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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

453–455

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Felmy, Karl Christian

Titel/Untertitel:

Diskos. Glaube, Erfahrung und Kirche in der neueren orthodoxen Theologie. Gesammelte Aufsätze.

Verlag:

Hrsg. v. H. Ohme u. J. Schneider. Erlangen: Lehrstuhl für Geschichte und Theologie des christlichen Ostens 2003. VIII, 377 S. m. 1 Porträt u. 1 Abb. gr.8° = Oikonomia, 41. Kart. ISBN 3-923119-41-0.

Rezensent:

Vasile Hristea

»Diskos« stellt eine repräsentative Auswahl von Aufsätzen aus dem umfangreichen Werk des Erlangener Professors für »Geschichte und Theologie des christlichen Ostens«, Karl Christian Felmy, dar. Veranlasst durch die im Februar 2003 erfolgte Emeritierung von F. bringt der Band die Intention der Herausgeber Heinz Ohme und Johann Schneider zur Geltung, dem Leser einen Überblick über einige der Forschungsthemen des hier gewürdigten Theologen zu ermöglichen. So erschließen Aufsätze über liturgische Theologie, aber auch Liturgiegeschichte, Ekklesiologie, Theologiegeschichte, Heiligenverehrung und Seelsorgepraxis zahlreiche Forschungsfelder aus F.s theologischem Schaffen.

Bei aller Vielfalt der hier angebotenen Thematik können die 18 Aufsätze, die der Band zusammenbindet, vorwiegend unter zwei wichtigen Aspekten gelesen werden: 1. interkonfessionelle Vermittlung zwischen der (hauptsächlich russischen) orthodoxen und der evangelischen Theologie und 2. Einblick in die orthodoxe Theologie und in das orthodoxe kirchliche Leben. Unter diesen beiden Aspekten werden hier nun einige Aufsätze besprochen werden.

1. Im ersten Aufsatz »Eucharistie, Gemeinde und Amt. Ein Neuansatz in russischer Orthodoxie und Luthertum« geht es F. um eine ekklesiologische Neubesinnung in der evangelischen Theologie. Eine solche Neubesinnung ist, wie er meint, notwendig, da die Kirche ihrem Wesen nach mehr als ein »loser Zusammenschluß von Gleichgesinnten« ist. Damit möchte F. Position ergreifen gegenüber den Individualisierungstendenzen im evangelischen Gemeindeleben. Zur Lösung dieses Problems schlägt er vor, der protestantischen individuellen Frömmigkeit die »Einheit an einem Herrn und an einer Gabe« entgegenzusetzen. Damit bezieht sich F. auf die orthodoxe eucharistische Ekklesiologie. Mit Berufung auf 1Kor 10,16 f. vertritt nämlich der russische Theologe Nikolaj Afanas¹ev (1893­1966) die Ansicht, dass die Lehre von der Kirche und die Lehre von der Eucharistie nicht voneinander getrennt werden können. Die Kirche ist die Gemeinschaft Christi und die Gemeinschaft vollzieht sich vor allem als Eucharistiefeier. Die (Orts-)Kirche ist dementsprechend die eine katholische Kirche und alle Eucharistiefeiern stellen in deren Vielfalt zusammengezählt nichts mehr als die eine Kirche Christi dar, die ihrerseits Abbild der himmlischen Eucharistiefeier ist.

Bei aller kritischen Wahrnehmung kann nach F. eine solche Auffassung für die evangelische Theologie in zweifacher Hinsicht hilfreich sein: um Fehlentwicklungen zu überwinden und um zur Wiederbelebung der eucharistischen Frömmigkeit beizutragen. Auf dem Hintergrund der Lehre Luthers von der manducatio oralis und ihrer ekklesialen Implikationen würde ein solcher Anstoß eine Hilfe zur Besinnung auf die eigene evangelische Tradition bedeuten.

Vom eucharistischen Gottesdienst nicht nur als Zentrum des Gemeindenlebens, sondern darüber hinaus auch als Zentrum des Alltagslebens handelt ein anderer Aufsatz mit dem Titel »Säkularität und Gottesdienst«. Der Grundgedanke dabei ist, dass einerseits das säkulare Leben als das Leben, das sich vom christlichen wie von jedem anderen Gottesdienst gelöst hat, und andererseits der Kultus dennoch aufeinander bezogen sind. Diese Bezugnahme ist, so F., in Anlehnung an A. Schmemann, in der Sakramentalität der Schöpfung gegeben. In der Darbringung der Gaben zum Altar enthüllt sich diese Wesensbestimmung der Schöpfung.

Die gottesdienstliche Annahme der Schöpfung, assumptio, ist ihrerseits aber durch die Zusammenfügung vieler Menschen gemeinschaftsstiftend. Durch die Teilhabe an dem einen Brot und an dem einen Kelch werden die Gläubigen untereinander verbunden und somit im Leib Christi geeint. Betrachtet man die mögliche Auswirkung der gottesdienstlichen Gemeinschaft in den Alltag hinein, so wird nachvollziehbar, wie eine Vertiefung der Bedeutung des eucharistischen Gottesdienstes zur Überwindung der Kluft zwischen Säkularität und Gottesdienst wirken kann.

Wenn der folgende Aufsatz »Rudolf Sohm (1841­1917). ðProtestantisierungÐ oder Erneuerung der Kirche« von der Auswirkung des protestantischen Theologen auf den Wiederentdecker der orthodoxen eucharistischen Ekklesiologie, Nikolaj Afanas¹ev handelt, so spricht der Aufsatz »Die Auseinandersetzung mit der westlichen Theologie in den russischen Theologischen Zeitschriften zu Beginn des 20. Jahrhunderts« von der ab der Mitte des 19 Jh.s bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges andauernden intensiveren Begegnung der Orthodoxie mit der westlichen Theologie. Das literarische Zeugnis, ausgeführt am Beispiel von Buchbesprechungen, die sich vor allem mir der deutschen Philosophie und dem deutschen Kirchenleben beschäftigen, zeigt ein detailliertes Fresko dieser Epoche auf. Die Auseinandersetzung mit der kritischen protestantischen Theologie besonders im Kontext der ekklesiologischen Debatte dieser Zeit, dann im Bereich der Soteriologie und historischen Forschung, vermittelt dabei nicht nur einen Einblick in die theologische Werkstatt der Russischen Orthodoxen Kirche, sondern gibt gleichzeitig Zeugnis von einer zur Kulturschaffung und Erneuerung fähigen Orthodoxie.

2. Parallel zu dieser Auseinandersetzung mit der westlichen Theologie gelingt es F. vor allem in dem Aufsatz »Die orthodoxe Theologie in kritischer Selbstdarstellung«, eine Standortbestimmung der orthodoxen Theologie zu geben. Interessant ist der Aufsatz aber auch insofern, als er eine kritische Selbstdarstellung der Orthodoxie vermittelt. Ist man in Bezug auf die Orthodoxie daran gewöhnt, eine einzige wahre, erhabene Stimme zu hören, so überrascht nun dieses Fragen der orthodoxen Theologen nach der Identität der orthodoxen Theologie. Das Bewusstsein einer starken Beeinflussung durch die westliche Theologie in den Jahrhunderten nach dem Fall Konstantinopels (1453) macht aber diese Fragen besonders notwendig. Die Gedankenführung dieses Aufsatzes mündet in die Hervorhebung von »Kriterien einer genuin orthodoxen Theologie«. So werden die Verwurzelung in der Liturgie, der Zusammenhang von Theologie und Praxis, die ständige Wahrnehmung der patristischen Theologie ­ Anklänge daran sind in weiteren Aufsätzen des Werkes wiederzufinden ­ als Kriterien festgelegt, an denen die moderne orthodoxe Theologie zu messen ist. ­ Kirchlichkeit und Erfahrung werden somit als Paradigma der orthodoxen Theologie bestimmt. Dieses Paradigma soll für Einheit von Glauben und Frömmigkeit, Theologie und Doxologie, Beten und Denken stehen sowie, ganz im Sinne der Kirchenväter, für die Aufgabe, dem Anderen zu begegnen. Im Lichte ihres Selbstverständnisses, so das ertragreiche Fazit dieses Aufsatzes, zeigt sich die moderne orthodoxe Theologie dann als eine Theologie, die sich der ökumenischen Offenheit und Solidarität verpflichtet sieht.

Gleichzeitig bietet dieses hier als Kirchlichkeit und Erfahrung erfasste Paradigma dem Leser einen wichtigen hermeneutischen Schlüssel, mit dessen Hilfe ihm der Zugang zum Verstehen der anderen Beiträge dieses wertvollen Bandes über die Welt der Orthodoxie ermöglicht wird.