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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

451–453

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Brot, Damian

Titel/Untertitel:

Kirche der Getauften oder Kirche der Gläubigen? Ein Beitrag zum Dialog zwischen der katholischen Kirche und den Freikirchen, unter besonderer Berücksichtigung des Baptismus

Verlag:

Bern-Berlin-Bruxelles-Frankfurt a. M.-New York-Oxford-Wien: Lang 2002. 409 S. 8° = Europäische Hochschulschriften. Reihe 23: Theologie, 751. Kart. Euro 70,40. ISBN 3-906769-91-7.

Rezensent:

Volker Spangenberg

Dass aus römisch-katholischer Perspektive versucht wird, das Selbstverständnis des Freikirchentums darzustellen, um das ökumenische Gespräch zwischen der katholischen Kirche und den Freikirchen zu befördern, ist ungewöhnlich und lässt aufmerken. Der Schweizer Damian Brot hat mit seiner Untersuchung, die 2001 von der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) als Dissertation angenommen wurde, diesen Versuch unternommen. Wie der Untertitel seines Buches anzeigt, hat sich der Vf. dabei schwerpunktmäßig mit dem Baptismus auseinander gesetzt. Diese Konzentration auf eine Freikirche ist schon angesichts der Vielfalt freikirchlicher Traditionen und Ausprägungen nachvollziehbar. Sie wird vom Vf. jedoch auch damit begründet, dass er »die Teilnahme am kirchlichen Leben des Gesprächspartners als eine unverzichtbare Bedingung für das Gelingen des ökumenischen Dialogs« (19) betrachtet. Solche Teilnahme hat der Vf. unter anderem durch einen einjährigen Studienaufenthalt an einer baptistischen Hochschule in den USA gewonnen. Es sind darum seine Begegnungen und praktischen Erfahrungen insbesondere mit dem amerikanischen Baptismus, die seine Darstellung in starkem Maße prägen. Darin liegt für den deutschsprachigen Leser ein unbestreitbarer Reiz, insofern die vorliegende Beschreibung des Baptismus über den europäischen Raum hinaus jenes Land in den Blick nimmt, in dem der Baptismus zahlenmäßig am stärksten vertreten ist.

Die Bezeichnung »konfessionskundliche Beschreibung und Gegenüberstellung« trifft das Anliegen der Untersuchung wohl am besten. Versteht sie sich doch selbst als eine Arbeit, die »von ihrer Anlage und Ausführung her eher konfessionskundlich als systematisch-theologisch orientiert« (19) ist. In der Tat ist das Buch kein Beitrag zum ökumenischen Gespräch derart, dass darin kontroverstheologisch umstrittene Fragen einer strengen systematisch-theologischen Analyse unterzogen und einer möglichen Lösung zugeführt würden. Vielmehr stellt der Vf. dar, was für ihn Hauptmerkmale und Hauptunterschiede von römisch-katholischer und baptistischer bzw. freikirchlicher Glaubensüberzeugung sind, mit dem Ziel, die gegenseitige Dialogfähigkeit zu steigern.

Das Buch enthält vier in sich abgeschlossene »Studien«, die jede für sich gelesen werden können (und sich hier und da auch überschneiden), gedanklich jedoch aufeinander aufbauen.

Die erste Studie »Freikirchen als Kirchenform der Moderne« (23­119) macht mit Hilfe von E. Troeltschs Sektenbegriff (verstanden in einem neutralen Sinne als Sozialgestalt des Christentums) signifikante Eigenschaften einer Freikirche namhaft, die in einer Darstellung der Entstehung und der (theologie-)geschichtlichen Wurzeln des Freikirchentums vertieft werden. Auf dieser Grundlage wird dann das freikirchliche Modell ­ nach dem Vf. präziser als »Kirche der Gläubigen« (Believers¹ Church) zu bezeichnen (39) ­ und insbesondere der Baptismus als eine »typisch moderne Bewegung« freilich »mit vielen anti-modernen Akzenten« (92) behauptet. Als Pointe der Ausführungen der ersten Studie ergibt sich somit die Überzeugung, dass das Freikirchentum (in Gestalt des Baptismus), selbst wenn es nicht unbeträchtlich an den Gefahren der Moderne (wie z. B. Individualismus, Traditionsverlust und Leistungsdenken) partizipiert, »eine gute Chance hat, sich in den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zurechtzufinden« (84). Nicht zuletzt darum wird es für die römisch-katholische Kirche der Gegenwart als ein wichtiger Gesprächspartner empfohlen.

Dass die Voraussetzungen für ein solches Gespräch zwischen römisch-katholischer Kirche und den Freikirchen gegenwärtig günstig sind, versucht der Vf. in der zweiten Studie »Das katholische Kirchenverständnis und das Freikirchentum« (121­167) zu zeigen. Hat sich doch nach seiner Auffassung das traditionelle Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche durch die Entscheidungen des 2.Vatikanischen Konzils und durch nachkonziliare innerkatholische Strömungen wie die katholisch-charismatische Bewegung, das Konzept der Gemeindekirche und die Befreiungstheologie einerseits, aber auch durch den allgemeinen gesellschaftlichen Wandel andererseits signifikant verändert. Der Vf. konstatiert daher für die römisch-katholische Kirche »eine Situation des Übergangs von einer Volkskirche zu einer Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden« (165). In dieser Übergangssituation könnte es zu einem für den Katholizismus nützlichen Gespräch mit den Freikirchen kommen.

Die dritte Studie »Wer ist ein Christ ­ der Getaufte oder der Gläubige?« (169­205) widmet sich dem unterschiedlichen Taufverständnis von Baptismus und römischem Katholizismus. Die innerhalb der Gesamtuntersuchung relativ knappe Studie zu dem, was im ökumenischen Dialog mit dem Baptismus durchweg als das »Schlüsselproblem« der Verständigung gilt, zeigt noch einmal in nuce die Intention des gesamten Buches: Nicht eine gelehrte Diskussion über die Sakramententheologie im Allgemeinen und die Tauftheologie im Besonderen soll hier geführt werden. Vielmehr wird über die jeweilige Lehre (und Praxis) informiert ­ im Blick auf den Baptismus anhand verschiedener, zum Teil divergierender Äußerungen zur Sache, im Blick auf die römische Lehre mit Hilfe einschlägiger Darstellungen (wie z. B. der von L. Ott und G. L. Müller). Dies wiederum geschieht in der Absicht, gängige und vermutete Missverständnisse auszuräumen, Verständnis für das Anliegen des jeweils anderen zu fördern, intentionale Gemeinsamkeiten trotz gravierender Unterschiede in der jeweiligen Terminologie herauszustellen und Veränderungsprozesse (durch eine Annäherung der Standpunkte) zu würdigen. In diesem Sinne kann der Vf. dann resümieren, dass die von manchen Baptisten monierte Glaubensferne und Kirchendistanziertheit vieler getaufter Katholiken »auch mit dem Selbstverständnis der katholischen Kirche nicht vereinbar ist« (204) und dass dieser »Missstand Š die Kircheneinheit mindestens so stark behindert wie die baptistischen ðWiedertaufenЫ (205).

Gegenstand der letzten Studie »Ökumenische Verständigung« (207­255) ist neben der Darstellung des überaus uneinheitlichen Ökumeneverständnisses innerhalb des Baptismus¹ und des Ökumeneverständnisses der römisch-katholischen Kirche auch ein Überblick über die ökumenischen Kontakte beider Kirchen in der Zeit seit dem 2.Vatikanischen Konzil. Auch hier­ und hier besonders ­ hat der Vf. vor allem den US-amerikanischen Baptismus im Blick. Das gibt ihm die Gelegenheit, sich mit der seit 1979 deutlich greifbaren fundamentalistischen Wende der Southern Baptist Convention zu befassen (vgl. 237ff.); diese Wende der in Amerika und weltweit größten baptistischen Denomination hat mittlerweile (2004) zum Austritt der Southern Baptist Convention aus der 1905 gegründeten Baptist World Alliance geführt. Am Ende der vierten Studie wird unter dem Titel »Warum soll die katholische Kirche mit dem Baptismus einen Dialog führen?« (251­258) die Summe aus dem bisher Erörterten gezogen. Dabei lässt der Vf. keinen Zweifel daran, dass das Gespräch zwischen beiden Kirchen nicht mit dem Ziel einer zeitlich absehbaren vollständigen Einheit beider Kirchen geführt werden kann. Wohl aber können zwei Kirchen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie »ihre traditionelle Identität nicht durch Relativismus und Kompromisse in Lehrfragen gefährden wollen« (252), voneinander lernen. Diese »Lernpunkte« oder besser »Lernfelder« werden der Fragestellung gemäß zunächst für den Katholizismus zusammengetragen. Zur Anschlussfrage, ob und was der Baptismus vom Katholizismus lernen kann, hält der Vf. sich an dieser summierenden Stelle taktvoll zurück (schade!) und lässt stattdessen baptistische Kirchenvertreter ihre disparaten Stimmen erheben.

Es ist bemerkenswert, wie es dem nichtbaptistischen Vf. (mittlerweile Pfarrer der reformierten Kirche der Schweiz) gelungen ist, sich den Denkstrukturen und unübersichtlichen Meinungen des Freikirchentums und speziell des Baptismus als einer kongregationalistisch verfassten Kirche ohne Bekenntnisbindung (im traditionellen Sinne) anzunähern. Dass die Beschreibung des Baptismus ein wenig »amerikalastig« geworden ist, wird man ihm nicht zum Vorwurf machen können. Eben so wenig, dass die Empfehlungen, die als Ertrag einzelner Darstellungen formuliert werden, häufig in der vorsichtigen Form des »sollte« bzw. »könnte« formuliert sind. Die Untersuchung dürfte nicht zuletzt auch für konfessionskundlich aufgeschlossene Leser von Interesse sein, die keine Fachökumeniker sind.

Das Buch enthält ein Geleitwort des Generalsekretärs des Baptistischen Weltbundes (11 f.) und einen Interviewteil (259­306) in englischer Sprache, in dem der volle Wortlaut der Gespräche abgedruckt ist, die der Vf. mit amerikanischen baptistischen und römisch-katholischen Gesprächspartnern geführt hat. Für den Leser mühsam und ärgerlich ist es, dass die zahlreichen Anmerkungstexte erst in einem umfangreichen Teil am Ende des Buches (307­382) abgedruckt worden sind.