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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

559–561

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hilpert, Konrad

Titel/Untertitel:

Menschenrechte und Theologie. Forschungsbeiträge zur ethischen Dimension der Menschenrechte.

Verlag:

Menschenrechte und Theologie. Forschungsbeiträge zur ethischen Dimension der Menschenrechte.

Rezensent:

Georg Pfleiderer

1. Die im Band versammelten Aufsätze des seit 2001 in München lehrenden Moraltheologen Konrad Hilpert fächern das Thema breit aus, das bei dem Vf. seit der Habilitationsschrift (Die Menschenrechte. Geschichte ­ Theologie ­ Aktualität, Düsseldorf 1991) im Zentrum seiner ethischen Forschungsarbeit steht. Die 19 Aufsätze sind im Wesentlichen in den 90er Jahren entstanden; etwa die Hälfte von ihnen wird hier erstmals publiziert, viele der anderen wurden überarbeitet. Sie gehen häufig auf Vorträge zurück, die in unterschiedlichen akademischen und semiakademischen Kontexten gehalten wurden. Diese Ursprungskontexte sind auch in der Druckfassung teilweise noch zu spüren, was aber nicht stört. Man kann den Band so auch als die Dokumentation einer wissenschaftlichen Forschungs- und Bildungsarbeit lesen, die erkennbare bildungs-, ja gelegentlich sogar kirchenpolitische Ziele verfolgt. Insgesamt geht es dem Vf. um eine solide (historisch- und philosophisch-) theologische Aufklärung und um darauf fußende sozialethische Stellungnahmen, die ihre konfessionellen, katholischen Hintergründe nicht verleugnen, diese aber sehr weit und offen auslegen. Die kirchenpolitische Stoßrichtung wird insbesondere im Schlussbeitrag »Das Christentum auf dem Prüfstand der Menschenrechte« deutlich. Dort heißt es in wünschenswerter Klarheit: »An dem befremdlichen Sachverhalt, dass die Menschenrechte ohne bzw. sogar gegen die offizielle Position der Kirchen durchgesetzt werden mussten, gibt es nichts zu beschönigen.« (391) Zwar hätten die Päpste seit dem 2. Vatikanum, und gerade auch Johannes Paul II., sich die Verteidigung der Menschenrechte geradezu geopolitisch auf die Fahnen geschrieben; der »Blick ins Innere« (394) der katholischen Kirche zeige jedoch, dass bei deren Führungspersonal die Lektion der Menschenrechte in eigener Sache durchaus noch der Vertiefung fähig sei. Was den »Umgang mit abweichenden Meinungen von Theologen, engagierten Gläubigen und Amtsträgern in der Kirche« (395), den »grundsätzliche[n] Ausschluss der Frauen von allen Weiheämtern in der Kirche« (ebd.) oder die diversen Konfliktlagen der katholischen Sexual- und Eheethik (Ausstieg aus der Schwangerenkonfliktberatung), insbesondere in Kombinationen mit dem Amtsverständnis (vgl. 396) angehe, sei, so wird man den Vf. verstehen dürfen, eine Glaubwürdigkeitskluft zu diagnostizieren, zu deren Überwindung die hier vorgelegten Aufsätze insofern ihr Teil beitragen sollen, indem sie in bester Aufklärungstradition die Gewissen schärfen wollen.

2. Doch es soll kein falscher Eindruck entstehen: Die kritisch-kirchenpolitische Linie findet sich so explizit nur im Schlussbeitrag. Insgesamt sollen die Menschenrechte als Instrument sozialethischer, moralischer Gewissenschärfung entfaltet werden, und von dieser können innerkirchliche Belange natürlich nicht ausgenommen werden. Darum bilden materialethische Fragestellungen verschiedener Art das Zentrum des Bandes (Teile III­V). Die hier versammelten Arbeiten verwenden die Menschenrechte als normativ-analytisches Prisma zur Diskussion von grundlegenden Gerechtigkeitsfragen in der Genderproblematik, bei Kindern und im Strafvollzug. Einen eigenen ­ um die Konstitutionsproblematik von Menschenwürde und Personalität herumgeordneten ­ Themenkreis bilden bioethische Fragen wie Recht auf Leben, Biotechnologie und eine klare und unaufgeregte Auseinandersetzung mit Peter Singer. In allen diesen Problemzusammenhängen vertritt der Vf. jeweils eine, wie man sagen könnte, differenziert-deliberative linksliberale Position.

Ein schönes Beispiel dafür ist der Beitrag zur Sterbehilfeproblematik (201­216). Dass sich die harten Theoriealternativen von Autonomie und Paternalismus nur in der Praxis auflösen lassen, wird hier durch Einführung des Begriffs des »Sterbebeistandes« (210) dargelegt. In diesen Passagen wird auch deutlich, dass und inwiefern eine moralisch engagierte sozialethische Analyse aus inneren Gründen in seelsorgerliche Überlegungen übergehen muss.

3. In den Rahmenteilen des Bandes finden sich Arbeiten, die historische und systematische Sichtweisen zu verknüpfen wissen, wobei im Hintergrund stets auch theologische Interessen auszumachen sind. So wird etwa in einem Beitrag zur Französischen Revolution herausgearbeitet, dass deren Verlauf zwar, historisch gesehen, wesentlich für die Gegnerschaft der Kirche(n) gegen die Menschenrechtsthematik verantwortlich war, dass das Datum der Französischen Revolution aber auch ein für allemal den intrinsischen Zusammenhang von Menschenrechten und modernem säkularem demokratischem Rechtsstaat offengelegt hat. Das eine ist ohne das andere weder für die Kirchen noch für andere gesellschaftliche Institutionen zu haben. Systematische und systematisch-theologische Interessen werden auch erkennbar, wenn der Vf. wiederholt die kulturgeschichtliche Bedeutung der amerikanischen Kolonialgeschichte, insbesondere Lateinamerikas, und damit zusammenhängend die ideengeschichtliche Bedeutung der spanischen Spätscholastik für das Aufkommen der Menschenrechtsthematik betont. In dieser Spielart frühneuzeitlich-katholischer Theologie erblickt der Vf., wenn ich ihn recht interpretiere, gewissermaßen die sozialethisch-kritische Selbstbegrenzung und zugleich Selbstüberschreitung abendländisch-europäischen Denkens, das seinen chauvinistisch-imperialistischen Grausamkeiten mit den Menschenrechten Grenzen einzieht und Riegel vorschiebt. Auch wenn man als protestantischer Leser die starke Betonung jener theologischen Traditionsrichtung etwas apologetisch finden mag ­ methodisch ist der Gedanke sehr einleuchtend; denn er wendet die häufig so abstrakt betriebene kulturalistische Menschenrechtsdebatte historisch und christentumstheoretisch.

4. Zweieinhalb kritische Anmerkungen zum Schluss: Weniger einleuchtend, weil weniger differenziert als andere Passagen, finde ich die Überlegungen zur politischen Implementationsproblematik der Menschenrechte. Die häufig wiederholten Hinweise auf die zivilgesellschaftlich-politische Rolle von Nichtregierungsorganisationen blenden die Probleme ihrer demokratischen Legitimation weitgehend aus. Dass eine »Politik der Menschenrechte« (M. Ignatieff) auch auf mögliche kontraproduktive Effekte von politischer Destabilisierung zu achten hat, könnte intensiver überlegt werden. In theoretischer Hinsicht scheint mir die im Buchtitel ausgewiesene Betonung der »ethischen Dimension« der Menschenrechte, die deren Schwellenstatus zum Recht eher abblendet bzw. rein von dieser Seite aus betrachtet, doch eine Verkürzung der systematischen Denkaufgabe zu sein, die sich mit der Menschenrechtsthematik tatsächlich stellt. Auf der Basis einer solchen (tendenziell einseitig) ethischen bzw. moralischen Betrachtungsweise der Menschenrechte bleiben darum auch die ­ ansonsten sehr berechtigten ­ Argumente gegen moralisch-politische Großprojekte à la Hans Küng oder auch à la Helmut Schmidt u. a. (Menschenrechte ­ Menschenpflichten) etwas stumpf. Auch ­ und gerade­ im Hinblick auf die »ethische Dimension der Menschenrechte« könnte Hannah Arendts Formel von den Menschenrechten als dem »Recht Rechte zu haben« nach wie vor bedenkenswert sein.