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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

382–384

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Moritz, Thorsten

Titel/Untertitel:

A Profound Mystery. The Use of the Old Testament in Ephesians.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XIII, 252 S. 8°= Supplements to Novum Testamentum, 85. Lw. hfl 142.­. ISBN 90-04-10556-5.

Rezensent:

Andreas Lindemann

Die Studie, die auf einer bei G. Stanton in London geschriebenen Dissertation basiert, fragt in zehn Kapiteln nach dem Gebrauch des AT im Eph. Zu diesem Thema gab es bisher noch keine größere Monographie, was damit zusammenhängen mag, daß der Vf des Eph (= AuctEph) vom AT nur "beiläufig" Gebrauch macht, wie Harnack einst notierte(1). Nach einer knappen Einleitung stellt M. in acht Kapiteln die Verwendung von Schriftzitaten in acht Abschnitten bzw. Einzelversen des Eph dar; es folgen eine knappe Zusammenfassung sowie eine umfassende Bibliographie und Register.

Eingangs (Kap. 1) betont M. (1-8), er wolle nur die definitiven Zitate untersuchen, d. h. solche Texte im Eph, die eine direkte Vorlage (deutsch im englischen Text) erkennen lassen (3). Möglicherweise sei Eph der in Kol 4,16 erwähnte "Laodicenerbrief" (und zugleich ein "Zirkularschreiben"); in Laodicea habe es eine größere Judenschaft gegeben, und der vom Kol signifikant abweichende Gebrauch des AT durch den AuctEph sei dann jedenfalls leicht zu erklären (6). Vielleicht stammten beide Briefe sogar vom selben Autor; die AT-Bezüge fänden sich nämlich gerade dort, wo der Eph auf dem Kol aufbaue ­ d.h. der Autor könne sie um der veränderten Adressatensituation willen eingebracht haben (8; vgl. 219 f.); doch dies ist für M. allenfalls ein Nebenaspekt.

In Kap. 2 (9-22) untersucht M. den Gebrauch von Ps 110,1; 8,7 in Eph 1,20-23; hier werde nicht Tradition aufgenommen, sondern es liege eine reflektierte Interpretation der beiden Psalmverse vor. M.s Vorgehen ist methodisch freilich nicht überzeugend: Zunächst weist er den Gedanken ab, man müsse a priori vermuten, daß ältere Tradition gebraucht sei; vielmehr sei zu zeigen "that vv 20-23 may well be the result of the author’s own awareness of and original reflection on the two Psalms" (9; Hervorhebung von mir). Diese Annahme bestätigt sich für M. durch den Vergleich mit dem übrigen NT-Befund (1Kor 15,25-27), und auf der Basis der Behauptung (claim) "that Eph 1.20-23 may well result from the author’s own reflection" (14; Hervorhebung von mir) wird nun dieses Zitieren inhaltlich gedeutet. Damit ist die Beweislast der Argumentation umgekehrt worden: Der Text des Eph deutet ja einen Zitatcharakter durch nichts an, und während sich angesichts des Wortbestands die Verwendung von Ps 8,7 in 1,22 immerhin wahrscheinlich machen läßt, ist eine Bezugnahme auf Ps 110 nicht zu erkennen. Die Möglichkeit, daß die paulinischen Aussagen in 1Kor 15,25 ff. im Hintergrund stehen könnten, wird von M. gar nicht diskutiert; er meint sogar, AuctEph zeige ein hohes Maß an exegetischer Aktivität ­ er wisse, daß Ps 8 im Zusammenhang der Schöpfungslehre eine Rolle spiele, und so liege eigentlich eine Art Adam-Christus-Typologie vor, in der Christus mit dem "Menschensohn" (uios anthropos) aus Ps 8,5 LXX identifiziert werde.

In Kap. 3 (23-55) untersucht M. den Gebrauch von Texten des Jes-Buches in Eph 2,13-17. Daß hier ein "Lied" verwendet sei, weist M. zurück; vielmehr komme es dem AuctEph darauf an, Aussagen über die Beseitigung der Mauer (V. 14b-16) durch Anspielungen auf Jes zu rahmen (V. 13.14a und V. 17). Angespielt werde, dabei der Tendenz des AT-Textes inhaltlich ganz entsprechend, auf Jes 56,1-8. Auf die zweite Jes-Stelle (52,7) gehe streng genommen zwar nur das Verb euaggelizesthai zurück, doch sei der ursprüngliche Kontext mitzuhören (51). AuctEph vertrete nicht das "Verheißung-Erfüllung"-Schema, als seien die zitierten AT-Texte "predictions of the Christ event"; aber er verstehe das Christusereignis als "the decisive salvation-historical extension and culmination of a principle which he detected already in the Prophet’s vision" (53), verbunden mit der Vorstellung, daß durch Jesu Kreuz die Tora abgelöst worden sei (54; AuctEph wende sich gegen judaisierende Juden- und Heidenchristen im westlichen Kleinasien "to abandon their focus on the Torah in favour of the new man"). M.s Analyse ist über weite Strecken überzeugend; es fehlt allerdings jede Diskussion der Frage, warum AuctEph auch hier durch nichts andeutet, daß er gezielt Jes-Texte aufnimmt.

Daß in Eph 4,8-10 ein Zitat aus Ps 68(67),19 (nach englischer Zähltradition, die V. 1 als Überschrift auffaßt, schreibt M. durchgängig "v 18") verwendet und interpretiert wird, steht außer Frage, ebenso, daß der Wortlaut im entscheidenden Punkt erheblich verändert wurde. M. weist in Kap. 4 (56-86) die meist vertretene Annahme zurück, hier liege der Einfluß von Targumtradition vor; die (auch in 5,14 begegnende) Einleitungswendung "deshalb heißt es" (dio legei) zeige gerade, daß nicht die Schrift selbst zitiert werde, sondern "an early Christian adaptation of Ps 68.18". Mit V. 9 f. polemisiere AuctEph gegen eine jüdische Interpretation von Ps 68, die von der Gabe der Tora durch Gott gesprochen habe (72 f.).

Anspielungen bzw. Zitate finden sich nach M. (Kap. 5 und 6) in den sittlichen Weisungen 4,25-30 und 5,18; gerade nach seiner Kritik an der Tora wolle AuctEph hier zeigen, daß es in der Ethik sehr wohl eine Kontinuität mit der biblischen Tradition gebe (95). Der "Hymnus" in 5,14 sei stark durch Jes 26,19; 60,1 f. beeinflußt; indem AuctEph diesen Dreizeiler zitiere, um das Gewicht der ethischen Mahnungen im Kontext zu verstärken, komme er der Deutung beider Texte in der jüdischen nachbiblischen Wirkungsgeschichte sehr nahe (109-112).

Eingehend befaßt sich M. in Kap. 7 mit der Verwendung von Gen 2,24 in Eph 5,31 f. (117-152; die Bedeutung von Gen 2,24 in der jüdischen und neutestamentlichen Auslegungstradition wird ausführlich gewürdigt, 121-131). AuctEph habe die Haustafel des Kol bewußt durch Zitate aus dem Pentateuch ergänzt, um für seine Abwehr der im Judentum zunehmend lockerer werdenden Ehescheidungspraxis zusätzliche Autorität zu gewinnen; mit Blick auf die unauflösliche Einheit von Christus und Kirche spreche er von der Unauflöslichkeit der (christlichen) Ehe und erkläre, daß dies die "Wahrheit" (mysterion) der biblischen Aussage sei. Dasselbe Verfahren zeige sich in 6,2f., wo AuctEph abweichend von Kol 3,20 das fünfte Gebot zitiert (Kap. 8, 153-177). In Eph 6,10.14-17 findet M. schließlich wieder mehrere Bezugnahmen auf Aussagen des Jes-Buches, vor allem 11,4 f. und 59,17; 52,7. Das Bild der Waffenrüstung sei nicht primär metaphorisch zu verstehen, sondern verweise auf den Tierkampf, zu dem Christen auch in Ephesus hätten verurteilt werden können (209-211).

In der Zusammenfassung stellt M. fest, AuctEph habe das AT "deliberately and carefully" gebraucht, zunächst mit Blick auf die Ekklesiologie, dann mit Blick auf die Ethik (213). Dies sei ein Indiz dafür, daß zu den "intended recipients" des Eph keineswegs nur Heidenchristen, sondern auch Judenchristen unterschiedlichster Provenienz gehört hätten (216), auch wenn Heiden gewiß nicht alle Nuancen der Anspielungen verstanden haben dürften (216-219). Die Bezugnahmen gerade auf Jes dienten auch dazu, den Einfluß heidnischer, u. a. auch astrologischer Vorstellungen bei den Adressaten zurückzuweisen (217 f.).

Es ist zweifellos ein Verdienst des Buches von M., die Frage des Schriftgebrauchs im Eph thematisiert zu haben. Er hat dazu nicht nur die Forschung in angemessener Weise rezipiert, sondern ist jeweils auch der jüdischen Rezeption der zur Diskussion stehenden biblischen Texte intensiv nachgegangen. Sein Vorgehen ist gleichwohl methodisch nicht unproblematisch: Er nimmt von vornherein an, daß in den genannten acht Abschnitten des Eph Zitate vorliegen, ohne daß diese Voraussetzung zunächst einmal kritisch überprüft oder zumindest näher expliziert worden wäre. M. notiert zwar, daß förmliche Zitateinleitungen fehlen; aber den Versuch einer Erklärung dieses Befundes gibt es nicht. Daß die Wendung dio legei in 5,14 auf kein (uns bekanntes) Schriftwort hinweist, ist klar; aber genügt dies als Argument für die These, auch in 4,8 liege kein Bibelzitat vor? Und umgekehrt: Gerade wenn dem AuctEph, wie M. annimmt, im Bereich der Ethik an der Betonung der Kontinuität mit der Bibel gelegen war, würde man doch erwarten, daß der Schriftbezug expliziert würde; das aber ist ­ mit Ausnahme von 6,2 f. ­ nicht der Fall.

M. zeigt überzeugend, daß der Einfluß des AT auf die Argumentation des Eph nicht unterschätzt werden darf(2), aber eine schlüssige Deutung des tatsächlich gegebenen Textbefundes steht auch nach dieser Monographie noch aus.

Fussnoten:

(1) Moritz schreibt irrtümlich (1 Anm. 2): "Strangely Koch, Zeuge 4 notes a lack of OT material in Ephesians in what is otherwise an excellent study". Koch zitiert a. a. O. die oben erwähnte Feststellung Harnacks.
(2) Insofern stimme ich M.s Kritik auch an einigen meiner Thesen (Die Aufhebung der Zeit, 1975) durchaus zu.