Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

562–564

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Wieland, Josef

Titel/Untertitel:

Governanceethik im Diskurs

Verlag:

Marburg: Metropolis-Verlag 2004. 281 S. m. Abb. 8° = Institutionelle und Evolutorische Ökonomik, 26. Kart. Euro 24,80. ISBN 3-89518-470-5.

Rezensent:

Andreas Pawlas

Nach den wirtschafts- und unternehmensethischen Entwürfen P. Ulrichs, H. Steinmanns oder K. Homanns hat Josef Wieland nun mit seinem Projekt der Governanceethik einen ganz eigenen Akzent gesetzt. Es ist aus theologischer Sicht erfreulich, mit welcher Selbstverständlichkeit er die engen und nur als inhuman zu qualifizierenden Grenzen der klassischen Ökonomie mit ihrem Menschenbild vom »homo oeconomicus« überschreitet und sich ethisch-moralischen Aspekten öffnet.

Die Theorie der Governanceethik war nun auch 2003 Gegenstand einer interdisziplinären Tagung, deren Beiträge in diesem Sammelband dokumentiert werden. Dabei sind die meisten Beiträge davon geprägt, dass sich dieser ethische Ansatz aus der Systemtheorie N. Luhmanns und der Neuen Institutionen-und Organisationsökonomik speist (8).

Im Teil I »Philosophie: Begründung und Anwendung« schaut zunächst Jens Badura aus der Perspektive des Kohärentismus auf die Governanceethik (19), und zwar unter »nachmetaphysischen Rahmenbedingungen« (34), unter denen es keine anderen Quellen für die Richtigkeit einer normativen Überzeugung gebe, als »aufrichtig und ernsthaft die jeweils relevanten Faktoren eines ethischen Urteilskontextes zu erkennen und in die Selbstorientierungsprozesse einzubeziehen« (35). Aus solcher »kohärenten Integration moralischer und nicht-moralischer Überzeugungen« (24) meint Badura der Governanceethik eine Art von ethischem Orientierungswissen (20 f.) empfehlen zu können, ohne jedoch die Frage zu beantworten, woraus dann dabei der Schritt zum ethischen Sollen entstehen kann. Außerdem verhält sich der folgende Beitrag Guido Palazzos sperrig gegenüber solchen harmonistischen Diskursvorstellungen. Denn er weist darauf hin, dass zwar Interessen, wie sie im Stakeholder-Modell ihr Forum finden, diskursiv verhandelbar seien, Identität jedoch nicht (52)! Das erhellt die Grenzen der ethischen Kommunikationsfähigkeit so mancher NGOs der Gegenwart.

Was ferner die Identität angeht, so entfaltet Markus C. Becker später im dritten Teil zu Recht, welche hohe Bedeutung ihr als Quelle wirkungsvollster intrinsischer Motivation zukommt (246).

Michael Schramm analysiert sodann als katholischer Theologe, dass sich die Relation zwischen ethischen Begründungsdiskursen und moralökonomischen Anwendungsdiskursen präzise als »strukturelle Kopplung« im Sinne Luhmanns beschreiben lasse (88). Fragt er dann etwa auf Grund der Vermittlungsprobleme theologischer Einsichten, wie diese Übersetzungsleistungen der beiden Ebenen füreinander bzw. Koppelung der Diskurse »tatsächlich funktionsfähig werden« sollen (95)?

Im Teil II »Ökonomik: Struktur und Kommunikation« streicht Stephan Panther zunächst heraus, dass in der Governanceethik bislang die ethische Frage der Verteilungsgerechtigkeit übersehen wurde (114). Er verweist ferner darauf, dass sich Governanceethik mit der Ansicht zu befassen habe, dass individuelle Tugend auf sich allein gestellt, vielfach nicht handlungsrelevant sei, dass es vielmehr auf die Schaffung eines geeigneten institutionellen Umfelds ankomme, damit individuelle Tugend sich entfalten könne (119).

Für Detlef Aufderheide ist es nicht Ziel der Governanceethik, »unmoralisches Verhalten« zuverlässig zu verhindern, sondern es sei »nur« moralische Kommunikation zu erleichtern bzw. zu ermöglichen und es seien bessere Voraussetzungen für »moralisches Verhalten« zu schaffen (131). Allerdings plädiert er im Hinblick auf die »moralischen Anreize« (127 ff.) dafür, den Akteuren die (ökonomischen) »Kosten der Missachtung« von moralischen Regeln (140 f.) zu übersetzen. Wenn sich gegenwärtig auch die bisherigen Face-to-face-Beziehungen mit ihrer moralischen Kontrollwirkung auflösten, so seien dennoch Regelbindung und Transparenz unaufgebbar. Sie müssen gegebenenfalls durch andere staatliche oder NGO-Konzepte (142 f.) wahrgenommen werden. Er fordert »intelligentes Transparenzmanagement« hinsichtlich der moralisch einzuhaltenden Regeln als genuine Führungsaufgabe (144).

Unter dem Titel »Organisation und Sprache« weist Birger P. Priddat darauf hin, dass es zum Wesen von Organisationen gehörte, mehrere so genannte Sprachspiele ­ oder »belief systems« ­ in sich zu tragen (150). Gegen Koppel/Langois sei es aber nicht Aufgabe des Managements, eine »corporate-language« einzuführen, sondern es habe den Auftrag der »Interpretation, Regenerierung der Polylinguistik der Unternehmen in Entscheidungen« (164). Denn »was Werte, Moral und Ethik in Organisationen wirklich meinen«, lasse sich nicht durch Regelsetzung und Regelgeltung erklären, sondern unterliege, da Moral »kommunikationsanfällig« sei (171), einem »permanenten kommunikativen Deutungsprozess« (13).

Im Teil III »Management: Wissen und Kultur« wendet sich Reinhard Pfriem gegen die überkommene Trennung von Ökonomie und Ethik, weil Ökonomie nicht eine naturgesetzliche Erscheinung im Sinne Mengers, sondern ein »selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe« (Geertz) oder eine »gesellschaftliche Imagination« (Castoriades) sei (198). Weiter schlägt Pfriem vor, die Governanceethik um den Aspekt der Nachhaltigkeit zu ergänzen (204 ff.).

Abschließend weist Josef Wieland selbst darauf hin, dass die Realisierung der moralischen Dimension einer ökonomischen Transaktion und der Stabilisierung der dazugehörigen Organisation ein simultanes Zusammenwirken verschiedener Governanceregimes sowohl erfordere als auch voraussetze (14).

Auf Grund der steigenden Bedeutung von »Humankapital als Träger von Wissen« (256) entwickelt Wieland dann die moralische Seite der Wissensökonomie als Governanceethik (261 ff.). Wie anhand des Wissens zu sehen sei, seien nach Rawls Gesellschaften (mit ihrem Wissen) »Kooperationsprojekte zum wechselseitigen Nutzen« (274) und seien auch Unternehmen nur Bestandteile genau dieser Gesellschaften. Darum endet Wieland mit der Forderung, dass eben so, wie ein Unternehmen von seinen Mitgliedern die Eigenschaft eines guten Organisationsbürgers erwarte, die Gesellschaft entsprechend (und berechtigt) von Unternehmen erwarten dürfe, dass sie im Sinne einer »Good Corporate Citizenship« gute »Bürger« dieser Gesellschaft seien (274).

Solche Forderung der Governanceethik ist nicht nur aus diskurstheoretischer und systemtheoretischer Sicht wünschenswert. Und wenn der Governanceethik in ihrer weiteren Entwicklung nur Erfolg zu wünschen ist, so bleibt doch die theologische Anfrage, was sie dem systemzerstörerischen Bösen, wie es sich etwa im unersättlichen Eigennutz des Unternehmens und des Individuums niederschlägt, entgegenzusetzen hat.