (317­330).

Das Problem des Buches ist die enorme Pauschalität seiner Grundannahmen. Das gilt schon für die einleitende Religionstheorie, die sich im Baukasten religionskritischer Stücke bedient, aber darüber keine Auskunft gibt und sie auch nicht mit zeitgenössischen Erkenntnissen aus Religionsphilosophie und Religionswissenschaft gegenliest. Auch die theoretische Grundlegung zum Ideologiebegriff ist dünn: Bei allem Recht einer Marxschen Verdachtshermeneutik fehlt der Blick z. B. auf die Kritische Theorie, J. Habermas¹ einschlägige Veröffentlichungen und eine Focault-Rezeption, die über die bloße Nennung (23) hinaus geht. Diese Pauschalität schlägt sich in den materialen Kapiteln in mitunter schwer erträglicher Weise nieder: Historische Pauschalurteile ersetzen die einleitungswissenschaftlichen Erkenntnisse der biblischen Wissenschaften (34 f. u. ö.), so dass die schwierige und facettenreiche Frage nach der Gewaltthematik in biblischen Texten mit einem Federstrich zur Machtphantasie zusammengekürzt wird ­ spätestens seit W. Dietrich/C. Link, Die dunklen Seiten Gottes, ist man darüber aber weit hinaus. Es werden ferner religionswissenschaftliche und theologische Termini totalisierend verwandt, was massiven Aburteilungen gleichkommt. So liest man etwa über »die Kriegsethik des Islam« (70), hört, dass es »archaische[n] Rachegelüste« (40) sind, die hinter der Bildlichkeit der Johannes-Apokalypse stehen, erfährt, dass Islam wie Christentum apokalyptische Religionen seien (62), und lernt, dass der Vatikan Teilhard de Chardin am liebsten als Ketzer verbrannt hätte (145). Dass der Vf. auch mit moralistischen Pauschalurteilen über Personen nicht spart, die seines Erachtens für die Ideologisierung der Religion zuständig sind, nimmt dann nicht mehr wunder (vgl. 71 zu Ayatollah Khomenei und 159 zu Martin Luther). Die Nähe dieser Art der Darstellung und Auseinandersetzung zu K. Deschner, G. Konzelmann und anderen wird durch Zitate reichlich belegt.

Es ist bedauerlich, wenn ein Buch zur in der Tat spannenden und schwierigen Frage nach dem Verhältnis von Religion und Macht sich durch solche Pauschalisierungen selbst diskreditiert. Den Vorwurf, seinerseits ideologisch zu argumentieren, muss es sich gefallen lassen und seiner Schlussthese tut es damit keinen Gefallen. Soll bei seinem Thema weiter gearbeitet werden, ist als Erstes der Abstand von der im anzuzeigenden Band dargebotenen moralistischen Position erforderlich, ferner die Entflechtung von religionswissenschaftlichen und theologischen Diskurssegmenten und nicht zuletzt eine ausführliche Grundlegung dessen, was unter Ideologie verstanden werden soll.