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Ausgabe:

April/1998

Spalte:

372 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Collins, Adela Yarbro

Titel/Untertitel:

Cosmology and Eschatology in Jewish and Christian Apocalypticism.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XII, 261 S. gr.8° = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 50. Lw. hfl 154.­. ISBN 90-04-10587-5.

Rezensent:

Marco Frenschkowski

Adela Yarbro Collins, Professorin für Neues Testament an der Divinity School der Universität Chicago, ist vor allem mit Arbeiten zum Markusevangelium und zur Johannesapokalypse bekannt geworden. Der vorliegende Band stellt (was durch einen Untertitel vielleicht doch hätte kenntlich gemacht werden können) keine Monographie, sondern eine Aufsatzsammlung zu verschiedenen Aspekten der Apokalyptik dar. "Meaning and Significance in Apocalyptic Texts" (1-20) ist eine Art hermeneutisches Vorwort, in dem die sowohl den Traditionen der Harvard University als auch den des nachkonziliaren Katholizismus verpflichtete Autorin ein Raster umschreibt, in dem "meaning" und "significance" apokalyptischer Texte erfaßt werden könne. Mit dieser von E. D. Hirsch (der Sache nach auch von Krister Stendahl) stammenden begrifflichen Unterscheidung wird sehr schlicht zwischen der Erschließung eines historischen ("meaning") und eines gegenwartsbezogenen Sinnes ("significance") differenziert. Für den erstgenannten Fragehorizont wird die methodische Forderung erhoben, die eschatologisch-zeitlichen Aspekte der Apokalyptik (betont etwa von Paul Hanson) nicht gegen die kosmologisch-mystischen (betont von Christopher Rowland) auszuspielen. Daraus ergibt sich eine komplexe eigene Definition der Apokalyptik (7), die sich leider nicht auf eine prägnante Formel verkürzen läßt. Die Bedeutung allgemeiner kulturmorphologischer und anthropologischer Arbeiten für einen Fortschritt der Apokalyptikforschung wird zu Recht unterstrichen.

"The Seven Heavens in Jewish and Christian Apocalypses" (21-54) zeigt, daß das Konzept von "sieben Himmeln" in diversen Apokalypsen ursprünglich nicht auf die Planetensphären zielt, sondern eigene magische Wurzeln hat, die freilich ebenfalls im babylonischen Raum zu suchen sind. Erst im 2. Jh. setzt sich das Weltbild des gebildeten Hellenismus auch in apokalyptischen Texten durch. Alle wichtigen jüdischen und christlichen apokalyptischen Zeugnisse werden auf ihre kosmologischen Aussagen hin befragt und geordnet, wobei neben der Siebenzahl der Himmel auch die ältere Dreizahl eine gründliche Darstellung findet.

"Numerical Symbolism in Jewish and Early Christian Apocalyptic Literature" (55-138), die umfangreichste Studie des Bandes, ist eine umfassende und hilfreiche Übersicht über die Verästelungen apokalyptischer Zahlensymbolik. Periodisierungen der Geschichte, die Rezeption von Jeremia 25,11 f.; 29,10, die innere Logik der Sabbatjahre und ihre eschatologische Überhöhung im Motiv der Weltwoche (7000 Jahre) kommen dabei ebenso zur Sprache wie das Vier-Reiche-Schema (eher knapp) der 10er- und 12er-Rhythmen. Kosmologische Zahlensymbolik wird auf pythagoreisierende Arithmologie zurückgeführt, deren Kenntnis etwa im alexandrinischen Judentum gut belegt ist. Die Offenbarung des Johannes ­ in der übrigens schon rein quantitative Zahlensymbolik einen weit größeren Platz einnimmt als in jeder anderen Apokalypse ­ will mit ihren Zahlen nicht zu einer Berechnung des Weltendes einladen, wie eine traditionsgeschichtliche Analyse dieser Zahlen klar zeigt (67), sondern die planende und überlegene Macht Gottes veranschaulichen. Falsch ist allerdings die Aussage (127), die 7-Tage-Woche hätte sich schon im ersten Jahrhundert allgemein im römischen Reich durchgesetzt. Richtig bleibt natürlich, daß sie ihren Siegeszug im 2.-4. Jh. primär weder dem Judentum noch dem Christentum, sondern der Astrologie verdankt. Der Römer der neutestamentlichen Epoche lebt noch in älteren Rhythmen (etwa dem der nundinae, des achttägigen Marktzyklus, oder demjenigen der dies fasti und nefasti und überhaupt der diversen feriae), die zwar partiell vergleichgültigt werden, aber noch nicht durch die Planetenwoche ersetzt sind.

"The Origin of the Designation of Jesus as ’Son of Man’" (139-158) referiert den Forschungsstand in vorbildlicher Übersichtlichkeit und leitet dann von der eher typologischen Differenzierung der Menschensohnworte im Gefolge Heinz Eduard Tödts zu einer stärker formgeschichtlich orientierten. Die eingenommene Position ähnelt freilich doch wieder weithin der Bultmanns: der historische Jesus habe von einem künftigen MS gesprochen, ohne sich mit diesem zu identifizieren. Sehr viel interessanter ist "The ’Son of Man’ Tradition and the Book of Revelation" (159-197), wohl der innovativste Beitrag des Bandes. Die Christophanie Apk 1,7.9 ff. wird ausführlich traditionsgeschichtlich analysiert, wobei die präzisen Bezüge zu Dan 7,13 und Sach 12,10-14 vor dem Hintergrund unserer heutigen Kenntnisse über die überaus komplexe Textgeschichte des griechischen AT problematisiert und in ihrer Spannung zwischen angelologischen und gottheitlichen Christusattributen thematisiert werden. Zum Stichwort "Engelchristologie" werden damit interessante Beobachtungen vorgelegt; Frau Collins versucht zu zeigen, daß der Apokalyptiker wahrscheinlich in einer Tradition stand, die auch den "Alten der Tage" aus Dan 7 als einen Engel sieht (184). Die Dynamik zwischen Gottesbild, Angelologie und Christologie in der Offenbarung ist zur Zeit überhaupt ein ergiebiges Forschungsthema (vgl. ThLZ 121, 1996, 363-366).

"The Political Perspective of the Revelation of John" (198-217) entwirft zuerst eine Typologie der verschiedenen Modelle des Widerstandes gegen die römische Weltmacht und verortet dann die Offenbarung in diesem Raster. Interessant die Beobachtung, daß das Martyrium eine Form des Widerstandes sei, in welchem die "Heiligen" (die Christen) am eschatologischen Endkampf partizipieren und das Ende beschleunigen. Vom zelotischen Freiheitsstreben unterscheide sich die christliche Apokalyptik der Offenbarung Johannis durch die Stellung zum militärischen Kampf, nicht im Synergismus, den beide teilten (217). Der Aufsatz "The Origin of Christian Baptism" (218-238) schließlich ist ein kurzes Referat der Probleme und des Forschungsstandes in Sachen Taufe.

In den motivgeschichtlichen Detailarbeiten vor allem zu Zahlensymbolik und Weltbild der Apokalypsen hätte für mein Gefühl eine weitere Textbasis nicht geschadet. Die babylonischen Traditionen (für die Kosmologie der jüdischen Apokalyptik von ausschlaggebender Bedeutung) werden ausgiebig diskutiert, aber immer nur nach der Sekundärliteratur, ohne Nennung der relevanten Texte. Arbeiten wie die von Helge S. Kvanvig (Roots of Apocalyptic. The Mesopotamian Background of the Enoch Figur and of the Son of Man, WMANT 61, 1988) sind trotz problematischer Thesen in dieser Hinsicht sehr viel befriedigender. Auch die hellenistischen Traditionen werden nur sporadisch gesichtet (z. B. kommt die reiche astrologische Spezialliteratur der Antike, die für die Kosmologie schlechterdings zentral ist, überhaupt nicht vor) bzw. wird nach überholten Ausgaben benutzt. Der Poimandres etwa ­ für die Argumentation S. 47 grundlegend ­ wird immer noch nach der erratischen Edition von Walter Scott zitiert (brauchbar ist natürlich nur die Ausgabe von Arthur Darby Nock, zu der J.-A. Festugière die Übersetzung beigesteuert hat), die Oracula Chaldaica ­ ein Grundtext für die Religionsgeschichte des 2. Jh.s n. Ch. ­ werden trotz der beiden glänzenden neuen Ausgaben von Édouard des Places (21989) und Ruth Majercik (1989) nur nach älterer Sekundärliteratur referiert. Es ist schade, daß ein ernsthaftes Interesse für jüdische und christliche Apokalyptik so oft nicht mit einem gleichermaßen erhöhten Problembewußtsein für die Komplexibilitäten der hellenistischen Religionsgeschichte einhergeht.

Davon abgesehen ist Cosmology & Eschatology in Jewish and Christian Apokalypticism eine nützliche Sammlung kleiner Studien, welche die besten Eigenschaften der klassischen anglo-amerikanischen Exegese (unprätentiöse Klarheit und ausgewogene Vermeidung gedanklicher Engpässe) auf das Gebiet der Apokalyptik anwendet.