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Ausgabe:

Juni/2006

Spalte:

689–692

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Antes, Peter, Geertz, Armin W., u. Randi R. Warne

Titel/Untertitel:

New Approaches to the Study of Religion

Verlag:

2 Vols. Berlin-New York: de Gruyter 2004. Vol. 1: Regional, Critical, and Historical Approaches. VI, 559 S. gr.8° = Religion and Reason, 42. Lw. Euro 118,00. ISBN 3-11-017698-X. Vol. 2 Textual, Comparative, Sociological, and Cognitive Approaches. VI, 497 S. gr.8° = Religion and Reason, 43. Lw. Euro 98,00. ISBN 3-11-018175-4.

Rezensent:

Christoph Uehlinger

Die moderne Religionswissenschaft ist von Einzelnen kaum mehr zu überblicken. Ein hoher Grad an Trans- und Interdisziplinarität verleiht ihr überdurchschnittliches Innovationspotential, teilweise auf Kosten genuin religionswissenschaftlicher Kernkompetenzen. Veröffentlichungen wie die hier anzuzeigende sind deshalb besonders hilfreich und notwendig. Die Namen der zwei Herausgeber und der Herausgeberin bürgen für die Qualität des Unternehmens, das einleitend in eine Reihe mit zwei wichtigen Vorgängerpublikationen gestellt wird: Nach den von Jaques Waardenburg präsentierten Classical Approaches to the Study of Religion (1973), in denen Religionsvergleich und Religionsphänomenologie im Zentrum standen, und den von Frank Whaling besorgten Contemporary Approaches to the Study of Religion, bei denen Geistes- und Sozialwissenschaften je einen eigenen Band (1983, 1985) beanspruchten, sollen hier nun New Approaches vorgestellt und Entwicklungen vor allem der letzten zwei Jahrzehnte diskutiert werden.

Vol. 1: 1. P. Antes, A. W. Geertz, R. R. Warne, Introduction (1­9); Section 1: A Survey of New Approaches in Various Parts of the World: 2. R. R. Warne, New Approaches to the Study of Religion in North America (13­41); 3. P. Antes, A Survey of New Approaches to the Study of Religion in Europe (43­61); 4. B. ¸Senay, The Study of Religion, the History of Religions and Islamic Studies in Turkey: Approaches from »Phenomenological Theology« to Contextualism (63­100); 5. A. Tayob, The Study of Religion and Social Crises: Arab-Islamic Discourse in Late Twentieth Century (101­126); 6. P. Kumar, A Survey of New Approaches to the Study of Religion in India (127­145); 7. G. W. Trompf, A Survey of New Approaches to the Study of Religion in Australia and the Pacific (147­181); Section 2: Critical Approaches: 8. M. M. Joy, Philosophy and Religion (185­217); 9. J. S. Jensen, Meaning and Religion: On Semantics in the Study of Religion (219­252); 10. K. Hastrup, Religion in Context: A Discussion of Ontological Dumping (253­270); 11. I. Strenski, Ideological Critique in the Study of Religion: Real Thinkers, Real Contexts and a Little Humility (271­293); 12. L. Mikaelsson, Gendering the History of Religions (295­315); 13. R. T. McCutcheon, Critical Trends in the Study of Religion in the United States (317­343); 14. M. Hulsether, New Approaches to the Study of Religion and Culture (345­381); Section 3: Historical Approaches: 15. L. L. Dawson, Religion and the Internet: Presence, Problems, and Prospects (385­405); 16. J.-F. Mayer, New Approaches to the Study of New Religions in North America and Europe (407­436); 17. P. Antes, New Approaches to the Study of the New Fundamentalisms (437­449); 18. J. Borup, Zen and the Art of Inverting Orientalism: Buddhism, Religious Studies and Interrelated Networks (451­487); 19. W. J. Hanegraaff, The Study of Western Esotericism: New Approaches to Christian and Secular Culture (489­519).Vol. 2: P. Antes, A. W. Geertz, R. R. Warne, Introduction (1­9 [= Nr. 1]); Section 4: Textual Approaches: 20. A. Williams, New Approaches to the Problem of Translation in the Study of Religion (13­44); 21. G. D. Newby, The Use of Electronic Media in the Study of Sacred Texts (45­58); 22. D. McCance, New Approaches: Literary Theory (59­73); Section 5: Comparative Approaches: 23. W. E. Paden, Comparison in the Study of Religion (77­92); 24. L. H. Martin, A. M. Leopold, New Approaches to the Study of Syncretism (93­107); 25. R. L. Grimes, Performance Theory and the Study of Ritual (109­138); 26. H. B. Gundlach, New Approaches to the Study of Religious Dance (139­163); 27. R. I. J. Hackett, Human Rights: An Important and Challenging New Field for the Study of Religion (165­191); Section 6: Social Sciences: 28. L. Voyé, A Survey of Advances in the Sociology of Religion (1980­2000) (195­228); 29. K. Dobbelaere, Assessing Secularization Theory (229­253); 30. R. Kisala, Urbanization and Religion (255­274); 31. S. Vertovec, Religion and Diaspora (275­303); 32. A. G. Linderman, Approaches to the Study of Religion in the Media (305­319); 33. W. F. Sullivan, Beyond »Church and State«: Advances in the Study of Religion and Law (321­344); Section 7: Cognition and Cross-Cultural Psychology: 34. A. W. Geertz, Cognitive Approaches to the Study of Religion (347­399); 35. J. L. Barrett, The Naturalness of Religious Concepts: An Emerging Cognitive Science of Religion (401­418); 36. D. A. Warburton, Psychoanalyzing Prehistory: Struggling with the Unrecorded Past (419­455); 37. P. Antes, A. W. Geertz, R. R. Warne, Conclusion (457­458).

Probleme der religionswissenschaftlichen Methodologie und Theoriebildung stehen im Vordergrund. Die terminologischen Grenzziehungen und Gefäße, mit denen Religion außerhalb der Religionswissenschaft meist zuallererst begriffen wird (als Vielzahl einzelner religiöser Traditionen), spielen kaum eine Rolle; den beiden Bänden geht es um Religion im Singular. Was darunter im Einzelnen zu verstehen sei, wird nicht definiert; eine weitere Drehung der alten Frage wäre nach vollzogenem »anti-essentialist turn« (»taxonomy, not ontology, is the order of the day«, 24) auch nicht das, was den Namen »new approach« verdiente, wenngleich manche Beiträge das Problem durchaus kontrovers diskutieren (etwa McCutcheon, 326­329, vs. Hulsether, 356­360). Die meisten Beiträge vermitteln die Einsicht in die Kontextualität der Religionswissenschaft, die als Kulturwissenschaft je nach Standort unterschiedliche Methoden und Theorien entwickelt hat (Nr. 4 zur Religionswissenschaft in der Türkei ist diesbezüglich besonders instruktiv). Auch die Identifikation dessen, was als »new approach« gelten mag, ist an (geographische, sozio-kulturelle, politische) Standorte gebunden. Wie sehr Wissenschaftsdiskurse auch da, wo sie nur mit Argumenten fechten, mit Macht zu tun haben, zeigen verschiedene Beiträge aus Nordamerika besonders deutlich ­ Nr. 20 etwa am Beispiel der »ideological and political agenda«, die sich mit (anglo-amerikanischen) Übersetzungen von religionsgeschichtlich und komparatistisch relevanten Texten verbindet. (Dass man sich dieses Problems gerade zu der Zeit gewahr zu werden scheint, in der sich ­ auch in den vorliegenden Bänden ­ Anglo-Amerikanisch als einzig tolerierte weltweite Wissenschaftssprache durchzusetzen scheint, entbehrt nicht der Ironie.)

Angesichts dieses Bewusstseins für Kontextualität wundert man sich, warum in Section 1 Beiträge über Ost- und Südostasien fehlen, und vermisst ähnlich luzide Orientierungen, wie sie Warne mit erfrischender Direktheit für die USA und Kanada bietet (Nr. 1, im Verbund mit Nr. 13 zu lesen). Im Blick auf Lateinamerika oder Afrika hätte die Diskrepanz zwischen hoher Religionsproduktivität (vor allem in städtischen Großräumen, vgl. Nr. 30!) und geringer religionswissenschaftlicher Auseinandersetzung damit zumindest eine Problemanzeige verdient. Aber auch die Entwicklung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Religion in Osteuropa und den ehemaligen Sowjetrepubliken (»a fascinating laboratory with old and newly adapted formulae«, 58) wären eingehender zu analysieren gewesen, so unübersichtlich sich das Feld gegenwärtig darstellen mag. In dem Westeuropa gewidmeten Panorama (Nr. 3) lernt man vieles über die institutionellen, sprachlichen und kulturellen Hintergründe, welche hier die Insularität »nationaler« Religionswissenschaftsdiskurse begünstigen. Angesichts der Tendenz zur Überfragmentierung ist es allerdings bedauerlich, dass das vor allem in Deutschland gegenwärtig viel diskutierte Konzept einer »Europäischen Religionsgeschichte« weder hier noch sonstwo unter den »New Approaches« erwähnt wird. Der Sache nach führt W. J. Hanegraaffs Beitrag zum »Western Esotericism« (Nr. 19) am ehesten in diese Richtung.

Eigentlich historisch orientierte Zugänge kommen in den vorliegenden Bänden nur am Rande in den Blick. Der dadurch erweckte Eindruck, moderne religionsgeschichtliche Forschung sei theorieabstinent und habe bezüglich ihrer Methoden keine »new approaches« zu bieten, ist falsch. Die theoretische Auseinandersetzung mit Grundfragen der Medialität kultureller Kommunikation hat sie längst weit über ihre ursprünglich vorwiegend textphilologisch orientierten Ausgangsbahnen hinausgeführt. Das Interesse an visueller, materieller und ritueller Kodierung hält sie zur Integration von Bildwissenschaften, Archäologie und anderen historischen Kulturwissenschaften an. Die von J. S. Jensen im Zusammenhang seiner Diskussion über Semantik (Nr. 9) gemachte Feststellung leidet deshalb an einer Engführung:

»Although not all, nor perhaps even many, participants of ðcultural systemsÐ have textual meanings ðin their headsÐ they will always carry meanings that may be ðtext-ifiedÐ, i. e. made into narrative and text. This is a very simple corollary of the fact that we make sense of the world by talking about it and that knowledge which cannot be transposed into some kind of narrative is (probably) not knowledge at all.« (247)

Man wird hier zwischen religiöser Sinn- und Wissenskonstitution und religionswissenschaftlichem Erkenntnisgewinn unterscheiden müssen; nur im letzteren Sinn verdient der Satz Zustimmung. Religionen, genauer, religiöse Gruppen kommunizieren ihr Wissen wesentlich dadurch, dass sie es auch auf nicht-sprachliche Weise codieren. Um diese Formen komplexer, oft pluri- und multimedialer Kommunikation in Bezug auf Inhalt, Form, Verwendung und Wirkung zu analysieren, bedarf die Religionswissenschaft einer neuen Religionsästhetik, die ­ so sehr sie an Cultural Studies und Ritual Studies (hier Nr. 14, 26, 27) anknüpfen kann ­ unter den »new approaches« nicht fehlen sollte. Wer im Index der vorliegenden Bände nach »visual symbolism« sucht, wird in die Prähistorie am Übergang von Homo erectus zu Homo sapiens verwiesen (357) ­ aktuelle Medialitäts- und Visualitätsdiskurse finden in den beiden Bänden ebenso wenig Echo wie klassischere Anknüpfungen an Kunsthermeneutik, Ikonologie und Semiotik.

Eine neue Entwicklung, die auch in der Religionswissenschaft zwingend »new approaches« generieren wird, stellt der globale Siegeszug der elektronischen Medien und insbesondere des World Wide Web dar. Nr. 21 diskutiert dessen Konsequenzen für die Erforschung von »sacred texts« (sic) anhand eines souverän selektiven Panoramas und erkennt in der neuen Internet-Religiosität »something like the proliferation of mystery religions in the Greco-Roman world« (55). Davon scheinbar ganz unberührt beschränkt sich Nr. 32 zu Religion und Medien auf TV und Film. Die wirklich neuen Medien und ihr Einfluss auf die Realisierung von Religion, neue Religionen im virtuellen Raum von Multimedia usw. sind hier noch kaum wahrgenommen, der Ausblick in »the future study of religion in the media« liest sich wie vorzeitig gealterte Science Fiction.

Aber selbstverständlich darf in der Wissenschaft nicht nur das Allerneueste den Ton angeben. Mit Erleichterung nimmt der gehetzte Zeitgenosse Beiträge entgegen, welche eher herkömmliche, deswegen nicht weniger grundsätzliche Probleme der Religionswissenschaft behandeln (Nr. 8, 14, 22­23, 25 usw.). Geradezu klassisch präsentiert sich die religionssoziologische Sektion. Der in Nr. 28 gebotene »Survey of Advances« ist zwar eher eine forschungsgeschichtliche Standortbestimmung als eine Präsentation von »new approaches«, aber gerade für Außenstehende nützlich und hilfreich. Themenfelder wie Säkularisierung (Nr. 29), Diaspora (Nr. 31) oder Religion und Recht (Nr. 33) sind in der globalen Migrationsgesellschaft des 21. Jh.s von ungebrochener Aktualität und Brisanz. Wirkliches Neuland wird für die Religionswissenschaft gegenwärtig in den Kognitions- und Neurowissenschaften erschlossen, die in Verbindung mit Psychoanalyse und Paläontologie (Nr. 36) die alte Frage nach dem »homo naturaliter religiosus« neu konfigurieren (Nr. 35). Dass die Sammlung mit diesem Thema endet und nicht etwa beginnt, deutet an, dass das neue Paradigma keinen Anspruch auf Erklärungshegemonie erhebt.

Die beiden Bände wurden thematisch von den Herausgebern und der Herausgeberin konzipiert, die 35 Einzelbeiträge von Autoren und Autorinnen auf Einladung verfasst. Die Strukturierung des Feldes und die Festlegung der Themen, die Entscheidung, was unter die Rubrik »new approaches« falle und was auszuschließen sei: An allen Ecken und Enden bietet ein solches Werk Anlass zu kritischen Rückfragen. Entscheidend wird sein, ob das, was hier vorliegt, von der Religionswissenschaft als produktiver Anstoß aufgenommen werden und ihre weitere Entwicklung befördern kann. Der Herausgeberin und den Herausgebern ist jedenfalls für den Mut zu danken, sich den Schwierigkeiten eines derart weitgreifenden Projekts gestellt zu haben.