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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

392–394

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wolff, Christian

Titel/Untertitel:

Der erste Brief des Paulus an die Korinther.

Verlag:

Leipzig: Evang. Verlagsanstalt 1996. XXIX, 445 S. gr.8° = Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, 7. Pp. DM 49,­. ISBN 3-374-01622-7.

Rezensent:

Lars Aejmelaeus

In der Serie "Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament" war der erste Korintherbrief früher von zwei Personen kommentiert worden. Weil Erich Fasser verhindert war, sein Werk zu Ende zu führen, hatte Christian Wolff schon im Jahre 1980 die Kapitel 1Kor 8-16 als zweiten Teil (7/II) der Gesamtkommentierung des Briefes veröffentlicht. Nun hat er die Kommentierungsarbeit des Briefes vervollständigt und auch die Kapitel 1Kor 1-7 selbständig neu erklärt. Damit ist die Kommentierung des 1Kor jetzt in dieser Serie einheitlich und in einem Band zur Hand.

Wie zu erwarten war, hat der Vf. die letzten Kapitel (8-16) nicht von Anfang an ganz neu geschrieben, sondern stützt sich auf seine frühere Arbeit, so daß die Kommentierung dieser Kapitel in der neuen Fassung als erweiterte und verbesserte Neuauflage des früheren Werkes zu betrachten sind. Der Vf. hat in diesem Teil seine frühere Arbeit besonders in den Fußnoten durch neue Literaturhinweise und neuere Diskussionen mit anderen Forschern ergänzt. Der Text, der die Kapitel 8-16 behandelt, ist dadurch um 46 Seiten gewachsen (von 230 Seiten zu 276 Seiten). Weil die Kommentierung jedoch grundsätzlich die alte geblieben ist und sie in dieser Zeitschrift (109, 1984, 117-118) schon von W. G. Kümmel gründlich vorgestellt worden ist ­ sogar die wenigen genau benannten Einzelinterpretationen, für die Kümmel eine andere Auslegung vorschlug, sind in der Überarbeitung die früheren geblieben, was man auch zum Teil gut verstehen kann ­ konzentriere ich mich in meiner Rezension hauptsächlich auf das neue Material, also auf die Einführung und die Kommentierung der Kapitel 1Kor 1-7.

Die lobende Beurteilung von W. G. Kümmel, die vor 14 Jahren über die frühere Version geäußert wurde, ist immer noch am Platz, auch was den neuen Teil betrifft. Damit meine ich die Worte von Kümmel, als er das Buch als "eine vorzügliche Leistung" bezeichnete und dabei die Aufmerksamkeit besonders auf zwei Sachen richtete: Wolff "setzt sich wirklich mit der neueren und neuesten Literatur auseinander" und "den Wert des Buches macht die Sorgfalt der Analyse und Exegese und die Nüchternheit des kritischen Urteils aus". W.s alte Grundinterpretation, was die Einheitlichkeit des Briefes und den Charakter der gegnerischen Front betrifft, ist die alte geblieben: Der Brief ist einheitlich und Paulus diskutiert in ihm nicht mit Gnostikern, sondern setzt sich mit Vorstellungen aus jüdisch-hellenistischem Ursprung und aus hellenistischem Enthusiasmus auseinander. In der Einzelexegese kommt klar zum Vorschein, wie die Ausgangspunkte sich in diesem Brief, z. B. bei der Auslegung der schwierigen Verse 2,6-16 ("Weisheitsverkündigung für die Vollkommenen", 50-62), als fruchtbar erweisen.

Das Buch beginnt mit einer kurzen, aber klaren Einleitung, in der die traditionellen Einleitungsfragen, die Beschreibung der Stadt, der Gemeinde und des Briefes, erörtert werden. Hier folgt W. den traditionellen Pfaden. Wegen der Größe eines damaligen Hauses, dessen Atrium höchstens 50 Personen faßte, meint W., daß die Gemeinde bei Abfassung des 1Kor nicht größer gewesen wäre (5). Vielleicht sollte die Sachlage jedoch trotz der Verse 11,20; 14,23 und Röm 16,23 anders verstanden werden. Die große Zahl der Probleme, die im 1Kor besprochen werden und überhaupt das nuancenreiche Bild, das man von ihrem Leben bekommt, scheinen eine etwas größere Gemeinschaft vorauszusetzen.

In der Auslegung der einzelnen Verse betont der Vf. gemäß dem Namen der Serie den theo- und christologischen Inhalt und die Bedeutung der paulinischen Gedanken und Formulierungen. Die paulinische Kreuzestheologie wird besonders nachgezeichnet und beleuchtet. In der Behandlung dieser Themen ist der Vf. in seiner Arbeit besonders stark und kommt im allgemeinen zu klaren und einleuchtenden Ergebnissen. Etwas weniger zufriedenstellend sind die Auslegungen, die mit der Handarbeitstätigkeit des Paulus zu tun haben, also die soziologischen Aspekte der Interpretation. Die Einstellung der Korinther zur Handarbeit kann kaum so negativ gewesen sein, wie der Vf. (mit vielen anderen Exegeten) voraussetzt. Die Gründe, die den Apostel zur Behandlung der Kostenlosigkeit seiner Verkündigungsarbeit geführt haben, waren kaum so stark apologetisch, wie W. meint. Der Auslegung der komplizierten paulinischen Rhetorik in der Behandlung dieses Themenbereichs mangelt es an Folgerichtigkeit (siehe die Kommentierung des Verses 4,12 und der Verse 9,1-18). Die Art und Weise, wie W. den "eklatanten Fall von Unzucht" (5,1-13) gegen eine verbreitete Meinung der Exegeten interpretiert, ist dagegen meiner Meinung nach überzeugend: Die Preisgabe an den Satan bedeutet Ausweisung aus der Gemeinde, Vernichtung der Begierden und danach auch die Ermöglichung der Umkehr (103-105). Auch die Auslegungen der Leiblichkeit und ihrer anthropologischen und theologischen Voraussetzungen nach dem Inhalt der Kapitel 6-7 beinhalten viele wichtige und lehrreiche, zum Nachdenken zwingende Einzelheiten.

In diesem Buch lohnt es sich, auch die Fußnoten genau zu studieren. Man findet dort oft wirkliche Perlen, die wichtige exegetische Einzelheiten näher beleuchten und das Interesse des Lesers auf wichtige Literatur richten. Als Beispiele dafür nenne ich die Fußnoten 112, S. 43 ("Hausbesitz deutet nicht zwingend auf gehobenen Sozialstatus hin") und 127, S. 46 (die Rechtfertigung ist keine Nebenlinie in der paulinischen Theologie).

Ebenso wie der Kommentar zum 2Kor von demselben Verfasser in derselben Serie ist auch dieser Kommentar ein wichtiger Meilenstein in der Forschung zu den Korintherbriefen. Er wird ohne Zweifel den ihm gebührenden Platz unter den anderen wichtigen Kommentaren einnehmen und gehört zu den zentralen Diskussionsgrundlagen für jeden, der sich mit Fragen der Briefe beschäftigen will. Wie man zwar nie mit seinen Diskussionspartnern in jeder Hinsicht übereinstimmen kann, immer aber durch sie, wenn sie tiefgründig und logisch arbeiten, neue und weiterführende Impulse für seine eigene Arbeit bekommt, so ist auch W.s neuer Kommentar eine wichtige und willkommene Hilfe für die internationale Gemeinschaft, die an der paulinischen Theologie interessiert ist.