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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

520–522

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stettberger, Herbert

Titel/Untertitel:

Mahlmetaphorik im Evangelium des Lukas. Eine gattungskritische Untersuchung zur didaktischen Konzeption

Verlag:

Münster: LIT 2005. 211 S. 8° = Theologie, 71. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-8258-8137-7.

Rezensent:

Wolfgang Schenk

Die überarbeitete Lizentiatsarbeit, die 1995 in München bei Franz Laub entstand, hat ihr Spezifikum im »kognitiv-linguistischen Untersuchungsansatz« (19­34). Seit der »Kognitiven Wende« Anfang der 60er Jahre (19.32) grenzt man sich von den traditionellen Abbildungstheorien der Sprache ab und sieht sprachliche Begriffe als Ergebnisse von mental gesteuerten Wahrnehmungsprozessen, die Welten festlegen und nicht etwa nur spiegeln. Die aktive (strukturierende) Wahrnehmung führt zu Prototypen, Leitmetaphern und Figur-Hintergrund-Schemata, die die Sprache als Epiphänomen der Kognition und nicht mehr als autonomes System aufscheinen lassen (wie noch in der Modularitätsthese N. Chomskys, nach der alle semantischen Unterscheidungen syntaktisch abgebildet werden können). Dennoch soll die »Kognitive Linguistik« weder als gesonderte Disziplin noch als unverzichtbares exegetisches Hilfsmittel und schon gar nicht als Alternative zur historisch-kritischen Exegese angesehen werden. »Vielmehr können kognitiv-linguistische Überlegungen ausschließlich an historisch-kritische Erkenntnisse anknüpfen und auf dieser Basis neue Gesichtspunkte ins Spiel bringen; die Zusammenarbeit zwischen Kognitiver Linguistik und Historisch-kritischer Exegese muss entweder Hand in Hand gehen oder sie funktioniert überhaupt nicht« (28.32, vgl. 75­84).

Im Unterschied zu den beiden von einer lexikalisch fixierten, bloßen Wortbedeutung ausgehenden Metapherntheorien, der »Substitutionstheorie« des Aristoteles (35­39; bis Jülicher und J. R. Searle) und der »Vergleichstheorie« Quintilians (39­41; bis Bultmann, Vielhauer, Eichholz), geht die moderne »Interaktionstheorie« vom aktiven Zusammenwirken von Konzepten aus, die die Bedeutung erst hervorbringen (41­57: Mauthner, Bühler, Black, Weinrich, MacCormac, Kurz). Schon die unangemessene Bezeichnung durch Aristoteles »Über-tragung« verkennt, dass die Metapher keine Abweichung vom normalen Sprachgebrauch, sondern der normale Sprachgebrauch ist. Enorm wichtig für ein Verständnis »der Metapher ist die Einsicht in ihre Vergänglichkeit: Die Einteilung: Metapher hier, Standardsprache dort, okkasionelle Bedeutung auf der einen Seite, usuelle Bedeutung auf der anderen Seite erübrigt sich von selbst, wenn man bedenkt, dass es aufgrund der Lebendigkeit der Sprache gar keine festen, dauerhaften Grenzen in diesen Bereichen gibt« (50). Die Metapher ist »in erster Linie ein Phänomen des Alltags«. Irreführend ist seit Aristoteles die Verbannung der Metaphorik »in den Bereich der Rhetorik« (47). Die Metapher präsentiert sich als Gegenstand einer Semantik des Satzes, noch bevor sie sich auf eine Semantik des Wortes bezieht. Nur im Zusammenhang einer Aussage ergibt die Metapher einen Sinn; sie ist ein Phänomen der »Prädikation« und hat nicht etwa nur eine attributive Funktion (53­54 gegen Schlussfolgerungen Jüngels). Die substitutions- und vergleichstheoretischen Metaphernverständnisse verstehen zu Unrecht die Metapher als autonome Gattung (57­62: Jülicher, Fiebig, Bultmann, Dodd, Jeremias, Dibelius, Eichholz, Fuchs), während die Interaktionstheoretiker die Metapher zu global als übergeordnetes Gattungsprinzip bestimmen (62­69: Crossan, Sellin, Funk, Ric¦ur, Via, Harnisch, Güttgemanns, Weder). Doch das Kriterium der direkten Gleichsetzung ohne Vergleichspartikel erlaubt nur eine relative Überordnung über Bildworte, Beispielerzählungen und Fabeln (69­71.75).

Nachdem »Das Mahlmotiv und die Metaphorisierung des Mahles im religionsgeschichtlichen Vergleich« (85­100.184­186) hinsichtlich ihres numinosen Charakters einerseits wie ihrer kommunikativen Funktion andererseits als Hintergrund, auf den Lukas zurückgreifen konnte, bestimmt wurden, wendet sich der Vf. der »Mahlmetaphorik innerhalb des Lukasevangeliums« zu (101­196). In einem ersten Ansatz (101­129) werden die sechs Mahlmetaphern im Einzelnen ermittelt (Lk 5,33­35; 13,23. [24.25.]26.[27.28.]29; 14,15­24; 15,2.11­32; 22,19.20; 22, 30a), und zwar im Dreischritt von semantischer Spannung zwischen Mahltext und Kontext (paradigmatische Analyse), semantischer Korrespondenz (syntagmatische Analyse) und semantischer Verknüpfung (synthetische Analyse). Im ersten Fall Lk 5,33­35 ergibt sich das metaphorische Grundschema: »Die in der Pharisäerrede angesprochenen essenden und trinkenden Jesusschüler (Subjekt) [sind] (Kopula) die nicht fastenden Söhne des Brautgemachs (Prädikat)« (106); im zweiten Falle Lk 13,23.26.29: »Diejenigen, die gerettet werden (Subjekt) [sind] (Kopula) diejenigen, die sich (zu Tisch) legen im Königreich Gottes (Prädikat)« (110); im fünften Falle Lk 22,19.20 liegen jeweils zwei Metaphern in der Grundform vor (119­120, vgl. Anm. 293: »Die Klassifizierung der Mahlworte Jesu als Metaphern soll ­ basierend auf der kognitiv-linguistischen Metapherntheorie ­ gerade nicht bedeuten, dass hier nur redundantes Übertragungs- bzw. Synonymieverhältnis vorliege, sondern dass eine wahrhaftige Identität zum Ausdruck gebracht wird«); im sechsten Fall Lk 22,30a lautet die metaphorische Grundform: »In das Reich Gottes kommen (Subjekt) [ist] (Kopula) am himmlischen Mahl teilzunehmen (Prädikat)« (123). Im Unterschied dazu liegen in den drei Fällen (Lk 12,36­38; 17,7­10; 22,27) eindeutig keine Metaphern, sondern Vergleiche vor (123­126). Diese Ergebnisse werden textkritisch abgesichert (130­135) und nach Tradition und Redaktion bestimmt (135­167); zudem wird festgehalten, dass keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen, die auf eine Gattungsmetamorphose (etwa vom Vergleich zur Metapher) hindeuten (167­178.196).

So liegen in allen drei Bereichen (kognitiv-linguistischer Ansatz, Klärung der Metapherntheorie, lukanische Mahlmetaphorik) beachtliche Klärungen vor, die die Studie lesenswert machen.