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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

496–498

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Dochhorn, Jan

Titel/Untertitel:

Die Apokalypse des Mose

Text, Übersetzung, Kommentar.

Verlag:

Mohr Siebeck 2005. XIV, 657 S. gr.8° = Texts and Studies in Ancient Judaism, 106. Lw. Euro 119,00. ISBN 3-16-148255-7.

Rezensent:

Martin Meiser

Nach Jahrzehnten relativer Ruhe ist die Forschung zur sog. Apokalypse des Mose auf Grund einer Neugewichtung der vorhandenen Textbasis sowie ihrer Überlieferungsorte und -bedingungen wieder in Bewegung geraten; dabei zeichnet sich in textkritischen, literarkritischen und rezeptionsgeschichtlichen Fragen ein neuer Konsens ab, während die religionsgeschichtliche Zuordnung und die Datierung der Apokalypse Moses in ihrer Urfassung umstritten ist: Handelt es sich um eine frühjüdische Schrift aus der Zeit von ca. 200 v. Chr. bis 200 n. Chr. oder um eine frühchristliche Schrift erheblich späteren Datums? Parallelen zu den Einzelmotiven haben bisher keine eindeutige Antwort ergeben.

In dieser Situation nimmt man das vorliegende Werk des mehrfach einschlägig ausgewiesenen Spezialisten Jan Dochhorn mit besonderer Spannung zur Hand und wird nicht enttäuscht: Unter gediegener Kenntnis des religionsgeschichtlichen Umfeldes, dessen syrische, armenische und koptische (vgl. die Wiedergabe zweier bisher vernachlässigter koptischer Fragmente zu Apk Mos 28,3­4; 31,2­4, 55­60) Zeugnisse er jeweils in den Ursprachen verwerten kann, und mit stupender Gelehrsamkeit bis ins kleinste Detail hinein bietet D. einen Kommentar, der nicht nur den bisherigen Stand der Auslegung zusammenfasst, vielmehr eine kohärente Interpretation entwickelt, die in Neuland vorstößt.

Für die Textkonstitution maßgebend ist die Einsicht, dass sich die Überlieferungsbedingungen der Apk Mos grundlegend von denen etwa des Neuen Testaments unterscheiden: Die Unbildung der Abschreiber verursachte oft willkürliche Omissionen, und ökonomische Umstände veranlassten oft Kürzungen, so dass »das Lectio-brevior-Prinzip nur höchst eingeschränkt zur Geltung kommen kann« (80). Daher rückt D., einem Trend der neueren Forschung folgend, von der einseitigen Bevorzugung der Handschriften D St AV bei Marcel Nagel ab. Er rechnet mit zwei Grundformen der Textüberlieferung, »deren eine (*Ia) die Gruppe A-AC-Ath-C (= Nagels Rezension I¹), die (scil. armenischen, georgischen und lateinischen) Adamviten und *II (scil. = Va P1 sowie das slavische Adambuch) hervorgebracht hat, während die andere (*Ib) von D-St AV An2-Pa-AH B auf der einen Seite und der *III-Überlieferung (= Ps J2 J3 An1 ApcMos(arm) J1 E1 S2 AD E2 Br S1) auf der anderen Seite repräsentiert wird« (75). Im Endeffekt schließt sich D. häufig den bei Bertrand favorisierten Lesarten an (6).

Der Vergleich mit J. Tromp, The Life of Adam and Eve in Greek. A Critical Edition, PsVTG 6, Leiden 2005, zeigt: Konsens besteht in der Konstituierung der Handschriftenfamilien und größtenteils auch in deren Zuordnung zu den Archetypen (ein Dissens besteht nur in der diesbezüglichen Zuordnung von AV An2 Pa AH B), Dissens besteht teilweise in der Konstruktion der Anfangsphasen der Textüberlieferung. ­ Im Lichte der o. a. Überlieferungsbedingungen werden auch die meisten der von D. vorgeschlagenen Konjekturen (Aufstellung: 94 f.) verständlich, denn, so die literatursoziologisch, literarkritisch wie religionsgeschichtlich gleichermaßen bemerkenswerte Hauptthese seines Buches, so ungebildet häufig die Abschreiber waren, so wenig gilt dies für die Autoren. Feststellbar ist vielmehr:

1. Die Apokalypse des Mose setzt an vielen Stellen die Kenntnis sowohl des hebräischen als auch des griechischen Textes von Gen 2­5 voraus, ferner das Jubiläenbuch, das als Referenztext »offenbar Š ohne weiteres für den biblischen Text einstehen« (217) konnte. Viele Partien sind nicht lediglich Erzeugnisse frommer Phantasie, sondern suchen in Form narrativer Exegese Fragen zu beantworten, die sich einem aufmerksamen und kritisch nachfragenden Leser der Urgeschichte stellen. Diese Einsicht führt D. konsequenterweise zu seiner religionsgeschichtlichen Einordnung.

2. Die Verfasser der Apokalypse des Mose sind nicht Christen, sondern Juden, die möglicherweise ein- und derselben schriftgelehrten Schule vermutlich in Palästina im 1. bis 2. Jt. n. Chr. angehört haben und mit den in rabbinischer Literatur üblichen exegetischen Methoden arbeiten (165). In Zusammenhang damit steht die literarkritische These:

3. Die Spannungen zwischen Apk Mos 1­14 und Apk Mos 15­30 hinsichtlich der Deutung von Gen 3 sind nicht auf die Verschiedenartigkeit der jeweils rezipierten Traditionen zurückzuführen; vielmehr ist innerhalb des Werkes eine relecture von Adamüberlieferungen festzustellen: Apk Mos 15­30 hat Apk Mos 7­8 und Apk Mos 9­14 als Vorlage gedient (vgl. Apk Mos 7,2a mit Apk 17,1 ­ Apk Mos 17,1b­2 ist seinerseits Marginalglosse innerhalb von Apk Mos 15­30 ­; vgl. Apk Mos 7,2b mit Apk Mos 18,5; 19,3; vgl. Apk Mos 9,1 mit Apk Mos 24,2 f.).

4. Als redaktionsgeschichtliche These ergibt sich insgesamt: Ein Testament Evas (Apk Mos 15­30; 33,2­37,6) und eine Grablegungserzählung (Apk Mos 31,2­3a; 38,1b ff.) wurden von einer Redaktion, für die eine dichotomische Anthropologie kennzeichnend ist, zur Einheit verbunden; diese Redaktion ist »mit derjenigen Redaktion identisch Š, welche die Apc Mos als Ganzes konzipiert hat« (133) und auch für Apk Mos 1­14 verantwortlich zeichnet (Nachendredaktionelle Zusätze sind Apk Mos 5,5­6,3a; 42,5­7; 43,3).

Die unter Nr. 1 genannte exegetische Arbeit hat offensichtlich auf allen Traditionsstufen stattgefunden.

Manche Deutungen mögen nicht zwingend erscheinen (z. B. 197 f. zu Apk Mos 1,3 sowie 500 zu Apk Mos 33,3). Trotzdem­ die Häufigkeit der o. a. Beobachtungen spricht für sich. Rezipientenorientiert betrachtet erweist sich die Apokalypse des Mose als ein Werk mit mehreren Ebenen: Sie ist Paränese (vgl. Apk Mos 30,1) und Trost (vgl. Apk Mos 39), und sie ist zugleich exegetische Arbeit an ihren Vorlagen.So kann man D. nur ausdrücklich gratulieren zu seinem Opus magnum. Es wird die weitere Forschung anregen: Dem Vergleich zur jüdischen wie christlichen, spezifisch exegetischen Literatur sind spannende Aufgaben gestellt, gerade im Lichte der geistigen Herausforderung der Entstehungszeit, in der jüdische wie christliche Grundlagentexte vor dem Forum antiker Philologie wie philosophischer Theologie gerechtfertigt werden mussten.