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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

551–553

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Huxel, Kirsten

Titel/Untertitel:

Ontologie des seelischen Lebens. Ein Beitrag zur theologischen Anthropologie im Anschluß an Hume, Kant, Schleiermacher und Dilthey

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XII, 444 S. gr.8° = Religion in Philosophy and Theology, 15. Kart. Euro 69,00. ISBN 3-16-148524-6.

Rezensent:

Hartmut Raguse

Wie lässt sich der anthropologische »Ort« beschreiben, an dem Glaube und überhaupt Frömmigkeit angesiedelt sind? So fragt sich Kirsten Huxel in ihrer von Eilert Herms betreuten Tübinger Habilitationsschrift »Ontologie des seelischen Lebens«. Aber ist diese Frage theologisch überhaupt noch legitim? Zwar sei die Anthropologie einerseits das Korrelat der Christologie und stehe damit nahe am Zentrum christlicher Theologie, auf der anderen Seite führe sie nicht zufällig ein eher kümmerliches Dasein am Rande der Dogmatik. Denn zwei Traditionen seien es gewesen, die die Frage nach dem Menschen und vor allem die Frage nach der Seele immer mehr an den Rand drängten. In der Philosophie hätten der Empirismus David Humes und die transzendentale Kritik Kants je auf ihre Weise der metaphysischen Seelenlehre ein Ende bereitet und diejenige säkulare und empirische Psychologie ermöglicht, die heute vorherrscht. Theologisch aber gelte die Psychologie geradezu als Ursünde des Menschen, der darin ganz bei sich bleibe und nicht auf Gott schaue. Nur Schleiermachers Glaubenslehre sei hier die große Ausnahme. Aber die in seiner Tradition stehende liberale Theologie habe sich in zwei Weltkriegen disqualifiziert und damit dem Verdikt der Dialektischen Theologie gegen jede Psychologie große Plausibilität verliehen. Doch ohne Psychologie wäre es nicht mehr möglich, »die Phänomene des Gemütslebens Š in theologischer Absicht zu beschreiben«. H. geht es nun darum, genau dieses zu leisten, eine Theorie der Seele zu bieten, die einem theologischen Ziel dient. Es geht dabei keineswegs um eine allgemeine Religionspsychologie, sondern um eine in der reformatorischen Tradition stehende Psychologie, die dasjenige begriffliche Instrumentarium bietet, das nötig ist, um das Glaubensleben aufzuhellen.

Nach der problemstellenden Einleitung versucht H., sich in vier historisch orientierten Schritten ihrem Thema anzunähern, mit der Darstellung der Psychologien Humes, Kants, Schleiermachers und Diltheys. Der Vorteil dieser Auswahl bestehe vor allem darin, dass diese vier Systeme sich wie eine »sukzessive Fortsetzungsgeschichte« lesen lassen, in der von den jeweils früheren Fragen aufgeworfen werden, welche die folgenden weiterführen.

Die umfangreichen und gelehrten Kapitel erschließen sich dadurch ein wenig leichter, dass sie einheitlich aufgebaut sind: In einem Dreierschritt werden das Programm, seine Durchführung und schließlich der Ertrag für die Psychologie dargestellt, wozu auch die von ihnen jeweils nicht gelösten Schwierigkeiten gehören. So zeigt H. eindrücklich, wie Hume trotz seiner atomisierenden Seelenlehre nicht umhin kann, die Einheit des Bewusstseins immer schon vorauszusetzen. Kant hingegen destruiere zwar die klassische Psychologie, benutze zugleich aber implizit die zeitgenössische Psychologie als Erkenntnisorgan seiner transzendentalen Analyse. Die Rekonstruktion dieser impliziten Psychologie bildet den Hauptteil des Kapitels über Kant und führt zum Ergebnis, dass auch seine Analyse nicht etwas Letztes und Unhintergehbares sei, sondern immer schon eine Psychologie voraussetze.

Diese vorausgesetzte Psychologie aber ist das zentrale Thema Schleiermachers. In einer Fortführung von Arbeiten von Herms stellt H. die Psychologie Schleiermachers auf Grund der veröffentlichten Vorlesungsnotizen in ihrer historischen Entwicklung und auch systematisch dar. Dieses Kapitel ist für Theologen deshalb besonders wichtig, weil die Psychologie denjenigen Kontext bildet, in den die Schleiermachersche Glaubenslehre eingebettet ist. Das Religiöse ist zwar nicht die einzige, aber die höchste Form des menschlichen Bewusstseins.

Allerdings tritt gerade in diesem Kapitel ein gewisser Mangel des Buches besonders deutlich hervor: H. argumentiert ausschließlich immanent aus den vorliegenden Texten heraus. Dass es seitdem neue psychologische Entwürfe gibt, das bleibt vollständig ausgeklammert. Mich erinnerten viele der Ableitungen Schleiermachers an die Psychoanalyse in der Tradition Freuds. Das »Ich« als Leib und Seele, weiterhin der methodische Ausgang vom »Leben« und schließlich die Bildung einer Theorie als Verbindung von Empirie und Spekulation sind bei Freud zwar nicht identisch anzutreffen, aber doch nahe verwandt. Noch näher ist der Bezug zur angelsächsischen Psychoanalyse, die in höherem Maße die Tradition Kants und des deutschen Idealismus aufnimmt. Eine Aufnahme und ein Vergleich hätten dazu beigetragen, dem Buch seine gleichsam »esoterische« Abgeschlossenheit zu nehmen.

Mit Dilthey kommt H. zu dem letzten ihrer historischen Teile. Sie zeigt, wie dieser die Grundlegung der Geisteswissenschaften durch die Psychologie zu radikalisieren versucht. Sie wird zur Metawissenschaft, und der etwas spätere Gedanke Freuds liegt wiederum nahe, um dereinst alle Wissenschaft in Naturwissenschaft oder Psychologie aufzulösen. Aber Diltheys Weg ist ein anderer. Er wendet sich von der subjektiven Reflexion des Geistes zu dessen Objektivationen, den Gegebenheiten der Kultur. Sie erschließen ihren geistigen Gehalt durch eine Hermeneutik, die Dilthey von Schleiermacher aufnimmt und weiterentwickelt. Eigentümlicherweise aber werden die Gegenstände der Kultur auch zu natürlichen Objekten, die der Naturwissenschaft bedürfen. Die Psychologie, die ihrem Wesen entsprechend nicht nur verstehend, sondern immer auch erklärend ist, wird so zu einem Bindeglied, das die Differenz der beiden Typen von Wissenschaft wieder relativiert.

Die Frage nach dem Ertrag der historischen Untersuchungen handelt H. im letzten Teil »Grundlinien einer Ontologie des seelischen Lebens in theologischer Absicht« ab. Es geht ihr dabei zwar um eine allgemeine Psychologie, aber doch um eine solche, die aus der reformatorischen Perspektive auf das seelische Leben blickt. In naher Anlehnung an Schleiermacher zeichnet sie zuerst die allgemeinen Elemente seelischen Lebens nach: Fühlen, Denken, Wollen. In einem zweiten Teil kommt sie auf komplexere seelische Formen zu sprechen, die das Individuelle des Menschen im Vergleich zu anderen ausmachen, sowie auf Reifungsprozesse im Laufe eines Lebens. Vieles ist in diesem Kapitel nur skizzenhaft umrissen und wartet auf weitere Ausführung.

Mir fiel allerdings auf, dass gerade das Kapitel über das religiöse Bewusstsein recht kurz und wohl auch etwas blass ist. Ich vermute, das hängt damit zusammen, dass diese Ontologie des seelischen Lebens kaum einen Raum hat für die Konflikthaftigkeit und Abgründigkeit des Menschen, theologisch gesprochen, für seine postlapsarische Existenz. Gestalten wie Hiob, Jeremia oder Paulus würden darin kaum Hinweise zur Erklärung ihres seelischen Lebens finden. Aber auch für die bizarren Gottesvorstellungen vieler heutiger Menschen gibt das Buch nicht einmal den Ansatz einer Erklärung. Der objektbeziehungstheoretische Ansatz, also die Analyse innerer Bilder, die jeder Wahrnehmung eines anderen vorausgehen, könnte hier viel weiter führen. Er wurde vor allem von der englischen Psychoanalyse, teilweise unter Aufnahme kantianischer Gedanken (Bion, Money-Kyrle), entwickelt. Mir scheint, dass der an sich durchaus sinnvolle Ansatz beim reformatorischen Bewusstsein in Richtung eines liberal-christlichen Bildungsbegriffs verengt ist. Deshalb wird sich der Leserkreis dieses gelehrten und lesenswerten Buches auf einen kleinen Kreis vor allem von Schleiermacher-Experten beschränken. In der Pastoralpsychologie wird es vermutlich kaum rezipiert werden. Das ist deshalb bedauerlich, weil Freud in manchem der romantischen Tradition näher stand, als es ihm selbst bewusst war, während die Unterschiede gegenwärtig im Banne des naturwissenschaftlichen Empirismus übermäßig betont werden. Die Ausführungen von H. wären durchaus geeignet gewesen, hier eine Vermittlungsarbeit zu leisten. Aber das war nicht ihr Ziel und sollte deshalb auch nicht zum einzigen Maßstab einer Kritik werden.