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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

516–518

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Okambawa, Wilfried

Titel/Untertitel:

Paulus und Sophia. Eine exegetisch-rhetorische Untersuchung zu 1Kor 1,10­31

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien: Lang 2003. 403 S. 8° = Europäische Hochschulschriften. Reihe 23: Theologie, 774. Kart. Euro 68,50. ISBN 3-631-51876-5.

Rezensent:

André Heinze

Zu der Debatte um das Verhältnis von Theologie und Philosophie will die 2002 von der Katholisch-Theologischen Fakultät in München angenommene Dissertation durch die Untersuchung der sophia-Frage in 1Kor 1,10­31 einen Impuls beisteuern. Nach einer Darstellung der bisherigen Lösungsvorschläge für die Parteien- und sophia-Frage (12­26) untersucht O. in zwei großen Arbeitsschritten 1Kor 1,10­17 (27­200) und 1,18­31 (201­284) exegetisch-historisch und rhetorisch, bevor er die paulinischen und korinthischen Weisheitsverständnisse darstellt und miteinander vergleicht (284­368).

Als Hintergrund der Parteienbildung (27­79) erkennt O. eine Begeisterung der Korinther für die Philosophie und Rhetorik und damit die ðWeisheitÐ. Diese führten zu einem Missverständnis des neuen Glaubens als sophia und damit zur Orientierung an den einzelnen Verkündigern. Diese These klingt zunächst nachvollziehbar. Doch bei der genaueren ðUntersuchung der vier ParteienÐ (54­59) kann O. letztlich nur in Bezug auf Apollos eine entsprechend begründete Parteibildung wahrscheinlich machen, bleibt vergleichbare Belege für die drei anderen Parteien aber schuldig.

Da O. den Grund für dieses Missverständnis in einer ðendogenen ideologischen Situation der korinthischen GemeindeÐ vermutet, untersucht er das Verhältnis der Gemeindeglieder zu Rhetorik und Philosophie. Weit ausholend widmet er sich der Entwicklung der Bedeutung der Rhetorik (80­144), bei der er für den Bereich der antiken Welt das Ringen um ein Miteinander zwischen Rhetorik und Philosophie darstellt (80­113). Im Kynismus und der Diatribe erkennt er die gelungenste Verbindung, die breite Bevölkerungsschichten erreichte und dabei auch religiöse ðMachtÐ bekam. Für das Judentum stellt O. im Verlauf der steigenden Bedeutung der Synagogenpredigt eine zunehmende Akzeptanz römisch-griechischer Rhetorik auch im religiösen Bereich fest (113­125). Für das kosmopolitisch geprägte Korinth betont O. schließlich (126­144) eine große Empfänglichkeit für gemeinsam etablierte Werte wie der sophia. Diese Atmosphäre ist für O. die Ursache dafür, dass die korinthischen Christen »ihre verschiedenen Missionare nach dem Standpunkt der Rhetorik verstanden und eingeschätzt« haben (143). Sophia logu erweist sich somit als Ausdruck einer von den Korinthern erwarteten Philosophie und Redekunst, die für die Parteiungen verantwortlich ist und in der Paulus ein grundsätzliches Problem sieht.

In der detaillierten rhetorischen Untersuchung von 1Kor 1, 10­17 arbeitet O. zahlreiche Bezüge des Paulus zur römisch-griechischen Rhetorik heraus, betont aber auch jüdische Einflüsse und wehrt eine einseitige Zuordnung des Apostels ab (155­200). Die ganz als Gerichtsrede aufgebaute narratio 1, 10­17 strukturiert er in propositio (V. 10), expositio (V. 11 f.), heuristische refutatio (V. 13­16), kann dann aber dem für ihn so zentralen V. 17 nur noch die Bedeutung einer transitio zu 1,18­2,16 zubilligen.

Diese letzte Beobachtung ist sicherlich richtig und zur Bestimmung des Verhältnisses der häufig viel zu schnell getrennten Perikopen hilfreich, doch fehlt damit 1,10­17 in der rhetorischen Analyse ein eigentlicher Schluss. Die ausdrücklich abgelehnte These vom ðKreuzÐ als bloßes rhetorisches Argument wirkt wie ein Durchbrechen der Fragestellung dieses Arbeitsschrittes. Gleichwohl zeichnet sich dieser Abschnitt durch eine große Intensität der grammatischen sowie rhetorischen Analyse aus, und man liest ihn im Blick auf Einzelfragen mit Gewinn.

In der exegetisch-historischen Untersuchung zu 1,18­31 (202­258) erkennt O. in 1,18­25 eine Teilung der Menschheit in zwei ðMenschenklassenÐ. Der Grund hierfür liegt in der Ablehnung der Verkündigung vom Kreuz durch deren Beurteilung nach weltlich-menschlichen Maßstäben, zu denen O. Weisheit und Zeichen rechnet, bzw. in der gläubigen Annahme des Wirkens Gottes in Kreuz und Auferstehung Christi. Paulus ging es demnach nicht um eine allgemeine Diskreditierung der sophia, sondern um eine rechte Unterscheidung von menschlicher Weisheit, die Gott beurteilt, und einer ðhöherenÐ Weisheit, die sich Gott verdankt und sich ihm unterwirft. 1,26­31 ist die Illustration dieser ðUmwertung aller etablierten WerteÐ. Christus wird den Korinthern nicht als Vermittler einer neuen Weisheit neben anderen vorgestellt, sondern als die Weisheit Gottes in Person, die ihre eigentliche Absicht in der Erlösung erreicht. Da dies aber aller menschlichen Weisheit unmöglich ist, erweist sie sich als Torheit.

Die rhetorische Untersuchung von 1,18­31 (258­270) mit der Unterscheidung in docere (V. 18­25), exemplum (V. 26­28) und Lektion (V. 29­31) fällt im Vergleich zu der von 1,10 ff. sehr kurz aus. Wie ein Exkurs wirkt die kurze Auseinandersetzung mit der von O. abgelehnten These, in 1,18­31 einen der jüdischen Homilie verwandten Text zu sehen (270­272).

In der abschließenden Frage nach dem Verhältnis des Paulus zur Rhetorik (272­283) zeichnet O. das Bild eines zwar rhetorisch geschulten Paulus, der sich aber gleichzeitig »vor allem aus theologischen Gründen« (281) von rhetorischen Mitteln distanzierte. Nicht zuletzt hierdurch erkennt O. in ihm einen »Pionier der christlichen Rhetorik« (278). Die zum Teil sehr dichte Darstellung lässt manches offen, als würde O. nur andeuten, seine Ergebnisse aber nicht fortführen (vgl. 263 ff. zur ðRingkompositionÐ oder 267 zum argumentum ad hominem). Besonders die Aussage vom ðPionierÐ bleibt leider etwas wenig inhaltlich gefüllt.

Im letzten Teil seiner Arbeit bestimmt O. die paulinische und korinthische sophia näher, um ihr Verhältnis zueinander darzulegen (284­369). Hierbei erkennt er die paulinische sophia als eine Kombination der jüdischen Traditionen von skeptischer, schöpfungstheologischer, vor allem aber apokalyptischer Weisheit (284­314). In Bezug auf die korinthische sophia lehnt O. einen gnostischen Hintergrund grundsätzlich ab und betont statt dessen einen hellenistisch-philosophischen (314­354).

Dabei bietet O. teilweise sehr pointierte Thesen, etwa in Bezug auf das Judentum als keiner möglichen Quelle des Gnostizismus, vgl. 320: »Gnostizismus und Judentum sind unvereinbar«. Es ist zu fragen, ob die ansonsten von ihm durchaus komplex aufgezeigten Quellen des Gnostizismus nicht sehr eingeschränkt werden.

Hierdurch erschienen Jesus und die ihn verkündigenden Missionare den Korinthern als Weisheitslehrer, deren Weisheit zu einer unter anderen verkommen musste. Den philosophischen Ursprung der korinthischen sophia unterstreicht O. durch Hinweise auf epikuräische, stoische, kynische und platonische Elemente, gegen die Paulus im 1Kor argumentiere. Dieser Eklektizismus der korinthischen Weisheitsvorstellung entsprach der ðallgemeinen Stimmung der damaligen PhilosophieÐ (353).

Die Haltung des Apostels zur sophia (354­368) sieht O. dadurch bestimmt, dass Paulus durch die Gleichsetzung des Gekreuzigten mit der präexistenten Weisheit die göttliche der immanenten Weisheit der Korinther entgegensetzen und hierdurch Letztere als ungenügend qualifizieren wollte.

Der Beitrag von O. bietet eine pointierte Gegenposition zu der mehr und mehr selbstverständlichen Ablehnung eines philosophischen Hintergrundes der sophia logu in der neueren Exegese. Die zahlreich beigebrachten Belege der Überlegungen sind beachtenswert. Leider erschweren einige missverständliche Literaturverweise, eine uneinheitliche Verwendung von Abkürzungen und manche Schreibfehler den Gebrauch der Arbeit.