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Ausgabe:

Mai/2006

Spalte:

489–492

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schadel, Erwin

Titel/Untertitel:

Johann Amos Comenius ­ Vordenker eines kreativen Friedens. Deutsch-tschechisches Kolloquium anlässlich des 75. Geburtstages von Heinrich Beck

Verlag:

(Universität Bamberg, 13.­16. April 2004). Frankfurt a. M.: Lang 2005. 610 S. m. Abb. 8° = Schriften zur Triadik und Ontodynamik, 24. Kart. Euro 97,50. ISBN 3-631-52851-5.

Rezensent:

Rüdiger Braun

Der Sammelband enthält die Publikation eines anlässlich des 75. Geburtstags des Bamberger Philosophen Heinrich Beck abgehaltenen deutsch-tschechischen Kolloquiums, zu dem die von Beck eingerichtete und heute vom Herausgeber geleitete Forschungsstelle »Interkulturelle Philosophie und Comeniusforschung« im April 2004 an die Bamberger Universität eingeladen hat. Knapp 30 Referenten aus dem In- und Ausland stellten in zahlreichen Facetten die weitreichenden Reformbestrebungen des tschechischen Universalgelehrten Johann Amos Comenius (1592­1670) vor, der als »Vordenker eines kreativen Friedens« sowohl theologisch wie philosophisch fundierte Pläne für einen umfassenden Völkerfrieden entwickelt hat.

Die neben umfangreichen Präliminaria und Appendizes aufgeführten und fünf Abteilungen zugeordneten Beiträge versuchen, Comenius¹ Friedensgedanken in historischer (Zum Friedensgedanken in der frühen Neuzeit), pädagogischer (Comenius¹ Friedenspädagogik und seine irenischen Bemühungen), theologischer (Theologische Elemente der Universalreform), interkultureller (Grundzüge der interkulturell konzipierten Pansophie) und philosophischer Perspektive (Philosophisch-metaphysische Dimensionen des pansophischen Friedensbegriffes) nachzuspüren und so deren Relevanz für eine durch kriegerische Konflikte und Terrorismus bedrohte Gegenwart aufzuweisen.

Der begrenzte Rahmen einer Rezension nötigt zu einer Auswahl der Beiträge. Den Themenbereich I eröffnet das Referat von Arnulf Rieber (43­64), der als wesentliche Argumentationsgrundlage für Comenius¹ Auseinandersetzung mit den Antisozinianern auf Cusanus¹ Schrift De pace fidei verweist, die unter trinitarischem Aspekt bzw. mit Blick auf den zugleich einen und dreifaltigen Ursprung des Universums eine Versöhnung der Weltreligionen versucht und Comenius¹ Friedensdenken wesentlich beeinflusst hat. Eine weitere Quelle comenianischen Denkens entdeckt Hans-Rüdiger Schwab (65­104) in der Tradition des erasmisch geprägten humanitas-Begriffes, demzufolge die Ausrichtung auf Frieden »eine Art ontologisches Gesetz« (70) darstelle, das in pädagogischer Perspektive auf die »Mobilisierung aller vernünftigen, sittlichen und religiösen Kräfte des Menschen zur Gewinnung des Friedens« abzielt (93). In diesem Konzept einer »Heilung durch richtige Erziehung« sieht Schwab auch den eigentlichen »Kern« des comenianischen Programms.

Die diesem Programm erwachsenden friedenspädagogischen Bemühungen werden in Walter Eykmanns den pädagogischen Abschnitt einleitenden Beitrag (173­188) ausführlich thematisiert. Ausgehend von den pädagogischen Abschnitten der als »umfassende Beratung« übersetzten consultatio catholica stellt er einzelne Schritte jener »Weltverbesserung« (panorthosia) dar, die durch ein Bildung und Erziehung in sich vereinigendes Programm der Vervollkommnung der menschlichen Verhältnisse (emendatio rerum humanarum) erreicht werden soll und so dem Ziel dient, die geistigen und moralischen Dispositionen des Menschen zur Schaffung des Friedens »bereit und willens« zu machen (187).

Der die »systematisch-integralen Implikationen in Comenius¹ antisozinianischer Kontroverse« (237­260) thematisierende, eigentlich eher dem philosophischen Abschnitt des Bandes zuzuordnende Beitrag von Regine Froschauer analysiert das Trinitätskonzept des Comenius und sieht dieses in genuin neuplatonischen Denkansätzen verwurzelt. Demnach stelle die plotinische Lehre von einem sich aus den Momenten des »schöpferischen In-sich-Verweilens, des formenden Aus-sich-Hervorgehens und des erfüllenden Zu-sich-Zurückkehrens« konstituierenden trinitarischen Seinsvollzug gleichsam ein »Vorläufermodell« für Comenius¹ Trinitätslehre dar, die »das Insgesamt des vielheitlich Seienden« als »Ausfluß des urguten All-Einen« verstehen lässt und so für Comenius zu einem »universal anwendbaren hermeneutischen ðSchlüsselÐ zur Lösung der in seiner Zeit andrängenden Fragen und Probleme« (253) werden konnte. Den auf »positive Grundstrukturen des vor-konfessionellen christlichen Glaubens« verweisenden Kristallisationspunkt comenianischen Denkens entdeckt Petr Zemek (261­284) darin, dass der Mensch die »Vollzugsmomente des einen Göttlichen« wie Können, Wissen und Wollen »widerspiegelt« und so den »deszendenten Strom der Seinsmitteilung in aszendente Tätigkeit umzukehren« vermag (269).

Die Herausstellung der pädagogischen Dynamik des comenianischen, eine »Harmonie von Wissen und Glauben« anstrebenden Denkens ist auch das Anliegen des Beitrags von Jan Lasek (285­296), der das »zentrale Bemühen« von Comenius darin sieht, »den Zustand der Welt zu verändern: Status mundi renovabitur« (291). Im Gegenüber zu dem bei Augustinus und Luther betonten Begriff der »Veränderung« bzw. radikalen Bekehrung konzentriere sich Comenius auf den Begriff der »Erziehung« des Menschen, der dadurch, dass er »das Werk Gottes und die Hilfe Gottes an sich selbst vollbringt«, »das wahrhaftigste Abbild Gottes und Š einen lebendigen Spiegel seines Schöpfers« darstellt (Panorthosia, 289). Auf dieser systematisch-theologischen Basis gründet, wie Jürgen Beers Beitrag (317­332) im Ausgang vom Prodromus Pansophiae herausstellt, auch Comenius¹ Einladung zum interkulturellen Dialog. Demnach biete allein eine durch entsprechende »Komplexitätsreduktion und Konzentration auf das Wesentliche« gewonnene sapientia universalis, verstanden als eine Harmonisierung aller Wissensbestände bzw. eine vollkommene Erkenntnis von Gott, Natur und Kunst, die Gewähr dafür, »die mannigfachen Verkapselungen in Sondertraditionen und Sektierertum« (318) zu überwinden und so die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben und kooperatives Handeln zwischen den Völkern zu schaffen.

Diese von Comenius auf den Weg gebrachte, auf einer integral-triadischen Ontologie gründende »Panorthosie als Konzept zukünftiger Sicherung des Weltfriedens« (333­346) sieht Karel Floss kongenial weitergeführt in der Bamberger trinitarischen Schule (Beck u. a.), derzufolge die Triadik einen »einzigartigen hermeneutischen Schlüssel« (341) für eine integrative, sich im Medium lernbereiter Partnerschaft vollziehende Annäherung der unterschiedlichen Weltkulturen darstellt. Als wesentliche Triebfeder für diese konsolidierende Friedens-Beratung arbeitet der Beitrag von Matthias Scherbaum (365­386) das in der geschöpflichen Anlage eines jeden Menschen vorhandene natürliche Glückstreben heraus, auf das, insofern es einer allseits erkennbaren objektiven Sinnstruktur bedarf, die trinitarische Metaphysik gleichsam »antwortet«: Der Mensch, der in seinem Denken und Handeln »natürlicherweise« mit dem trinitarischen Ursprung »kooperiert«, wird zum schöpferischen Frieden mit der Natur, mit sich selbst und mit Gott befähigt. Dementsprechend interpretiert Scherbaum die Philosophie des Comenius als ein die göttliche Wirklichkeit auf den Menschen übertragendes »Vehikel«, das die »emendatorische Reform der ðmenschlichen AngelegenheitenÐ in Richtung auf einen allumfassenden kreativen Frieden« in Gang setzt und in dieser Funktion als »Garant, Bewerkstelliger und Vollender des universalen Friedens« beschrieben werden kann (386).

Vera Schifferova versucht in ihrem Beitrag (401­418), den dynamischen Vollzugsrhythmus nachzuzeichnen, den das Ordnungsgefüge der von Comenius angestrebten organischen Ganzheitlichkeit aus sich heraussetzt. Die Ausrichtung auf die Idee der Ganzheit und die Welt der Ideen hat Comenius die Grundlagen des Friedens in der »Wesensverfasstheit der Dinge selbst« (403) finden lassen, die es gegenüber ontologischen, gnoseologischen und ethischen Partikularismen herauszuarbeiten gilt. Diese Harmonie und triadische Kohärenz alles Seienden ist auch Thema des musiktheoretischen Beitrags des Herausgebers Erwin Schadel. Seinen detaillierten Ausführungen zu »Musen, Chariten, Orpheus und Pythagoras« (419­506) zufolge gelingt es Comenius dadurch, dass er den harmonikalen Pythagoreismus wie auch die orphische Tradition in das pansophisch konzipierte Christliche integriert und die genannten Traditionen als ergänzende Interpretamente desselben auffasst, eine »verengte Sicht des Christlich-Religiösen und erst recht des Christlich-Konfessionellen« zu überwinden und so dem Menschen einen Weg zu weisen, als eine »unverwechselbare ðStimmeÐ in der ðPartiturÐ des ðcarmen universitatisЫ (449) in die kosmische Harmonie einzustimmen.

Wie schon der Titel des Beitrags »Pragmatisches Friedensdenken bei Comenius« (507­516) erkennen lässt, akzentuiert Uwe Voigt gegenüber den diesen Band dominierenden ontologisch argumentierenden Zugängen mehr »das Prozedurale« bzw. die pragmatischen Elemente in Comenius¹ Reformvorhaben. So sei Friede vor allem in dessen späteren Schriften als eine »dynamische Ordnung« zu begreifen, der es »nicht durch Spekulieren und Betrachten, sondern durch Handeln und Herstellen« zu entsprechen gelte (514). Von einem ähnlich pragmatischen Ansatz her verstehen sich auch die Ausführungen von Johannes Rehm, der als Vertreter der evangelischen Theologie in seinem Beitrag (517­532) Parallelen zwischen dem Tübinger Projekt Weltethos und den irenistischen Bemühungen Comenius¹ aufweist und positiv konstatiert, dass es im Falle der Weltethos-Erklärung zumindest gelang, »einen Religionen übergreifenden öffentlichen Diskurs über die Gemeinsamkeit ethischer Grundlagen zu initiieren« (526). Trotz aller kritischen Anfragen an Tendenzen, die Verbindung von Glaube und Ethik zu Gunsten einer Reihe von an einem abstrakten Humanum orientierten Gemeinsamkeiten auszublenden, gelte es, die Weltethos-Erklärung weniger als ein dogmatisches Traktat oder abstrakte Prinzipienethik, sondern »als Protestschrei religiöser Menschen gegen die notorische Verletzung elementarer, uralter Lebensregeln in unserer Zeit«, schließlich als »ein ideales Curriculum für Phasen und Projekte eines religionsübergreifenden Unterrichts« positiv zu rezipieren (530).

Die Reihe der Beiträge abschließend (533­550) bezieht der Jubilar Heinrich Beck Comenius¹ Vorschläge zur Aggressions-Minimierung auf die gegenwärtige historische Situation und fragt, inwiefern der 11. September 2001 nicht »eine Chance zur Erkenntnis und geistigen Wandlung« in sich schließen könnte, möglicherweise sogar ­ im Sinne Comenius¹ gedacht ­ »einen kreativen Sprung der Evolution zu einer integrativen Bewusstseinsstruktur und zur Geburt einer neuen Qualität menschlichen Seins« (537). Voraussetzung dazu wäre die Bereitschaft, in der Perspektive einer kreativen Kulturbegegnung bzw. in rezeptiver Offenheit am Anderen das diesen jeweils Kennzeichnende positiv wahrzunehmen und es gegen einseitige Übersteigerungen hervorzukehren.

Ohne Zweifel vermag die in den einzelnen, hier nur zum Teil vorgestellten Beiträgen vorgenommene Rückbesinnung auf Comenius¹ Pansophie einer interkulturell orientierten Theologie wertvolle Denkimpulse für eine Annäherung an die Frage nach dem »Sinn« von Erziehung und Bildung zu vermitteln. Es ist auch nicht zu weit gegriffen, in Institutionen wie der UNO bzw. dem Völkerbund sowie in der Veranstaltung diverser »Welt-Friedensgipfel« aktuelle Konkretionen von Comenius¹ Überlegungen zu religionsübergreifenden Weltbehörden wie z. B. dem Consistorium oecumenicum und dem Dicasterium pacis zu sehen. Zu diskutieren bleibt freilich, in welchem Maße Comenius¹ pansophische, das Theorem der analogia entis zur analogia trinitatis entfaltende Denkbewegung bzw. dessen mit dem neuplatonischen Dreischritt kongruierende, die Welt des Menschen und die Gottes-Welt in analogischer Übereinkunft konzipierende Triadik realiter jene »integrative Annäherung der unterschiedlichen Weltkulturen« zu fördern vermag, um die es den irenistischen Bemühungen der Neuzeit zu tun ist. Basiert, wie Vera Schifferova behauptet, das noetische Prinzip des comenianischen Irenismus nicht nur auf der ontologischen Kategorie der Ganzheit, sondern auf einer »überall mit sich übereinstimmenden Wahrheit« (410), dann ist kaum mehr der problematischen Schlussfolgerung zu entgehen, zum Erhalt christlichen Glaubens dessen »Wahrheit« rationalisierend absichern zu müssen: eine Versuchung, der die Kirche im Laufe ihrer Geschichte­ sicher nicht zum Besten ihrer Botschaft ­ immer wieder erlegen ist.