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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

438 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Munz, Regine [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Philosophinnen des 20. Jahrhunderts

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004. 284 S. 8°. Geb. Euro 29,90. ISBN 3-534-16494-6.

Rezensent:

Catherina Wenzel

Nach den beiden Bänden von M. Rullmann über Philosophinnen und dem Philosophinnenlexikon (hrsg. von U. I. Meyer und H. Bennent-Vahle) liegt nun noch ein weiteres Buch speziell über Philosophinnen des 20. Jahrhunderts vor. Es umfasst zwölf Porträts bedeutender Denkerinnen, die ­ wie es im Klappentext heißt ­ »in den wichtigsten Überblicksdarstellungen gar nicht oder nur am Rande« vorkommen. Ausgewählt wurden: Edith Stein, Simone Weil, Simone de Beauvoir, Susanne K. Langer, Iris Murdoch, Hannah Arendt, Judith Butler, Agnes Heller, Seyla Benhabib, Luce Irigaray, Lynn Hankinson Nelson und Sandra Harding. Man kann natürlich fragen, warum Iris Murdoch und nicht Julia Kristeva und/oder Martha Nussbaum mit in dieser Reihe stehen, gleichwohl ist die vorliegende Auswahl sinnvoll und repräsentativ.

Die Autorinnen hatten nicht nur die Aufgabe, jede einzelne Denkerin vorzustellen, ihre Biographie zu skizzieren und dabei jeweils grundlegende Begriffe und Schriften zu besprechen. Thematisch verbunden sind die Studien darüber hinaus durch die Auseinandersetzung mit der Kontingenz, das je spezifische Bedenken des Nicht-Notwendigen und Zufälligen durch die Porträtierten (vgl. 7­27). Die Frage allerdings, ob sich mit diesem unscharfen Ausdruck etwas von dem Charakteristischen der dargestellten Denkerinnen tatsächlich erfassen lässt, das wiederum als gemeinsames Spezifikum weiblichen Philosophierens angesehen werden kann, bleibt auch nach der Lektüre des Bandes offen. Leider kann ich hier nur Beispiele aufführen und nicht jeden einzelnen Beitrag besprechen und würdigen:

Auffallend ist, dass alle Autorinnen, deren Protagonistinnen den 2. Weltkrieg erlebt haben, nicht auf die nur theoretische Ebene ausweichen können, sondern sich je auch zu politischen und persönlichen Bekenntnissen verhalten müssen. Besonders wichtig werden in diesen Zusammenhängen autobiographische Notizen: »Die Spur des Besonderen hebt früh an« (Edith Stein, 28). Oder: »Jedes Wesen schreit im stillen, um anders gelesen zu werden« (Simon Weil, 54). Problematisch erscheint mir allerdings, wie Maja Wicki-Vogt die Distanzierung Simone Weils vom Judentum thematisiert. Sie schreibt unter der Voraussetzung, dass es Weil besser ergangen wäre, wenn sie sich mit ihren jüdischen Wurzeln beschäftigt oder sich gar von diesem geistigen Boden ernährt hätte (vgl. 78). Dadurch aber sucht sie nach einem Konzept jenseits des hier angestrebten Kontingenzverständnisses, ohne dies anzumerken. (Ich halte es für unvertretbar, Juden oder konvertierten Juden anzuraten, wie sie sich zu ðihremÐ Judentum verhalten sollen.)

Silvia Henke geht ausführlich auf Beauvoirs Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus ein (94­101).

Weniger gelungen ist manchmal ihre Referenz auf den Kontingenz-Begriff. Sie bricht wie ein ðEtwasÐ in die Gegenwart hinein (91), wird zu einem Ereignis oder sogar zu einer Figur der Mitteilung (105)? Regine Munz versteht es, Leser und Leserinnen mit ihrem Essay Lob der Kontingenz (138­158) für die Literatin Iris Murdoch zu interessieren, deren philosophische Leistungen aber bleiben vage. Sätze wie: ðMurdoch denkt Sartre radikal weiterÐ lassen sich nur schwer mit der Darstellung von Murdochs Platonismus und Metaphysik vereinbaren. Zudem erscheint in Munz¹ Beitrag das Kontingente bei Murdoch im transzendent gedachtem Guten verankert zu sein, was das Kontingente nicht mehr kontingent sein lässt, es zudem moralisch und ästhetisch auflädt. Katrin Meyer, die Hannah Arendt unter dem Titel Auf der Suche nach der Freiheit jenseits von Souveränität porträtiert, geht aufmerksamer mit dem Begriff um. Sie arbeitet die Stärken, aber auch die Grenzen der Auseinandersetzung Hannah Arendts mit Herrschaft, Totalität und Freiheit heraus. In diesem Zusammenhang wird Handeln und Freiheit in Beziehung gesetzt, gibt es doch kaum etwas Kontingenteres als gewollte Handlungen, von denen man weiß, dass man sie auch hätte unterlassen können. Kontingenz wird hier zum Abgrund der Freiheit, der mit dem Abgrund der Geschichte zusammenfällt (163). Dieses Zusammenfallen von Willkür und Freiheit erscheint zu Recht als eine große philosophische Herausforderung (171­180).

Constanze Peres belässt ihren Beitrag über Susanne K. Langer fast ganz auf der philosophischen Ebene. Zug um Zug entfaltet sie das Denken Langers, indem sie die wichtigsten Begriffe und Grundentscheidungen darlegt (108­137).

Langer versteht unter Kontingenz der Erkenntnis die Möglichkeit, dass sich die philosophische Arbeit in mehreren Systemen oder Diskursen bewegt und es daher zu einer Konkurrenz inkompatibler Erkenntnismodelle kommen kann. Langer möchte aber die Philosophie nicht allein dem Zweifel überlassen, vielmehr besteht sie auf so genannten basic concepts, von denen alle anderen Propositionen nach philosophisch-logischen Regeln abgeleitet werden können (121). Positive Erwähnung verdienen auch die Beiträge von Patricia Purtschert über Judith Butler (181­202) und von Franziska Frei Gerlach über Luce Irigaray (237­259). Beide gehören einer anderen Generation an als Stein, Weil, Beauvoir, Murdoch und Arendt und man ist dementsprechend auch auf ganz anderen Ebenen mit Diskursen und Auseinandersetzungen beschäftigt. Zudem hat die bewusste feministische Kritik an den philosophischen Traditionen schon selbst ein Theoriegeflecht hervorgebracht, in dem die Denkerinnen verortet werden können.

Judith Butler arbeitet z. B. in ihrer Auseinandersetzung mit Hannah Arendt heraus, dass das Unabsehbare des Politischen in der Philosophie oft deswegen vergessen wird, weil sich darin die hegemoniale Macht der Wissenschaftssysteme ausspricht. Das Kontingente als das Auch-Mögliche begründet ihre Methode der permanenten Kritik (182). Franziska Frei Gerlach spricht davon, dass es eine gewisse Widerständigkeit hervorruft, die Differenztheoretikerin Luce Irigaray als Denkerin der Kontingenz zu verstehen, da der Begriff der Geschlechterdifferenz auf einer dualen Logik basiert, die die Ordnung der Dinge anders organisiert als der Begriff der Kontingenz, der immer mehrere Möglichkeiten zugleich zulassen würde. Sie geht der Frage nach, wie diese beiden widerständigen Ordnungen im Denken Irigarays verankert sind und wie in diesem Zusammenhang ihr Theorem von den sich berührenden Lippen verstanden werden kann. Schlussendlich weist Kathrin Hönig im Blick auf Lynn Hankinson Nelson und Sandra Harding nach (260­282), dass selbst im Bereich interner Wissenschaftstheorie, die sich ganz auf kognitive, epistemische und logische Faktoren bezieht, feministische Kritik sinnvoll und sehr gezielt den Diskurs mitbestimmt.

Man sollte die Publikation vielleicht nicht in erster Linie dahingehend lesen, was es über Kontingenz zu lernen gibt, sondern sich vielmehr von dem Buch vor Augen führen lassen, dass jede der hier vorgestellten Philosophinnen zu Recht mit ihrem Denken, Sprechen, Schreiben und Handeln in die Philosophiegeschichte des 20. Jh.s gehört und dass man diesbezüglich keine Geschichte mehr schreiben kann, in der sie fehlen!