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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

539 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hazlett, W. Ian P

Titel/Untertitel:

The Reformation in Britain and Ireland

Verlag:

An Introduction. London-New York: T & T Clark International (Continuum) 2003. XVIII, 241 S. m. Abb. gr.8°. Kart. £ 19,99. ISBN 0-567-08280-6.

Rezensent:

Hellmut Zschoch

»The assumption throughout this book is that the Reformations in Ireland and Britain were typically European and so ambivalent responses to the breakdown of the religious and theological consensus.« (25) Ian Hazlett, Kirchenhistoriker in Glasgow, möchte mit seiner aus einer öffentlichen Vorlesungsreihe erwachsenen »Einführung« die Reformationsgeschichte der britischen Inseln als ein europäisches und ein religiös-theologisches Phänomen verstehen lassen. Auch wenn er England, Wales, Irland und Schottland in je eigenen Kapiteln behandelt, geht es ihm um eine Gesamtsicht auf die Epoche kirchlicher und gesellschaftlicher Neuorientierung bis in die erste Hälfte des 17. Jh.s hinein. Neben der europäischen Kontextualisierung unterscheidet die ­ damit zusammenhängende ­ theologische Akzentuierung H.s Darstellung vom Mainstream britischer Reformationsgeschichtsschreibung. Für H. steht die religiöse Kontroverse im Zentrum, bei der es nicht um Nebensächlichkeiten geht, sondern um »colliding concepts of God, human nature, the world, salvation, the Gospel, faith, grace, authority, sanctity, church, ministry and worship« (XVI), die sich im öffentlichen Streit mit Machtansprüchen, sozialer Disziplinierung und kulturellem Wandel verbinden. Leider deutet H. seinen geschichtstheologischen Zugang nur an: »the tale is one of Two Cities and their interaction« (XVI) ­ von diesem augustinischen Konzept aus hätte die breite Auseinandersetzung mit neuzeitlichen historiographischen Zugängen seit Ranke (1­16) möglicherweise noch an Profil gewinnen können. Gegen aus seiner Sicht reduktionistische Mythenbildungen in der Geschichtsschreibung entscheidet sich H. für eine »selektive Vogelperspektive« (12), für eine problemorientierte Gesamtschau, die die ereignisgeschichtlichen Verläufe weitgehend als bekannt voraussetzt und zur Entdeckung gemeinsamer Strukturen anleitet, die wiederum zu neuer Beschäftigung mit Details stimuliert.

Eine Leseirritation sei an dieser Stelle vermerkt: S. 12, Z. 44 bis S. 13, Z. 2 werden zwei Sätze von S. 10, Z. 10 ff. (fast) wörtlich wiederholt (»the danger of added-value ðinterdiciplinaryÐ models Š«). Hätte möglicherweise der ganze S. 13 folgende Absatz an jene Stelle gehört?

Seinem Programm folgend setzt H. sich zu den vier historisch-geographischen Bereichen jeweils mit den historiographischen Perspektiven auseinander, besonders ausführlich zu England (Modern Accounts: 27­36) und Schottland (Accounts Old and New: 113­133). Diese Kapitel leisten eine klare und kritische Strukturierung traditioneller, in verschiedenen Prägungen konfessioneller und revisionistischer Ansätze sowie mentalitätsprägender Geschichtsdeutungen (David Hume: 117­121). H. selbst verweigert sich z. B. im Streit um die Popularität der englischen Reformation sowohl dem protestantischen Mythos eines breiten Reformkonsenses in der Bevölkerung als auch dem revisionistischen Mythos einer ungebrochenen populären papstkirchlichen Frömmigkeit. Er misstraut der Aussagekraft von religiösen Äußerungen der illiteraten Bevölkerung, welcher Couleur auch immer; statt dessen bevorzugt er eine Sicht der Reformation als eines elitären Geschehens: »authentic religious commitment and zeal of the pro-Reformation kind was mainly found among a small, if activist and influential fraction of the various populations« (24). Leider verbindet H. diese kritische Einsicht nicht mit der für die Breitenwirkung der Reformation so oder so ausschlaggebenden Frage nach der Kommunikation religiös-theologischer Inhalte, z. B. in Gestalt einer reformatorischen Predigtbewegung. Freilich hebt er mehrfach hervor, dass die Reformation in Sachen religiöser Bildung und Bewusstseinsformung, der »evangelization of the nation« (so 159 im Blick auf Schottland), an ihre Grenzen gestoßen sei ­ nicht zuletzt durch den Vorrang (kirchen)politischer Macht- und Verfassungsdiskussionen.

Auch theologischen Mythen gilt H.s Kritik: Sowohl gegenüber der anglokatholischen Konstruktion von der anglikanischen »via media« zwischen Protestantismus und Papstkirche als auch gegenüber der spät- oder nachreformatorischen Identifizierung von Calvinismus und Presbyterianismus betont er den rechtfertigungstheologisch akzentuierten »broad reformed consensus« (z. B. 156), in den Anstöße der Wittenberger, der oberdeutsch-schweizerischen und der Genfer Reformation eingingen und für den die Auseinandersetzung mit der zunehmend durch die kontinentale Gegenreformation geprägten papstkirchlichen Anschauungen bestimmend blieb.

Die materialen Darlegungen zur Reformation in England (37­72), Wales (73­84), Irland (85­112) und Schottland (135­168) können hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. Nicht immer frei von apologetischer Angestrengtheit, lohnen sie die Lektüre wegen der Einordnung der Vorgänge in größere ­ europäische ­ Zusammenhänge und wegen der konsequenten Hervorhebung theologischer Impulse im Kontext widerstreitender politischer Konzepte. Gerade an den meist unbeachteten Entwicklungen in Wales und Irland zeigt H., wie die reformatorischen Umbrüche in höchst unterschiedlicher Weise identitätsbildend zu wirken vermochten und welche Rolle dabei (das gilt auch für Schottland) die Präsenz religiöser Anschauungen in den keltischen Sprachen spielte. Während es im politisch befriedeten Wales gerade mit dem Verweis auf das Alter des reformatorischen Christentums und die Rückkehr zu den ­ keltischen! ­ Ursprüngen gelang, eine protestantische »britische« Identität aufzubauen, kamen in Irland das imperiale Streben der englischen Krone und die damit verbundene Anglisierungspolitik der Reformation nachhaltig in die Quere und ließen die protestantisch-irische »Staatskirche« zur kolonialen Fiktion werden.

H. hat eine differenzierte, dezidiert europäische und protestantische Einführung in die Reformationsgeschichte der britischen Inseln vorgelegt. Sie regt dazu an, auch aus kontinentaler Perspektive diese Geschichte nicht nur als kuriose Marginalie, sondern als integralen Bestandteil des Reformationsgeschehens in den Blick zu nehmen ­ hier wie dort »variable, partial, and asymmetrical« (169).

Das Buch ist durch weiterführende Anmerkungen (173­205), durch ein ausführliches Literaturverzeichnis (207­228) und durch mehrere Register (229­241: historische Namen, Autorinnen und Autoren, Sachen und Begriffe) vorzüglich erschlossen. Fünf Abbildungen (VII­XI) reproduzieren Seiten aus englischen, walisischen und irisch-gälischen Bibelausgaben sowie aus John Carswells gälischer Übersetzung des Book of Common Order der schottischen Reformation, 1567 das erste in dieser Sprache gedruckte Buch.