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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

570 f

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Précis de Théologie Pratique

Verlag:

Sous la direction de G. Routhier et M. Viau. Bruxelles-Paris: Lumen Vitae; Montreal: Novalis 2004. 819 S. gr. 8° = Théologies pratiques, 4. Euro 30,00. ISBN 2-87324-224-8 (Lumen Vitae); 2-89507-501-8 (Novalis).

Rezensent:

B. Schröder

Zwei katholische Praktische Theologen, die beide an der Université Laval in der frankophonen kanadischen Provinz Quebec lehren, verantworten diese »Übersicht über Praktische Theologie«, deren Beiträge von 42 Autoren und neun Autorinnen aus Kanada, Frankreich, Belgien und der Westschweiz verfasst wurden. Das Interesse des Buches gilt dem gegenwärtigen Stand der Diskussion, nicht der Geschichte des Faches.

Das voluminöse Werk ist in zwei Teile gegliedert: Die erste Sektion (»La théologie pratique«; 7­249) behandelt Grundsatzfragen, also das, was später in einem Beitrag »théologie pratique fondamentale« (248) genannt wird. Kurze Rückblicke auf die (jüngere) Geschichte katholischer und evangelischer Praktischer Theologie, Klärungen einiger Schlüsselbegriffe (»corrélation«, »pratique et action«,»culture«), vor allem aber methodologische Reflexionen werden hier geboten. Dabei gibt einer der Herausgeber, Marcel Viau, mit zwei Beiträgen den Ton an. Er präsentiert Praktische Theologie als wahrnehmungs- und handlungsbezogene Disziplin von Theologie (»Poiesis«) und hebt das empirische Arbeiten als ihr Charakteristikum hervor. Weitere Beiträge zu einzelnen Methoden sowie zur »méthodologie empirico-hermeneutique« (221) verstärken diesen programmatischen Akzent auf der Empirie.

Die zweite Sektion des Buches (»Les actes fondateurs«; 251­812) thematisiert die kirchlichen und individuellen Handlungen, auf die Praktische Theologie reflektiert. Wiederum ist es Marcel Viau, der die Systematik dieses Teils entwickelt und jene Vollzüge den vier folgenden Leitworten subsummiert. Erstens: »Proclamer« (251­451; das Zur-Sprache-Bringen des Evangeliums) ­ dazu gehört alles, was in der Theorie der Evangelisation, der Katechetik, der Homiletik und den Kommunikationswissenschaften verhandelt wird. Zweitens: »Célébrer« (453-533; das Feiern der Sakramente) ­ unter diesem Begriff begegnet das Gegenstandsfeld der Liturgik. Drittens: »Développer« (535­593) oder auch »Édifier« (so 248; das Entwickeln bzw. Bauen der Kirche) ­ hierzu zählen einerseits Poimenik und andererseits Kybernetik bzw. Oikodomik. Viertens: »Soutenir« (595­812; das Helfen und Beistehen) ­ dies meint den Bereich der Diakonik. Die vier Leitworte stehen sachlich der altkirchlichen Vierheit von Martyria, Leiturgia, Koinonia, Diakonia nahe, doch es handelt sich erklärtermaßen um noch nicht eingeführte Begriffe (»un nouveau vocabulaire«; 246), die vorgängige Systematiken gerade nicht fortschreiben wollen. Als Leitbegriffe wurden mit Bedacht Verben gewählt ­ Viau will auf diese Weise die Praxis als Ausgangs- und Zielpunkt praktisch-theologischer Reflexion markieren (6.44 und 246). Was zu diesen Feldern im Einzelnen verhandelt wird, liegt weitgehend im Rahmen anderer praktisch-theologischer Grundrisse und zugleich jenseits dessen, was hier nachgezeichnet werden kann. Bemerkenswert, weil in einschlägigen deutschsprachigen Kompendien selten, sind etwa die Abschnitte zu Grundhaltungen des Glaubens (»S¹étonner, chercher, interroger, croire«; 273­288), zur Kommunikation des Glaubens in Massenmedien (413­423), zum Beten (513­524) oder zur Mitwirkung in der Kirche (»Participer: devenier sujet actif dans l¹Église«; 579­596).

Mit seiner Struktur und seiner Bandbreite ist das Buch eine große Hilfe ­ eine Hilfe, um sich im Sinne des Titels einen Überblick über frankophone Praktische Theologie zu verschaffen und, etwa über die Biogramme und Literaturhinweise, Zugang zu ihren Diskussionen zu finden. Allerdings: Dass dieses Werk »résolument oecumenique« (6) geraten sei, wird man angesichts von nur sieben protestantischen Autoren/Autorinnen und der doch unverkennbar katholisch geprägten Perspektive der übrigen Beiträge schwerlich sagen können ­ für einen Einblick in die protestantischen praktisch-theologischen Akzente bleibt die von Bernhard Kaempf herausgegebene »Introduction à la Théologie Pratique« (Strasbourg 1997) eine wichtige Ergänzung. Ein wenig Wunder nimmt auch der Umstand, dass keine Autoren aus dem frankophonen Afrika vertreten sind und damit der Horizont der einen Welt fast gänzlich außer Sichtweite bleibt (vgl. aber den Beitrag »La pratique évangélique dans la mondialisation«; 55­67).

Angesichts der pastoraltheologischen Tradition frankophoner Praktischer Theologie sticht die in Vorwort und Grundsatzteil postulierte Weite des Gegenstandsbereichs ins Auge: Diese Praktische Theologie will dezidiert nicht nur die ekklesiale Praxis in den Blick nehmen, sondern »toutes pratiques sociales dans lesquelles on peut repérer des résonances religieuses« (5) ­ im theoretischen ersten Teil ist dieser Anspruch etwa an der Betonung empirischer Methoden und der Reflexion auf »Kultur« (179 ff.) und »individuelles Christentum« (137 ff.) unschwer wiederzuerkennen. Der zweite Teil thematisiert jedoch nahezu exklusiv ekklesiale bzw. pastorale Handlungsfelder. Dabei überrascht mich als deutschen Leser das geringe Gewicht von »Bildung« bzw. Katechese sowie von »Liturgie« (»Célébrer« ist zwar eines der vier fokussierten Handlungsfelder, doch die Beiträge unter dieser Rubrik sind recht allgemein gehalten und nicht auf die gottesdienstliche Feier bezogen.); umgekehrt sticht die Selbstverständlichkeit und Dichte ins Auge, mit der hier beispielsweise »Éveil spirituel« (Erweckung; 335­342), »Prier« (Beten; 513­522) und »Guider dans la vie spirituelle« (Ins geistliche Leben führen; 665­680) thematisiert werden.

Trotz dieser Rückfragen liegt mit dem Sammelband eine bemerkenswerte Gesamtdarstellung Praktischer Theologie aus einem uns benachbarten (sprachlich definierten) Kulturkreis vor ­ eine Darstellung, in der Sprach- und Denkfiguren der deutschsprachigen Praktischen Theologie nur an ganz wenigen Stellen eine Rolle spielen.