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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

433–435

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hallacker, Anja

Titel/Untertitel:

Es spricht der Mensch. Walter Benjamins Suche nach der lingua adamica

Verlag:

München: Fink 2004. 207 S. gr.8°. Kart. Euro 24,00. ISBN 3-7705-3877-3.

Rezensent:

Hans P. Lichtenberger

Walter Benjamins frühe Sprachphilosophie beansprucht, ein theologisches Paradigma der Geschichte zu umreißen. Sie greift damit ersichtlich weit über das hinaus, was im 20. Jh. in verschiedenen Spielarten unter Sprachphilosophie verstanden wurde. Damit setzt sie sich zugleich dem Verdacht des Unzeitgemäßen aus. Der Aufsatz von 1916 »Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen« entwirft die menschliche Geschichte als einen Prozess des Abfalls, indes »Die Aufgabe des Übersetzers« ( 1921) sie als durch ein idealgeleitetes Fortschreiten zur Versöhnung in der Vielheit zu thematisieren sucht. Der Mensch erscheint dabei weniger als ein Handelnder denn als ein Sprechender, dessen geschichtlicher Ort sich aus dem Verhältnis zu einem »ersten« Sprachzustand, der »reinen« Sprache bestimmt.

Sprache wird hier ­ im Unterschied zum Mainstream der Sprachphilosophie ­ nur abgeleiteterweise als Kommunikation verstanden; sie wird ursprünglich als eine intentionslose Selbstmitteilung, in der sich dennoch das Wesen der Dinge offenbart, aufgefasst. Ein solches Programm stellt allerhöchste Anforderungen an seine Explikation.

Die Rolle, die Traditionen jüdischer Theologie für Benjamins Denken spielen, ist grundsätzlich anerkannt und allenfalls in Details strittig. Zu fragen aber wäre, inwieweit und mit welchem Recht sich diese Elemente in ein Theoriekonzept fügen, das doch auch unter der Idee allgemeiner Rationalität stehen sollte. Bei allen Anrufungen der Theologie im Werke Benjamins: die Problematik seines Theologieverständnisses und dessen konstitutive Funktion erscheinen noch weitgehend als ungelöst.

Die vorliegende Berliner (Freie Universität) philosophische Dissertation von Anja Hallacker geht einer Spur dieser Thematik nach. Sie ist konzentriert auf die beiden oben genannten Aufsätze, sucht geistesgeschichtliche Vorgänger und Parallelen auf und zieht Linien in die Postmoderne (Derrida, Eco). Geradezu asketisch verzichtet sie darauf, die Bedeutsamkeit der gewonnenen Erkenntnisse für das Gesamtwerk Benjamins aufzuzeigen. Eine Prämisse der Arbeit ist, dass die Suche nach einer »lingua adamica« ein Symptom speziell von Krisenzeiten ist (10.15). Dies betrifft sowohl Benjamin als auch seine Referenzpositionen. Dabei bezeichnet »lingua adamica« weniger eine vorgeschichtliche Ursprache als vielmehr das Ideal einer Einheit des menschlichen Verstehens, die in der Vielzahl dissonanter Stimmen verloren ging.

Das erste Kapitel wirft historische Streiflichter auf Traditionsquellen wie das schöpfungstheologische Sprachdenken der Rosenkreuzer und des Cusanus, denen im 18. Jh. eine anthropologische Theorie des Sprachursprungs (Herder u. a.) entgegentritt. Antipodisch verhält sich dazu Hamann, der den Ursprung von Sprache und Vernunft aus dem lebendigen göttlichen Wort postuliert. Doch zwischen der Sprache des Paradieses und dem profanen menschlichen Wort steht die Poesie, die zur ursprünglichen Sprache der Schöpfung zurückweist (34). Die Frühromantiker haben dieses Konzept weitergeführt. ­ Eine andere Tradition der adamitischen Sprache ist in den Freimaurerlogen lebendig (38 ff.), in denen ­ zum Teil in eigenwilliger Rezeption von Motiven der jüdischen Kabbala ­ magische Sprachzeichen eher der Verschlüsselung als der Erkenntnis der Wahrheit dienen. ­ Bei aller Unterschiedenheit dieser Traditionen ist ein gemeinsamer Bezugspunkt die theologische Vorstellung einer Schöpfung aus dem Wort (45) sowie die Anmutung einer Sprache der Dinge selbst. Beide gehen in Benjamins Theorieversuch ein.

Dieser wird in Kapitel 2 dargestellt. Der Bezugspunkt ist die Idee einer »reinen« Sprache, die als »Wesen« der Sprache selbst empirisch unbestimmt ist, jedoch von dem Gegensatz zwischen geistigem und sprachlichem Wesen bleibend tangiert wird. Primär teilt die Sprache sich selbst mit, nur abkünftig teilt sie »etwas« mit. Im paradiesischen Benennen der Dinge manifestiert der Mensch sein eigenes geistiges Wesen und das der Dinge; dies ist zu unterscheiden von jenem nominalistischen Etikettieren, das ausschließlich der Kommunikation dient. Die ursprüngliche Sprache ist Sprache des Namens; der Name, der die begriffslose Individualität meint, ist die Verbindung von reiner und empirischer Sprache, wobei die Namenssprache des Menschen und die namenlose der Dinge im göttlichen Schöpfungswort übereinkommen. In der lingua adamica stehen Mensch und Ding in paradiesischer sprachlicher Harmonie (88). Zwar sind nur in Gott erkennender Name und schaffendes Wort identisch (90), doch partizipiert in der Namengebung der Mensch an der Schöpfung.

Kapitel 3 (»Biblische Sprachtheorien«) exemplifiziert dies anhand von Benjamins Genesis-Auslegung, wobei die beiden Schöpfungsberichte auch sprachtheoretisch unterschiedliche Akzente setzen. Der Sündenfall wird interpretiert als Verlust der lingua adamica, d. h. als Verlust des Namens und der Teilhabe an der Schöpfung. Die Folgen sind namenloses urteilendes Wissen, unangemessene »Überbenennung« (120), die doch das Wesen der Dinge nie auszuschöpfen vermag, und Sprachenvielfalt. Die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel bringt die Sündenfallsgeschichte auf den Punkt: Die lingua adamica ist unerreichbar geworden, die auf Kommunikation reduzierte Sprache offenbart die Kommunikationslosigkeit (128 f.).

Es stellt sich die Frage eines möglichen Sinns einer lingua adamica nach dem Wegbrechen ihrer theologischen Legitimierung (133; Kapitel 4). Benjamin hat dies in seiner Theorie der Übersetzung bearbeitet. Die Intention der empirischen Sprache zielt auf die reine Sprache, die in ihr verborgen und präsent ist und im Prozess der Übersetzung avisiert wird. Benjamins Konzeption wird kritisiert von Derrida, der das außergeschichtliche Ideal einer reinen Sprache als Projektion abendländischen Einheits- und Machtdenkens deutet (170). Stattdessen plädiert er im Sinne der Dekonstruktion für die unendliche Rede zwischen Menschen und Texten.

Fraglich mag die Anschlussfähigkeit des Benjaminschen Entwurfes an heutiges Bewusstsein erscheinen (Kapitel 5). Dass Sprache der Bezug auf eine göttliche Welt oder aber auch die Entschlüsselung der dinglichen Welt sei, ist gegenwärtigem Denken wenig plausibel. Doch bleibt das Problem, ob es außersprachlichen Sinn überhaupt gäbe (180 f.). Ein abschließender Blick auf Umberto Ecos Das Foucaultsche Pendel zielt auf ein Modell, in dem jedes sprachliche Zeichen auf eine Leerstelle verweist: die von Benjamins intendierte reine Sprache. Benjamins platonisierende Idee einer lingua adamica wird zur Patin postmoderner Referenzlosigkeit. Wieweit das schlüssig sein kann, darüber dürfte die Diskussion wohl noch nicht abgeschlossen sein.

Gewiss bietet die Arbeit im assoziierenden Nachvollzug Benjaminscher Texte viele hilfreiche Funde. Doch inwiefern es befriedigend ist, hermetische Texte durch weitere hermetische Texte zu erläutern, möge jede/jeder selbst entscheiden. Hätte eine Beiziehung der erkenntnistheoretischen Einleitung ins Trauerspielbuch, die doch erklärtermaßen eine Weiterführung des Sprachaufsatzes ist, hier für mehr Durchsichtigkeit sorgen können?

Aber dem Verstand nach dem Sündenfall bleiben einige prosaische Fragen: Welche philosophisch-kategorialen Zwänge jenseits von undeutlichen Traditionen nötigen zur Annahme einer reinen Sprache? Aus welcher Erkenntnisquelle ist Benjamin mit der Sprache Gottes und seinem Handeln so intim vertraut? Wie ist für den infralapsarischen Sprecher eine »intentionslose Sprache« überhaupt zu denken? Zusammenfassend: Mit welcher Absicht und mit welchem Recht nimmt Benjamin »Theologie« (welche?) in Anspruch?