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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

532–534

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Ristow, Sebastian

Titel/Untertitel:

Neue Forschungen zu den Anfängen des Christentums im Rheinland

Verlag:

Münster: Aschendorff 2004. XII, 258 S. m. Abb. gr.8° = Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsband Kleine Reihe, 2. Geb. Euro 43,00. ISBN 3-402-08190-3.

Rezensent:

Ulrich Volp

Seit über 40 Jahren gibt es zu dem vom Franz Joseph Dölger-Institut verantworteten Jahrbuch für Antike und Christentum Ergänzungsbände, in denen eine Reihe von Dissertationen und Habilitationen und Festschriften aus dem Umkreis des Instituts erschienen sind. Die Jahrbücher und ihre Ergänzungsbände sollten ursprünglich »vorbereitenden und weiterführenden Untersuchungen aus der Forschungsarbeit des Instituts« angesichts der durch »den gegenwärtigen Zusammenprall der geistigen Weltmächte« als gefährdet empfundenen christlichen Kultur Raum geben (JAC 1 [1958], 160). Der hier zu besprechende Band eröffnet (zusammen mit der gleichzeitig erschienenen Bonner Dissertation über das erste Konzil von Toledo von Andreas Weckwerth) nun eine dritte Reihe des Jahrbuchs mit dem Zusatz »kleine Reihe«, und man ist gespannt, inwieweit sich hier noch Spuren des ursprünglichen Reihenkonzeptes wiederfinden lassen. Deutlich billiger scheinen die Bücher der kleinen Reihe leider nicht zu werden, aber das kleinere Druckformat und das für Farbabbildungen besser geeignete Papier kommen doch heutigen Qualifikationsarbeiten und Lesegewohnheiten entgegen.

Dass das Dölger-Institut im Rheinland gegründet wurde, hat sich über die Jahre als Glücksfall erwiesen, denn in kaum einem anderen Teil Deutschlands lässt sich »Antike und Christentum« an so vielen gut erhaltenen spätantik-frühmittelalterlichen Kirchbauresten und anderen archäologischen Zeugnissen erforschen. Diesem archäologischen Zugriff auf das antike Christentum ist der aus einer Ringvorlesung heraus entstandene Band überwiegend gewidmet. Eröffnet wird er jedoch zunächst mit einem Überblick über die ­ spärlichen ­ literarischen Zeugnisse im Hinblick auf das frühe rheinische Christentum von Ernst Dassmann. Josef Engemann ergänzt dies durch eine gelungene Revue einiger Beispiele heidnisch-synkretistisch-christlicher Kleinfunde. Die übrigen Beiträge befassen sich überwiegend mit den Ergebnissen von (Nach-)Grabungen unter rheinischen Kirchen: den Dombauten von Köln (Sebastian Ristow) und Xanten (Thomas Otten), den Kirchen St. Gereon, St. Ursula und St. Severin in Köln (Ute Verstegen, Gernot Nürnberger und Bernd Päffgen) und der Bonner Münsterkirche (Christoph Keller/Ulrike Müssemeier). Die beiden Beiträge über Trierer Kirchenbauten (Winfried Weber und Andrea Binsfeld) wirken fast wie Fremdkörper, weil es nur wenige Parallelen zwischen den Geschichten der Trierer und den rheinischen Christengemeinden gibt, wie die Beiträge eindrücklich zeigen. Zwei epigraphische Beiträge vervollständigen das Bild: Winfried Schmitz gibt darin einen Überblick über antik-christliche Inschriften aus dem Rhein-Mosel-Dreieck, und Eberhard J. Nikitsch referiert über solche aus Boppard.

Es fällt auf, dass die Zeit der Generalisten, die das Profil des Dölger-Instituts in seiner Gründungsphase prägte und Voraussetzung für sein Konzept von »Antike und Christentum« gewesen ist, vorbei zu sein scheint, was noch mehr für das apologetische und kulturvergewissernde Anfangsprogramm des Jahrbuchs gelten darf. Das big picture kultureller Kontinuität weicht auch in der christlichen Archäologie der differenzierenden Forschung, die deutlich macht, dass die Anfänge des Christentums komplizierter und vielschichtiger waren, als sie unseren Vorvätern zuweilen schienen. Versuche einer vorschnellen Harmonisierung von Aussagen eines Irenäus oder Tertullians mit dem archäologischen Befund einer rheinischen Kirchengrabung finden sich hier nicht mehr. Negativ formuliert: Man kann sich nicht immer des Eindrucks erwehren, dass dies vielleicht auch etwas mit mangelnder Kenntnis der grundlegenden literarischen Quellen und ihrer historischen Zusammenhänge zu tun hat, was ebenfalls eine Nebenwirkung wissenschaftlicher Spezialisierung sein dürfte. Manche Randbemerkung macht dies deutlich, so etwa die pauschale Vermengung von Völkerwanderungsproblemen des 5. mit wirtschaftlichen Umbrüchen des 3. Jh.s oder die Vermischung der gegen die Christen gerichteten Unterdrückungmaßnahmen Julians mit den Christenverfolgungen unter den Goten eineinhalb Jahrzehnte früher. Positiv gewendet eröffnen solch unvoreingenommene Blicke auf den archäologischen Befund aber auch Chancen, und darin liegt der besondere Wert dieses Buches. Zu mancher Revision vielleicht lieb gewonnener Urteile wird der geneigte Leser gedrängt: im Hinblick auf die Datierung der Vorgängerbauten des Xantener Doms, auf den ursprünglichen Zweck des Kölner Gereonkirchenbaus oder des Vorgängerbaus der Kölner Ursulakirche. Angesichts ganz ähnlicher Ergebnisse des Herausgebers in seiner Neubewertung des archäologischen Befundes unter dem Kölner Dom (außerdem publiziert 1997 und 2002; vgl. RAC 21 von 2004) durfte man einen solch frischen Blick vielleicht zu Recht erwarten. Auch von der Vorstellung einer christlichen Märtyrerverehrung im 4. Jh. (Cassius und Florentinus) am Ort des Bonner Münsters wird sich mancher nach der Lektüre dieses Buches wohl verabschieden, und es wird einmal mehr deutlich, dass nun wirklich nicht jeder Gegenstand mit »christlichen« Symbolverzierungen einen kultisch-liturgischen Sitz im Leben hat (Engemann).

Spannend ist das Sammelwerk schließlich auch deshalb, weil die unterschiedlichen Untersuchungsgegenstände (Grabinschriften, Kleinfunde, Kirchenbauten) die Autoren zu recht gegensätzlichen Meinungen gelangen lassen: Konstatiert der eine auf Grund epigraphischen Materials die Kontinuität römisch-städtisch-christlicher Kultur im Rhein- und Moseltal mit einem deutlichen Zivilisationsgefälle zum heidnisch-ländlichen Raum (Schmitz), so erschüttern die Grabungsergebnisse in den meisten anderen Beiträgen den Glauben an so etwas wie römisch-christliche Zivilisationskontinuität im Rheinland; keiner der besprochenen spätantiken rheinischen Bauten aus der Zeit vor dem 6. Jh. kann mit Sicherheit als Gemeindekirche identifiziert werden. Jedenfalls liefert die in diesem Band in Erscheinung tretende Archäologie kaum Material, das aus der Zeit vor 500 sichere Hinweise auf den Gottesdienst der »in Germanien gegründeten Gemeinden« enthält, von denen Irenäus schon Ende des 2. Jh.s wissen wollte.