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Ausgabe: | April/1998 |
Spalte: | 390–392 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Walter, Nikolaus |
Titel/Untertitel: | Praeparatio Evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments. Festschrift hrsg. von W. Kraus u. F. Wilk. |
Verlag: | Tübingen: Mohr 1997. X, 442 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 98. Lw. DM 178,. ISBN 3-16-146717-5. |
Rezensent: | Eduard Lohse |
Aus der großen Zahl gelehrter Aufsätze, die der kürzlich emeritierte Jenenser Neutestamentler Nikolaus Walter im Lauf eines langen Gelehrtenlebens an verschiedenen Stellen veröffentlicht hat, ist in diesem Band eine repräsentative Auswahl getroffen und von W. Kraus und F. Wilk in sorgfältig vorgenommener Redaktion herausgegeben worden. Die Zusammenstellung zeigt in beeindruckender Weise, mit welcher Gewissenhaftigkeit und Umsicht der Vf. in bewegten Zeiten seine Aufgabe als Ausleger des Neuen Testaments wahrgenommen und unbeirrt um äußere Belastungen und Erschwernisse durchgeführt hat. Nur gelegentlich läßt die Sammlung seiner Studien erkennen, wo hier und da das politische Geschehen die eine oder andere Fragestellung hervorgerufen hat so zur Studie: "Nicht Frieden, sondern das Schwert?" (169-186). Aber an keiner Stelle ist auch nur die geringste Spur eines nicht zu verantwortenden Kompromisses zu finden, sondern stets bleibt der Vf. ausschließlich und mit vornehmer Bestimmtheit seiner Aufgabe treu, mit aller gebotenen Sorgfalt der vor- und aufgegebenen Botschaft des Neuen Testaments nachzuspüren.
Wie ein roter Faden zieht sich durch Walters Untersuchungen die ihn von Anfang an beschäftigende Frage, welche Bedeutung dem hellenistischen Judentum für die Anfänge des Christentums zukommt. Mit vollem Recht weist er immer wieder darauf hin, daß dieser Frage in der neutestamentlichen Wissenschaft bisher nicht die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet wird. Es bleibt jedoch eine wichtige Aufgabe der Exegese, die Botschaft des Neuen Testaments mit den Ohren seiner ersten Hörer aufzunehmen (95). Der Titel des Buches, der eine auf Euseb zurückgehende Formulierung aufnimmt, ist daher zugleich Ansage eines wissenschaftlichen Programms. Denn im hellenistischen Judentum hatte sich eine bewußte Öffnung gegenüber der griechischen Welt und damit zugleich auch eine Zuwendung zu den anderen Völkern vollzogen, die für die spätere Ausbreitung des frühen Christentums von nicht zu übersehender Bedeutung gewesen ist eben als Vorlauf und Vorbereitung.
Worin aber hat jene Praeparatio bestanden? Nicht nur durch die Übersetzung der alttestamentlichen Bücher ins Griechische, sondern insbesondere auch durch die Abfassung von Schriften, die jüdischen Glauben in griechischer Sprache zu beschreiben suchten, gewann dieser neu Gestalt und Werbekraft (vgl. 401 u.ö.). Man vertrat die Überzeugung, daß die Thora der Welt etwas zu sagen hat, weil in ihr eine für alle Menschen gültige "wahre Philosopie" (207 u. ö.) enthalten sei. Indem man deren sittliche Unterweisung und den hohen Rang der in ihr dargebotenen Ethik hervorhob, gewann die Überlieferung Israels eine universale Bedeutung. Die abgrenzenden Elemente auch Sabbat und Beschneidung traten in den Hintergrund und das Tor zur Welt wurde weit aufgestoßen. Daß diese Entwicklung sich nicht ohne Spannungen vollzog, sondern sowohl in der Umwelt auf Widerspruch stieß wie auch innerhalb des vielschichtigen Judentums der damaligen Zeit umstritten war, wird immer wieder aufgewiesen und zeigt sich am Ende nicht zuletzt darin, daß das reiche Erbe des hellenistischen Judentums zwar in der frühen Christenheit vielfach rezipiert, vom pharisäisch-rabbinischen Judentum aber abgestoßen wurde, indem man sich auf die hebräische Sprache und einen von ihr bestimmten Kanon heiliger Schriften zurückzog.
Der Leser, der die wertvollen Studien, die in diesem Band versammelt sind, aufmerksam durchgeht, wird reiche Belehrung empfangen sowohl in grundsätzlicher Hinsicht wie auch im Detail, wo es darum geht, Konsequenzen für die Interpretation neutestamentlicher Texte zu ziehen und im einzelnen aufzuweisen, von welch großer Bedeutung das hellenistische Judentum als Denkvoraussetzung für die urchristlichen Autoren gewesen ist: so etwa die hellenistische Eschatologie mit ihrer Unterscheidung von oberer und unterer Welt für die Deuteropaulinen oder das Weltbild der hellenistischen Synagoge als Hintergrund für die Christologie des Hebräerbriefes, in der ausgeführt wird, wie Jesus sein hohepriesterliches Werk "im Grenzüberschritt von der Erde zum Himmel" vollzieht (161).
Doch kann hier nicht im einzelnen gewürdigt werden, wie reichhaltig die Einsichten sind, die der Vf. zu Umwelt, Exegese und Theologie des Neuen Testaments ausbreitet. Auch ist es nicht angezeigt, zu der einen oder anderen Einzelfrage kleinere Einwände anzumerken, die doch nur Ausdruck dankbar erfahrener Anregungen sein können. Hervorzuheben aber ist die vom Vf. immer wieder mit Nachdruck geltend gemachte Forderung, nicht zu versäumen, für den Entwurf einer biblischen Theologie die sogenannte apokryphe Literatur und darunter insbesondere die dem hellenistischen Judentum entstammenden Dokumente heranzuziehen. Es bleibt daher zu bedauern, daß in vielen Bibelausgaben die sogenannten Apokryphen ganz fehlen, so daß auch Theologen oft nur wenig von ihnen wissen.
Wo aber der Erforschung der Umwelt des Neuen Testaments der ihr gebührende Rang im Sinn einer "Praeparatio Evangelica" zuerkannt wird, da gehört "auch die jüdische hellenistische Literatur hinzu", es sei denn, man wolle den Strom lebendiger Kontinuität zwischen den beiden Testamenten sträflich vernachlässigen. Denn: "Christliche theologische Arbeit kann sich in dieser Hinsicht nicht auf den Standpunkt des rabbinisch-talmudischen Judentums stellen, das sich vom hellenistischen Judentum aus welchem Grunde auch immer losgesagt und seine Literatur nicht mehr tradiert hat" (236).
Der inhaltsreiche Band bietet eine Fülle von wertvollen Gedanken und Einsichten, die geeignet sind, den geistigen Horizont neutestamentlicher Arbeit zu erweitern. Nicht zuletzt aber enthält er wichtige Hinweise, die sich in einem behutsam zu führenden christlich-jüdischen Gespräch als fruchtbar erweisen könnten. So sind dem Vf. respektvoller Dank und hohe Anerkennung zu bezeigen.