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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

561 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Nurser, John

Titel/Untertitel:

B>For All Peoples and All Nations. Christian Churches and Human Rights. Genf: WCC Publications

Verlag:

Washington: Georgetown University Press 2005. 220 S. 8° = Advancing Human Rights. Kart. ISBN 2-8254-1415-8.

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 ist bisher zwar schon in einigen ihrer juristischen und rechtspolitischen Aspekte aufgearbeitet worden, aber es fehlte bisher noch eine Darstellung, die den Beitrag der ökumenischen Bewegung zu dieser Erklärung analysierte. Es ist das Verdienst von John Nurser, Canon emiritus von Lincoln Cathedral, dass er sich diesem Forschungsdesiderat gestellt und nach intensiven Quellenstudien in amerikanischen und europäischen Archiven diese Geschichte detailreich und genau dargestellt hat.

N. identifiziert drei ökumenische Faktoren, die zu Konstitutionsbedingungen der Vereinten Nationen und ihres Engagements für Menschenrechte gehörten.

Die Ökumenische Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jh.s entwickelte ein besonderes Verständnis von »Christendom« (11­27), das als Antwort auf die faschistischen und nationalsozialistischen Bewegungen vor allem in Deutschland und Italien gedacht war. Diese antinationalistisch verstandene Ökumene implizierte im Bereich der protestantischen und anglikanischen Kirchen neue Vorstellungen gesellschaftlicher Ordnung, die ­ wie die zeitgleich entstandenen Überlegungen Jacques Maritains zur Erneuerung des katholischen Naturrechts ­ dazu beitrugen, die Idee einer menschenrechtlich orientierten internationalen Staatengemeinschaft nach dem 2.Weltkrieg als Leitidee im öffentlichen Bewusstsein zu implementieren. Diese ökumenische Theologie gewann vor allem in der Gründung der einflussreichen Commission of the Churches on International Affairs (CCIA) Gestalt.

Die vor allem im angelsächsischen Raum entwickelten sozialethischen Vorstellungen fanden ihren politischen Ausdruck in dem Versuch, mit Hilfe von Komitees und Kommissionen Einfluss zu nehmen, insbesondere auf die amerikanische Politik während und nach dem 2. Weltkrieg (49 ff.). Das führte insbesondere zur Gründung der Commission to Study the Bases of a Just and Durable Peace (CJDP), die mit der ökumenischen Vereinigung amerikanischer christlicher Kirchen zusammenarbeitete und durch enge Kontakte in die amerikanische Politik, insbesondere in die Regierung Roosevelt und deren Außenministerium, ihren Vorstellungen einer neuen Weltordnung Geltung verschaffen konnte.

Die entscheidende und zentrale Figur in diesen Kommissionen war der Lutheraner Frederick Nolde (28­45), ein Praktischer Theologe und Pädagoge aus Philadelphia. Nolde war gleichzeitig Mitglied des amerikanischen CJDP und der erste Direktor der CCIA. N. gelang es, den Nachlass Noldes für seine Studie auszuwerten. Und er konnte sehr genau herausarbeiten, wie Nolde in einer Mischung aus der Nutzung politischer Kontakte, organisatorischem Geschick und einem soliden theologischen Fundament seinen Einfluss innerkirchlich, ökumenisch und auf der Ebene internationaler Politik zur Wirkung brachte. Dies betrifft sowohl die Gründungsphase der Vereinten Nationen, die mit der Verabschiedung der UN Charta (93­125) im Jahr 1945 in San Francisco einen Höhepunkt fand, als auch für die lange Phase der Beratungen des Committee on Human Rights (143­171), das die Präsidentenwitwe Eleanor Roosevelt leitete. Die Beratungen des Committee on Human Rights führten schließlich nach einem komplizierten und politisch wie rechtlich von Auseinandersetzungen geprägten Ratifizierungsverfahren zur Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Dezember 1948. Nolde engagierte sich in diesen Auseinandersetzungen vor allem für den späteren Artikel 18 der Erklärung, in welchem die Religionsfreiheit behandelt wurde.

N.s detailreiche Darstellung endet mit einem Fazit, das den Zusammenhang zwischen Christentum und Menschenrechten betont (172­180). Ein Anhang enthält ausgewählte Quellendokumente.

N.s Studie schließt eine große Lücke in der Darstellung der Geschichte der ökumenischen Bewegung, der Entstehung der Vereinten Nationen und der ersten von ihr verabschiedeten Menschenrechtsdokumente. N. gelingt es ausgezeichnet, an der Person Noldes anschaulich herauszuarbeiten, wie dieser in einer Mischung aus politischem und strategischem Geschick auf der einen und bemerkenswertem theologischem Urteilsvermögen auf der anderen Seite den Zusammenhang zwischen dem politischen und juristischen Universalismus der Menschenrechte und den Ansprüchen einer weltweiten christlichen Ökumene zu einem Zeitpunkt energisch vorangetrieben hat, als in anderen Kirchen Menschenrechte noch als Ausdruck eines verachtenswerten Liberalismus und Individualismus galten. In dieser Hinsicht haben alle Kirchen in den letzten Jahrzehnten riesige Lernschritte vollzogen, aber darüber einen der wichtigsten theologischen und ökumenischen Wegbereiter, nämlich Frederick Nolde, fast vergessen.

Man wünscht sich nach dieser stärker historisch orientierten Arbeit eine weitere, dieses Mal sozialethische Studie, die Noldes Einfluss auf spätere theologische Menschenrechtskonzeptionen darstellt.