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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

566 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bröking-Bortfeldt, Martin

Titel/Untertitel:

Bröking-Bortfeldt, Martin: Kreuz der Wirklichkeit und Horizonte der Hoffnung. Ernst Langes Predigten und seine homiletische Entwicklung

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2004. 211 S. gr.8° = Praktische Theologie heute, 70. Kart. Euro 25,00. ISBN 3-17-018559-4.

Rezensent:

Jan Hermelink

Ernst Langes weit gespannte Beiträge zur Theorie und Praxis der Kirche finden seit den 1960er Jahren immer wieder Aufmerksamkeit ­ und zwar stets in einer engen Verknüpfung von Werk und Person des Autors. Auch die homiletischen Beiträge sind stets in dieser Verbindung wahrgenommen worden ­ durchaus zu Recht, hat Lange selbst doch keinen Zweifel daran gelassen, dass im Vollzug der Predigt die theologische Existenz, aber auch die pastorale Person in paradigmatischer Weise, »zwischen Anfechtung und Verheißung« auf dem Spiel steht. Von daher steht eine Untersuchung des Predigtwerkes Ernst Langes, wie sie der Regensburger Religionspädagoge B.-B. vorlegt, vor einer durchaus anspruchsvollen, vielschichtigen Aufgabe.

B.-B. hat sich für seine Arbeit ­ eine Hamburger praktisch-theologische Dissertation ­ die Quellenbasis selbst erschlossen, indem er zahlreiche Predigten Langes gesammelt und zum ersten Mal publiziert hat (Dem Leben trauen, Rothenburg (o. T.) 1999, 22002). Die Untersuchung der etwa 140 Manuskripte zielt darauf, »Ernst Langes Person und Theologie durch sein Predigtwerk besser verstehen zu lernen Š, vielleicht nicht so sehr deshalb, um hernach besser predigen zu können oder dazu anzuleiten, sondern um Horizonte der Hoffnung mitten im Kreuz der Wirklichkeit wahrzunehmen und an die Theoriebildung Š weiterzugeben« (18). Es geht B.-B. also um inhaltlich-theologische Einsichten Langes in Verbindung mit seiner Person ­ ausdrücklich aber nicht um eine spezifisch homiletische, auf die Orientierung der Predigtarbeit zielende Untersuchung; der Untertitel führt insofern ein wenig in die Irre.

Die Grenzen dieser Perspektive zeigen sich ­ nach einer knappen Einleitung ­ bereits im 2. Kapitel, das nach dem Verhältnis von »Predigt und Biographie« fragt (19­50). Wie in den folgenden Kapiteln werden Predigtausschnitte, meist ein oder zwei Absätze, aus verschiedenen biographischen Phasen zunächst zitiert und dann knapp interpretiert; hier unter der Frage, ob mittels der Predigten »Langes Lebensstationen Š zusätzlich erhellt werden können« (19). Damit begibt sich die Analyse auf ein schwieriges Feld, zeichnen sich die Predigten doch ­ ganz ähnlich wie andere Texte Langes ­ zwar durch einen sehr individuellen Stil aus, machen die persönliche Situation des Verfassers aber so gut wie nirgends zum Thema (vgl. 21, Anm. 13). So bleibt der Ertrag begrenzt: Die Predigten lassen zwar Langes Sicht der jeweiligen gesellschaftlichen und kirchlichen Verhältnisse erkennen; eigentlich biographische Einsichten ergeben sich aber kaum oder bleiben ­ etwa mit dem wiederholten Hinweis auf »Zweifel, Enttäuschungen und Rückschläge« (34) ­ recht allgemein.

Das lange 3. Kapitel (51­109) fragt nach der »rhetorischen« Gestalt der Predigten, ist also dezidiert homiletisch interessiert. Die Beobachtungen zu »Sprachformen«, zu typischen Anfängen und Aufbauschemata leiden freilich darunter, dass sie »neuere homiletische Š, kommunikationstheoretische und rezeptionsästhetische Theorieimpulse« ausdrücklich nicht nutzen wollen (87), sondern sich mit recht schlichten, in sich oft unstimmigen Interpretationskategorien begnügen. So wird zwar Langes »kunstvolle« Sprache gewürdigt (65), die mittels innovativer Metaphern biblische und alltägliche Sprachwelten verknüpft und die mit starken Gegensätzen, mit vielen Fragen und einprägsamen Kurzformeln operiert ­ die sachlichen, theologischen Implikationen dieses eigentümlichen Predigtstils werden aber nur ansatzweise herausgearbeitet. Die Analysen von Langes Predigtaufbau bleiben ebenfalls an der Oberfläche, weil sie an keiner Stelle eine ganze Predigt gründlicher in den Blick nehmen.

Bedauerlich erscheint zudem, dass weder hier noch in anderen Kapiteln auf Langes theoretische Beiträge zur Predigtarbeit Bezug genommen wird. Damit bleibt die Chance ungenutzt, Langes homiletische Wirkungsgeschichte mit seiner eigenen Predigtpraxis zu konfrontieren.

Dass B.-B. weniger an homiletischer als vielmehr an dogmatischer Erschließung interessiert ist, zeigt auch das 4. Kapitel zu den »biblischen Grundlagen« von Langes Predigt und ihren theologischen Gehalten (110­133). Hier wird die Entfaltung einzelner Themen (Schalom, Bund, Sabbat, Jesus, Maria) je in mehreren Predigten nachgezeichnet und so ­ sehr erhellend ­ Langes theologisches Profil skizziert, im Blick auf den christlich-jüdischen Dialog wie auf sein kreuzestheologisches Wirklichkeitsverständnis. Die zeitgenössische Diskussion aller dieser Themen, die Lange bekanntlich aufmerksam und zugleich sehr eigenständig wahrgenommen hat, wird allerdings nur selten in die Analyse einbezogen.

In diesem Zusammenhang wird knapp auch ein Interview mit Langes Berliner Gefährten Alfred Butenuth interpretiert, das dem Buch als Anhang beigegeben ist (164­182). Dieses ­ höchst aufschlussreiche, auch bewegende ­ Gespräch »über den Prediger Ernst Lange« spiegelt nochmals die Schwierigkeit des hier behandelten Themas: Butenuth beantwortet die Fragen nach der spezifischen Predigtweise Langes stets so, dass er auf dessen Person oder seine inhaltlichen bzw. kirchenpolitischen Einsichten kommt; die spezifische Gestalt oder Gestaltungsweise der Predigten wird dagegen kaum zum Thema.

Ein letztes Sachkapitel (134­160) referiert weitere »theologische Interpretationen« in den Predigten, bezüglich ihres Rekurses auf M. Luther, K. Barth und D. Bonhoeffer, ihrer Sicht der Ökumene, der Kirchengestalt und der »verheißungsoffenen« Welt. Auch hier präsentiert die eingehende Paraphrase von Predigtausschnitten erhellende, wenn auch selten neue Aspekte von Langes Theologie; eine analytisch-distanzierte, form- oder gar sachkritische Perspektive auf diese Theologie gelingt B.-B. jedoch nicht.

So ergibt sich im Ganzen ein gemischter Eindruck: Die inhaltlich-theologischen Einsichten, die Ernst Langes Predigten zu bedenken geben, hat B.-B. eindrücklich in Erinnerung gerufen. Inwiefern Langes Predigten aber ein eigentümliches Genus der Kommunikation darstellen und daher ­ durch ihre spezifische Form ­ noch einmal Neues gegenüber seinen anderen Publikationen zu bedenken geben, und zwar theologisch Neues, das bleibt der homiletischen Forschung weiterhin als Frage aufgegeben.