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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

422 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Prüller-Jagenteufel, Gunter M.

Titel/Untertitel:

Befreit zur Verantwortung. Sünde und Versöhnung in der Ethik Dietrich Bonhoeffers

Verlag:

Münster: LIT 2004. 608 S. gr.8° = Ethik im Theologischen Diskurs, 7. Kart. Euro 49,90. ISBN 3-8258-6930-X.

Rezensent:

Christiane Tietz

Die im Kontext der »Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre« geführte Debatte um das »simul iustus et peccator« ist der Anlass für diesen katholischen Versuch, eine »rechtfertigungstheologisch begründete Š Ethik von Sünde, Buße und Vergebung« (45) zu entfalten. Gesprächspartner der Regensburger Habilitationsschrift ist dabei Dietrich Bonhoeffer; seine Theologie besitze in besonderer Weise ökumenische Offenheit; und ­ was noch entscheidender sei ­ Bonhoeffer habe »wie kaum ein anderer lutherischer Theologe des 20. Jahrhunderts Š die Rechtfertigung sola fide und sola gratia Š zum Ausgangspunkt und Zentrum seines Denkens gemacht« (30 f.).

Nach einer Hinführung (13­43) wird im ersten Hauptteil der Arbeit zunächst Bonhoeffers Grundlegung der Ethik in Sünde und Versöhnung (57­235) entfaltet. Anschließend werden ethische Konkretisierungen (236­441) derselben herausgestellt und sehr anschaulich an Bonhoeffers Widerstandsethik vorgeführt. Eine Reflexion auf die ethische Dimension von Sünde, Buße und Versöhnung (442­481) schließt den Bonhoeffer-Teil ab. Der zweite Hauptteil zeichnet auf Grund des Erarbeiteten die Skizze einer rechtfertigungstheologisch fundierten Ethik im ökumenischen Horizont (484­573), bei der der Vf. das »simul iustus et peccator« durch den »Prozess Š von Umkehr, Buße und Versöhnung im liturgisch-sakramentalen Handeln der Kirche« (511) wiedergewinnen will; denn in der liturgisch-sakramentalen »Erfahrung von Vergebung und Versöhnung aus Gnade« wird nicht weniger als »die zentrale Mitte des christlichen Glaubens erfahrbar« (517).

Der Vf. macht zunächst plausibel, dass Bonhoeffer die Sünde als »strikt theologische Realität« (84) versteht. In ihr negiert der Mensch die Relationalität seiner Existenz, wie eindrücklich gezeigt wird (115 ff.). Die ethische Dimension der Sünde ist von dieser theologischen nur abgeleitet (84). Deshalb kann ein Ausweg aus der Sünde »auch nicht in dem Versuch bestehen Š, sich selbst zu bessern; Sünde bedarf vielmehr der Erlösung von Gott her« (105). Es ist, wie der Vf. zu Recht betont, für Bonhoeffer »zuallererst und immer Gott, der von sich her die Grenze zum Menschen überschreitet, Gemeinschaft stiftet und weitere Gemeinschaft ermöglicht« (152).

Dieser personal-soziale Charakter des Erlösungsgeschehens wird in der Kirche konkret, die »simul iusta et peccatrix« (230) ist. Diese Personalität wahrt nicht nur die Unverfügbarkeit der Offenbarung Gottes (191 f.), sie verknüpft auch Rechtfertigung und Nachfolge, weil der Gerechtfertigte in neuen Beziehungen steht, die es ethisch zu gestalten gilt. Deshalb folgt: »Nachfolgepraxis und Ethik sind nicht Nebensache, sondern der Raum der Bewahrheitung« (192) der Rechtfertigung. Inhaltlich orientiert sich Nachfolge nicht imitatiohaft am historischen Jesus, sondern »am Christus-Ereignis selbst, Š an seinem pro-aliis-Sein« (367).

In diesem Ereignis ist der Weltbezug des Christen begründet: »Š weil Christus bleibend der Menschgewordene Š ist, kann der Glaube der Welt nicht entfliehen« (202); so wird deutlich: »Weltlichkeit ist für Bonhoeffer Š ein strikt christologischer Terminus« (339). Damit ist denn auch jeder »Versuch, die Welt durch autonome Ethik zu ðrettenÐ, Š von vornherein zum Scheitern verurteilt« (215). Der Vf. macht deshalb mit Bonhoeffer eine rechtfertigungstheologische Begründung von Ethik stark: Es ist »für Bonhoeffer Š klar, daß es nicht die Ethik sein kann, die die Erlösung der Welt aus der Sünde herbeiführt, sondern daß in der Ethik umgekehrt die Versöhnung in Christus vorausgesetzt ist als Ermöglichung jedes ethischen Tuns« (237).Der Vf. zeichnet Bonhoeffers Ethik als eine Ethik der Verantwortung vor Gott für den anderen nach. Sie konzentriere sich auf »Grenzsituationen« und sei insofern »vor allem Š ein Krisenphänomen« (363). Bonhoeffer frage nicht nach ethischen Prinzipien, sondern nach dem »konkrete[n] Gebot Gottes für eine bestimmte Zeit« (383). Letzte Eindeutigkeit lasse sich dabei nicht erreichen, weil das »simul iustus et peccator« »auch die Situation und die Plausibilitätsstrukturen der Gesellschaft Š prägt« (491 f.), die bei der Suche nach dem Willen Gottes so gut wie möglich analysiert werden müssen. ­ Katholische moraltheologische Entwürfe werden von den an Bonhoeffer herausgearbeiteten rechtfertigungstheologischen Einsichten und protestantische Entwürfe von Bonhoeffers ekklesiologischer Schwerpunktsetzung her kritisiert. Der Vf. vertritt dabei keine kontroverstheologisch verhärtete Position, sondern bemüht sich um Differenziertheit, die für eine ökumenische Annäherung einiges austrägt.

Die Bedeutung der Arbeit besteht im überzeugenden Herausarbeiten dessen, dass Bonhoeffers Ethik wesentlich rechtfertigungstheologisch begründet ist. Allerdings müsste für eine an Bonhoeffer gewonnene ökumenische Verständigung über die Rechtfertigungslehre ausführlicher diskutiert werden, ob Bonhoeffer damit, dass er durch seine Rede von der »teuren Gnade« den Glaubensakt als »wesentlich praktisch-relational Š, also ethisch verfaßt« bestimmt (427) und »die Gottesbeziehung umfassend ethisch charakterisiert« (487; vgl. 434: »Š an der konkreten Nachfolge entscheidet sich das Heil«), dem Anliegen des reformatorischen sola fide gerecht wird.