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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

542–544

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Melanchthon, Philipp

Titel/Untertitel:

Elementa rhetorices. Grundbegriffe der Rhetorik

Verlag:

Mit den Briefen Senecas, Plinius¹ d. J. und den »Gegensätzlichen Briefen« Giovanni Picos della Mirandola und Franz Burchards. Hrsg., übers. und komment. von V. Wels, Berlin: Weidler 2001. 525 S. 8° = Bibliothek seltener Texte in Studienausgaben, 7. Euro 50,00. ISBN 3-89693-185-7.

Rezensent:

Johann Anselm Steiger

Anzuzeigen ist eine Edition, der innerhalb der historisch-theologischen Wissenschaft und weit darüber hinaus Aufmerksamkeit gebührt. Erstmals liegen nun Melanchthons ðElementa rhetoricesÐ in einer vollständigen und zugleich erschwinglichen lateinisch-deutschen Ausgabe vor. Zu verdanken ist dies dem Germanisten Volkhard Wels, der mit der nötigen editorischen Akribie, beachtlicher Sachkenntnis und profunder übersetzerischer Kompetenz einen Text zweisprachig zugänglich gemacht hat, der nach seiner erstmaligen Publikation im Jahre 1531 einen Siegeszug als Schul- und Handbuch antrat, im Reformationsjahrhundert ca. 80 Neuauflagen erfuhr und somit zu den am häufigsten gedruckten Lehrbüchern des Protestantismus des 16. Jh.s gerechnet werden darf. Die ðElementaÐ gehörten im gymnasialen Schulwesen vielerorts zur Pflichtlektüre, sind mehrfach von anderen Autoren kommentiert worden und haben weit über den deutschen Sprachraum hinaus gewirkt. Dreimal hat M. den Text der ðElementaÐ überarbeitet, verändert und erweitert (1532, 1536, 1539). Wels entscheidet sich wohlbegründet für die 1539 von Georg Rhau gedruckte, in der Tat definitive und manche Ergänzungen enthaltende Ausgabe der ðElementaÐ als Leittext seiner Edition und verzeichnet die einschlägigen Varianten (477­483) der früheren Drucke sowie diejenigen der letzten zu Lebzeiten des Autors erschienenen Auflage (Wittenberg: Johannes Crato 1559). Ein knappes, aber dicht formuliertes Nachwort führt in die Entstehungs-, Redaktions- und Druckgeschichte der ðElementaÐ ein, stellt die sich wohltuenderweise am Prinzip des Verzichts auf jegliche ahistorische Normalisierung orientierenden Editionsprinzipien vor und bietet eine Einführung in Inhalt und Aufbau der Schrift. Eine wichtige Hilfestellung beim Studium der Quelle bieten zudem das »Glossar rhetorischer und dialektischer Fachtermini« (485­497), das reichhaltige Quellen- und Literaturverzeichnis (501­518) sowie die den Aufbau der ðElementaÐ detailliert vor Augen stellende Inhaltsübersicht (7 f., vgl. 464) zu Beginn des Bandes. Sehr benutzerfreundlich ist darüber hinaus das kombinierte Personen- und Werkregister, dem ein Sachregister, ein Verzeichnis der behandelten rhetorischen Figuren und ein Bibelstellenregister folgen (519­525).

Die Edition bietet das lateinische Original (ein Zeilenzähler wäre wünschenswert gewesen) und die deutsche Übersetzung synoptisch auf gegenüberliegenden Seiten dar. In Form von Fußnoten zum deutschen Text werden extratextuelle Verweise aufgeschlüsselt, weniger bekannte Personen vorgestellt und zum Verständnis des Textes notwendige Sacherläuterungen rhetorischer, historischer und theologischer Art gegeben. Die Übersetzung hält sich einerseits eng an den Text der Vorlage, ist jedoch zugleich gefällig formuliert und darum gut lesbar. Der edierte Text und die Übersetzung machen einen durchweg zuverlässigen Eindruck, Druckfehler bilden seltene Ausnahmen (im deutschen Text z. B. 51, Z. 5; 131, Z. 2). Vereinzelte Übersetzungsschwächen wird der geneigte Leser anhand des lateinischen Textes zu emendieren bestrebt sein. So sollte die Wendung »Et uoluntas adsentiens ac non repugnans spiritui sancto, non ipsis peccatis indulgens, eaque repetens« (48) wohl besser übersetzt werden mit: »Š und der Wille, der dem Heiligen Geiste zustimmt und ihm nicht dadurch widerstreitet, daß er sich eben diesen Sünden ergibt und sie wiederholt.«

Dass in der Melanchthon-Forschung trotz des unübersehbar reichen Ertrages der letzten Jahrzehnte noch manches zu tun ist, hebt Wels mehrmals zu Recht hervor: Dabei wird etwa deutlich, wie wenig zufriedenstellend die bibliographische Erschließung des ‘uvres M.s wie der Druckschriften des 16. Jh.s insgesamt infolge des Fehlens wichtiger Personalbibliographien sowie der allzu rigiden Beschränkung von VD16 auf ausgewählte Bibliotheken großenteils immer noch ist (vgl. 466). Genauso schwer wiegen z. B. das Fehlen einer Neuausgabe von M.s »De rhetorica libri tres« (1519) sowie einer eingehenden komparatistischen Analyse derselben im Hinblick auf die ðElementaÐ (vgl. 465).

Es kann kein Zweifel sein: Mit Wels¹ Edition wird der akademischen Lehre und der Forschung ein zentraler Basistext frühneuzeitlicher Bildungsgeschichte zugänglich gemacht, auf den niemand, der sich mit (weltlicher wie geistlicher) Redekultur, Literatur, Theologie, Schulwesen etc. des 16. und beginnenden 17. Jh.s beschäftigt, wird verzichten können.