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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

549–551

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Ghio, Giorgio

Titel/Untertitel:

La deliberazione vitale come origine ultima della certezza applicata a DioIndagine sugli elementi d¹ignoranza presenti nella certezza

Verlag:

Roma: Editrice Pontificia Università Gregoriana 2004. 251 S. gr.8° = Tesi Gregoriana. Serie Teologia, 108. Kart. Euro 16,00. ISBN 88-7652-995-0.

Rezensent:

Karl-Heinz Menke

Die an der Gregoriana in Rom eingereichte Dissertation des Genueser Theologen Giorgio Ghio will Argumente für die These sammeln, dass die Gewissheit des Glaubens mehr ist als das Ergebnis eines rationalen Diskurses. Solche Argumente sucht er bei zwei Philosophen und drei Theologen, und zwar bei Ludwig Wittgenstein, John L. Mackie, Eberhard Jüngel, Chrìstos Yannaras und Hansjürgen Verweyen. Als einziges Kriterium für die Auswahl der genannten Autoren nennt er deren Disparität. Offenbar will er zeigen, dass so unterschiedliche Ansätze wie die von Eberhard Jüngel und Hansjürgen Verweyen auf je verschiedene Weise die eigene These stützen. Es geht ihm, wie er ausdrücklich betont (19 f.), nicht um eine wissenschaftliche Analyse unterschiedlicher philosophischer und theologischer Ansätze, sondern um die Untermauerung einer bestimmten Position.

In Wittgenstein ­ speziell in dessen postum veröffentlichten Werk »Über Gewissheit« ­ erkennt er deshalb einen Verbündeten, weil dieser von der Bindung jedweder Gewissheit an eine Praxis bzw. Lebensform spricht, die als solche nicht noch einmal durch einen rationalen Diskurs als wahr erwiesen werden kann. Dabei reflektiert er in keiner Weise die Wittgensteinsche Grundthese, dass jeder Denkakt immer schon sprachlich vermittelt und daher ein metasprachlicher Vergleich unterschiedlicher Sprachspiele unmöglich sei. Der Vf. sammelt, wie gesagt, nur Hinweise auf vorreflexive Bedingungen der Gewissheit des Glaubens. Die Frage, ob Wittgensteins Hinweise an eine Theorie gebunden sind, die mit dem Wahrheitsanspruch des Christentums kollidiert, interessiert ihn nicht. Deshalb fehlt in seinen Ausführungen auch jeder Hinweis auf die vor allem im deutschen Sprachraum unternommenen Versuche (vgl. z. B. Klaus von Stosch, Glaubensverantwortung in doppelter Kontingenz. Untersuchungen zur Verortung fundamentaler Theologie nach Wittgenstein, Regensburg 2001, vgl. Rezension in ThLZ 129, 2004, 75), Wittgensteins Sprachphilosophie mit dem christlichen Wahrheitsanspruch zu vermitteln.

Noch deutlicher wird diese Vorgehensweise des Vf.s in seinen Ausführungen zu der von John L. Mackie vorgetragenen These, dass weitaus mehr gegen die Existenz eines Gottes spreche als dafür. Statt die philosophischen Prämissen dieser These auszuleuchten und mit den Prämissen der von Richard Swinburne vertretenen Gegenthese zu vergleichen, geht es dem Vf. ausschließlich um die Feststellung, dass die antitheistische Option ebenso wenig wie die theistische Option ausschließlich auf rational-philosophische Motive gestützt werden kann.

Im Werk des gegen jede Art von Fundamentaltheologie allergischen Protestanten Eberhard Jüngel lobt er dessen antithetischen Vergleich einer von der Vernunft ausgehenden Absicherung mit dem alle menschlichen Gewissheiten entsichernden Sprung des Glaubens in die von Gott geschenkte Sicherung. Auch hier wird ein Aspekt affirmierend herausgegriffen, ohne dessen Verortung in einem aus katholischer Sicht durchaus problematischen Ansatz kritisch zu bedenken. Ähnliches gilt mutatis mutandis für die Ausführungen des griechisch-orthodoxen Theologen Chrìstos Yannaras, der ­ gestützt auf Pseudo-Dionysius Areopagita und Martin Heidegger ­ die negative Theologie gegen den Begriffsrationalismus der westlichen Scholastik und speziell des deutschen Idealismus stellt und theologisch von einer direkten Proportionalität zwischen Vertrauen und Erleuchtung spricht. Die Suche des Vf.s nach unterstützenden Argumenten für die eigene These gipfelt in einer nicht nur oberflächlichen, sondern schlicht falschen Darstellung der von Hansjürgen Verweyen vertretenen Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft. Der Vf. unterstellt dem Freiburger Fundamentaltheologen den ­ aus seiner Sicht offensichtlich gescheiterten ­ Versuch, die Gewissheit des Glaubens an die Eruierung eines Begriffs von letztgültigem Sinn binden zu wollen. Der Vf. hätte lediglich eine der inzwischen zahlreichen deutschen Monographien über Verweyens Werk konsultieren müssen, um die Abwegigkeit dieser Behauptung zu erkennen. Denn Verweyen betont durchgehend, dass die Eruierung eines Begriffs letztgültigen Sinns, wenn sie denn gelingt, nichts über die Realität dieses Sinns, geschweige denn über die Identität dieses Sinns mit dem Christusereignis aussagt. Die Eruierung eines Begriffs letztgültigen Sinns bedeutet lediglich die Möglichkeit dessen, was wir glauben, wenn wir Jesus als den Christus glauben. Also bemisst sich nach Verweyen die Gewissheit des Glaubens an Christus keineswegs an der Gewissheit eines Begriffs oder einer philosophischen Argumentation.

Kein Kapitel dieser Dissertation erfüllt den Anspruch einer wissenschaftlichen Untersuchung. Vielmehr benutzt der Vf. die fünf genannten Autoren wie bestimmte Scholastiker Zitate aus der Bibel, nämlich als »dicta probantia«. Seine an sich zutreffende These, dass die Gewissheit des Glaubens mehr ist als die Summe rationaler Argumente für die Glaubwürdigkeit des Geglaubten, ist längst Allgemeingut der Theologie. Erst jüngst haben zwei umfangreiche Arbeiten (Markus Tomberg, Glaubensgewissheit als Freiheitsgeschehen. Eine Relecture des Traktats »De analysi fidei«, Regensburg 2002; Achim Schütz, Phänomenologie der Glaubensgenese. Philosophisch-theologische Neufassung von Gang und Grund der analysis fidei, Würzburg 2003) die Geschichte der analysis fidei aufgearbeitet und die Frage nach der Glaubensgewissheit als ein Spezialproblem der Verhältnisbestimmung von Gnade und Freiheit ausgewiesen. Es ist bezeichnend, dass der Vf. diese Arbeiten ebenso wenig erwähnt wie die einschlägigen Untersuchungen zu Wittgenstein, Jüngel oder Verweyen. Folglich entgeht ihm, wie bedenklich seine Anleihen bei Autoren sind, deren philosophische Prämissen er vermutlich nicht teilt.