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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

455–457

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Radlbeck-Ossmann, Regina

Titel/Untertitel:

Vom Papstamt zum Petrusdienst. Zur Neufassung eines ursprungstreuen und zukunftsfähigen Dienstes an der Einheit der Kirche

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 2005. 497 S. gr.8° = Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien, 75. Lw. Euro 54,90. ISBN 3-89710-274-9.

Rezensent:

Wolfgang Klausnitzer

Die Habilitationsschrift ist an der Katholisch-Theologischen Fakultät Regensburg eingereicht worden (Gutachter: Wolfgang Beinert, Erwin Dirscherl und als externes Mitglied Peter Walter). Die Arbeit gliedert sich in zwei große Teile, eine exegetische Untersuchung (65­225) und einen kirchengeschichtlichen Überblick (227­401).

Die Vfn. geht davon aus, dass in der Tat eine besondere Berufung zu einem Dienst an der Einheit der Gesamtkirche an Petrus ergangen ist (vgl. 33; auch 65). Die historisch von Petrus selbst gelebte Deutung dieses Einheitsdienstes erarbeitet sie in der Analyse von fünf Einzelszenen, die sie aus 1Kor und Gal gewinnt und die durch Informationen der Apg, die sie für historisch zuverlässig hält, komplementiert werden. Es sind dies die Begegnung mit dem Auferstandenen (1Kor 15,1­11), die Treffen mit dem ehemaligen Verfolger Paulus (Gal 1,18­24), das Ringen um die Kirche aus Juden und Heiden (Gal 2,1­10), der antiochenische Zwischenfall (Gal 2,11­21) und die Predigt in der Fremde (1Kor 9,5). Den historischen Petrusdienst beschreibt sie als »einen grundlegend dialogisch strukturierten Dienst an einer offenen und in sich vielfältigen Einheit der Kirche« (443). Der zweite Hauptteil diskutiert am Beispiel von sieben Päpsten das je spezifische Verständnis und die konkrete Praxis durch die Jahrhunderte. Die behandelten Amtsträger werden als »besonders bedeutende Päpste« bzw. als »besonders profilierte Vertreter« des Papstamtes und damit als repräsentativ für den geschichtlich gelebten Petrusdienst bezeichnet (380). Im Vergleich des Handelns der Päpste (in jeweils einem Beispiel) mit dem rekonstruierten Selbstverständnis (»Profil«) des Petrus zeigen sich Leo I., Gregor I. und Johannes XXIII. als Träger eines »authentischen Dienstes an der Einheit der Kirche«, während die Praxis eines Gregor VII., Innozenz III., Leo X. und Pius IX. in unterschiedlicher Intensität nicht als »vom Heiligen Geist begleitete Fortentwicklung« des Petrusmodells gelten kann (436). Die Arbeit hat ein umfassendes Quellen- und Literaturverzeichnis. Die Literatur wird allerdings insgesamt viel zu wenig ausgewertet. Das zeigt sich schon in der Selbsteinschätzung. Die Vfn. meint, sie biete mit ihrem Vorgehen eine Alternative zu dem traditionellen Weg, der das Wesen des Petrusdienstes aus den klassischen drei Primatsstellen ableiten wolle. Dass dieser Ansatz spätestens seit der Studie »Der Petrus der Bibel« (1976) obsolet ist, wird nicht erwähnt. Das Begriffspaar dialogisch/ monologisch dient als Maßstab der Untersuchung der fünf Petrusszenen, aus denen das Wesen des Petrusdienstes herausgearbeitet werden soll. Ich bin nicht so recht überzeugt, dass die Begriffe adäquat sind. Nach der Darstellung der Arbeit zeigt Petrus im Auferstehungszeugnis sein dialogisches Handeln dadurch, dass er sich einerseits durch die Ostererfahrung in Frage stellen lässt und dass er andererseits das (monologische) Zeugnis von diesem Ereignis in der Begegnung mit den Hörenden vorträgt (92­94). Das Zweite ist wohl ein Charakteristikum jeder Rede und die Ostererfahrung ist allenfalls in einem sehr analogen Sinn ein »Dialog«. Nicht nachvollziehbar ist für mich die Darstellung des antiochenischen Zwischenfalls, die ebenfalls den »dialogischen« Charakter des Verhaltens Petri demonstrieren will. Die Vfn. belegt ihre These, dass Petrus in Antiochia nach dem Eintreffen der Jakobusleute eine wechselnde Tischgemeinschaft mit Heiden- und Judenchristen praktiziert habe, mit Theodor Zahn und einem iterativen Verständnis des Imperfekts in Gal 2,12c (179­184).

Dass Petrus durch ein solches Verhalten den Kontakt zu beiden Gruppen aufrecht erhalten konnte, halte ich für psychologisch schwer nachvollziehbar. Grundsätzlich scheint mir die in diesen Überlegungen (durchaus mit Vorbehalten) verwendete Begrifflichkeit (Subsidiarität, Liberalität, Toleranz, dialogisch strukturierte Entscheidungsprozesse, dynamisch offene und integrative Einheit der Kirche) zu viel in die Texte hineinzulesen und den kirchlichen Strukturen dieser frühen Zeit kaum gerecht zu werden. Ich bezweifle auch, dass ein Grundmodell des Petrusdienstes aus dem Neuen Testament nur mit Hilfe der fünf Szenen aus zwei Paulusschriften abgeleitet werden kann, wobei überdies in der Durchführung Vermutungen in der Rekonstruktion allzu schnell zu gesicherten Gewissheiten in der Auswertung werden. Für hilfreicher halte ich den Versuch, nach dem (durchaus differenzierten) Petrusbild des ganzen Neuen Testaments und den Interessen zu fragen, die die neutestamentlichen Schriftsteller unter Umständen mit der Profilierung der Gestalt des Petrus bedienen wollten.

Die Vfn. geht mit einer großen Selbstverständlichkeit davon aus, dass der von ihr als grundlegend »dialogisch« charakterisierte Petrusdienst, der für die Folgezeit in dieser Form als normativ festgestellt wird, im Dienst der Päpste seine Fortsetzung findet (227). Wenn das so wäre, empfiehlt es sich durchaus, an repräsentativen Papstgestalten und in exemplarischen Fallsituationen die jeweilige Nuancierung des Petrusprofils zu überprüfen. Die Frage ist allerdings, ob (und auf Grund welcher Kriterien) die Personenauswahl tatsächlich repräsentativ und das jeweilige untersuchte Fallbeispiel auch exemplarisch für den Pontifikat eines Amtsträgers ist.

Besonders problematisch ist m. E. in dieser Hinsicht Leo X., der kaum als »besonders bedeutender« Papst gelten kann und dessen Auseinandersetzung mit Luther allenfalls die von Joseph Lortz konstatierte ekklesiologische Unsicherheit dieser Epoche und jedenfalls kein einigermaßen deutliches theologisches Programm belegt. Dass Luther in seinen Briefen an Leo X. an einer Verständigung mit dem Papst wirklich »überaus interessiert« war, wie die Vfn. behauptet (340), sehe ich anders. Auf jeden Fall ist auch Martin Luthers Rhetorik gegenüber dem Papsttum nicht mit dem von der Arbeit hochgeschätzten Adjektiv »dialogisch« zu beschreiben. Ob die drei »positiv« beurteilten Päpste selbst in den konkret diskutierten Beispielen (in der Eutychianischen Krise, der Auseinandersetzung um den Titel »Ökumenischer Patriarch« und der Eröffnung des »Aggiornamento« der Kirche) tatsächlich so dialogisch handelten, wird man jeweils genauer prüfen müssen. Johannes XXIII. wird überschwänglich-hagiographisch dargestellt. Die Kirche habe durch ihn an Lebendigkeit gewonnen, die sich in der Folgezeit »in der hohen Zahl der geistlichen Berufungen oder auch in der bald einsetzenden Blüte einer modernen Theologie« gezeigt habe (435). Diese Begründung ist im ersten Teil objektiv falsch und im zweiten Teil subjektive (und nicht belegte) Wertung. Aufschlussreich wäre es gewesen, Päpste zu untersuchen, deren »dialogisches« Handeln objektiv gescheitert ist (Hadrian VI.).Insgesamt ist die Arbeit interessant angelegt. Ich bezweifle aber, ob sie ihr in ökumenischer Perspektive intendiertes Ziel auch erreichen kann. Sie erscheint mir eher als »histoire à thèse«, weil sie voraussetzt, was zu belegen wäre, nämlich die biblisch begründete Existenz eines Petrusdienstes, die Offenheit der anderen Kirchen für diesen Dienst und die exklusive Bindung dieses Dienstes an das historische Papsttum.