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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

457–459

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schelhas, Johannes

Titel/Untertitel:

Schöpfung und Neuschöpfung im theologischen Werk Pavel A. Florenskijs (1882­1937).

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2003. XIV, 395 S. gr.8° = Forum Orthodoxe Theologie, 3. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-8258-6358-1.

Rezensent:

Erich Bryner

Das ungewöhnlich vielseitige und reichhaltige Werk des russischen Theologen und Universalgelehrten Pavel Florenskij (1937 in der Sowjetunion zum Tode verurteilt und erschossen) löste in den letzten Jahren zahlreiche Studien verschiedenster Interessensrichtungen aus, auch in der westlichen Theologie. Zu den markantesten Untersuchungen aus römisch-katholischer Sicht gehört die Dissertation des ostdeutschen Theologen Johannes Schelhas, die im Sommersemester 2000 von der Philosophisch-theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main angenommen wurde und jetzt in Buchform vorliegt. Sch. analysiert präzise und umfassend die Theologie der Schöpfung im Werk des russischen Märtyrertheologen, der wegen seiner genialen Begabung schon als der »russische Pascal« oder der »russische Leonardo da Vinci« bezeichnet wurde. Es ist besonders reizvoll, das universale Denken Florenskijs, der auch in Kunstinterpretation, verschiedenen Zweigen der Naturwissenschaft und Elektrotechnik zu bahnbrechenden Einsichten gelangte, nach dem Verständnis der Schöpfung zu befragen. Florenskij legte in seinem Werk nirgends eine systematische Schöpfungslehre vor, doch Sch. erkennt in den theologischen Aussagen über die Schöpfung den Kernpunkt von Florenskijs theologischem Ansatz und stellt die These auf, dass sich alle theologischen Themen und Einsichten in Florenskijs Werk von dessen Gedanken über die Schöpfung her entfalten lassen. Die Untersuchung geht der Frage nach, wie dies im Einzelnen geschieht, welche Ableitungen, Bezüge, Verknüpfungen theologischer Aussagen zur Schöpfungslehre sich feststellen lassen und was dies für Florenskijs Denken insgesamt bedeutet.Als Grundlagen seiner Untersuchung dienen Sch. in erster Linie die theologische Dissertation, die Florenskij 1914 unter dem Titel »Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit« in Buchform erscheinen ließ und von der es in Fachkreisen sehr bald hieß, sie genüge den höchsten Ansprüchen in Philosophie und Theologie, die ganze Tiefe des Christentums werde in ihr aufgedeckt und dem modernen gebildeten Menschen nahe gebracht; dazu kommen weitere theologische Arbeiten wie »Empyrie und Empirie« (1904), »Dogmatismus und Dogmatik« (1906), aber auch die Vorlesungsreihe »Philosophie des Kultes« sowie die Schriften »Die umgekehrte Perspektive« und »Die Ikonostase«, die alle drei nach der bolschewistischen Oktoberrevolution entstanden und erst in den 1960er und 1970er Jahren zum ersten Mal veröffentlicht werden konnten. Bemerkenswert ist, dass sich Florenskij seit seiner Priesterweihe zeit seines Lebens als Priester der Russischen Orthodoxen Kirche verstand und auch in Laboratorien und an wissenschaftlichen Kongressen seine Priestergewandung trug.

Im ersten Kapitel seiner Untersuchung, das mehr als ein Drittel des Buches umfasst, charakterisiert Sch. den theologischen und erkenntnistheoretischen Ansatz Florenskijs, für den er ­ zutreffend ­ den Begriff »Kirchlichkeit« (cerkovnost¹) als grundlegend bezeichnet: Theologie ist für Florenskij nicht theoretische Gedankenspekulation, sondern Ausdruck kirchlicher Erfahrung. Orthodoxe Theologie kann nur treiben, wer »in das Element der Orthodoxie selber untertaucht« und so zu einem »neuen Leben«, zu einem »Leben im Geist« gelangt (33). Nur »lebensmässig« und nicht »verstandesmässig« lässt sich zu dieser Kirchlichkeit kommen (35), und nur von hier aus kann die Sehnsucht des Menschen nach Wahrheit ihre Erfüllung finden. Grundlegend für die theologische Erkenntnis ist für Florenskij weiter die Trinität Gottes. Sie ist nur apophatisch (d. h. in negativen Begriffen) und antinomisch (d. h. zugleich als »ja« und »nein« und als »coincidentia oppositorum«) aussagbar und erschließt sich auf dem Weg des Glaubens mit Hilfe des Heiligen Geistes. Persönliche Erfahrung führt zur Kirchlichkeit; Dogma, Liturgie, Moral und auch die Schöpfung mit ihren Geheimnissen erschließen sich auf dem Weg des Glaubens.

Die Bedeutung der Dreieinigkeit Gottes für die Theologie Florenskijs wird im zweiten Kapitel »Trinität und Schöpfung« entfaltet. Das Wesen Gottes bleibt für den Menschen unerkennbar, erkennbar sind aber seine Energien. Schöpfer und Schöpfung können nach Florenskij nicht voneinander getrennt und nicht miteinander identifiziert werden; Schöpfungstheologie und Trinitätstheologie durchdringen einander aufs Engste, und der Mensch ist dazu berufen, Bild des Schöpfers zu sein. Im dritten Kapitel zeigt Sch. auf, dass sich die Schöpfung im Logos und im Heiligen Geist erneuert und dass die Erniedrigung des Schöpfers in der Schöpfung, die Inkarnation Christi und die Gaben des Heiligen Geistes in der Kirche erfahrbar werden. Die Konsequenzen im Blick auf die Vergöttlichung (Theosis) des Menschen werden im vierten, die Bedeutung der Sakramente für die Schöpfungstheologie im fünften, die Konsequenzen für die Eschatologie im sechsten Kapitel aufgezeigt. Das siebente Kapitel ist dem Verhältnis von Schöpfung und Neuschöpfung gewidmet. Am Schluss jeden Kapitels werden die Ergebnisse der Analyse jeweils in einigen Punkten mit der Hauptthese des Buches in Verbindung gebracht.

Im letzten Abschnitt unternimmt es Sch., die Theologie der Schöpfung Florenskijs mit all ihren Implikationen ins Gespräch mit der westlichen Theologie zu bringen, Anknüpfungspunkte aufzuzeigen, Aktualitätsbezüge zu vermitteln. Er kommt dabei aber zum Schluss, dass es zwar viele Verbindungslinien gibt, dass aber ein für westliches Denken fremder Rest bleibt. Dazu gehören der apophatische Ansatz und viele Entsprechungen, die Florenskij zwischen Schöpfer und Schöpfung feststellt (358). Doch insgesamt stellt das theologische Denken Florenskijs, insbesondere seine Konzeption der Schöpfungslehre, für die westliche Theologie und das ökumenische Gespräch eine große Herausforderung und zugleich eine Bereicherung dar.

Sch. ist eine feinfühlige, differenzierte, sorgfältig reflektierte und methodisch sauber gestaltete Abhandlung gelungen, die für das Verständnis des theologischen Denkens Florenskijs, aber auch für tiefer schürfende Begegnungen zwischen West und Ost gerade in der für beide Traditionen hochaktuellen Schöpfungsthematik einen wichtigen Beitrag leistet. Deutlich wird immer wieder, wie stark Florenskijs Denken in der Theologie der griechischen Kirchenväter und im Hesychasmus verankert ist, auch in seinen im orthodoxen Raum heftig umstrittenen Eigenheiten und Ausprägungen, wie der Christus-Sophia-Lehre (89­100) oder der »Namensverehrung« (299­301); bekanntlich hatte Florenskij seinerzeit das Kapitel über die Sophia aus der Doktordissertation herausnehmen müssen, um das Promotionsverfahren nicht zu gefährden. ­ In der Darstellung von Sch. ist Florenskij m. E. zu sehr von seiner Zeit abgehoben. Vieles erinnert an Solov¹ev und andere Religionsphilosophen jener Jahrzehnte. Der Themenkomplex »Florenskijs Theologie im Kontext seiner Zeit und Umgebung« könnte Gegenstand weiterer Studien sein.