Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2006

Spalte:

419–422

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Mikoteit, Matthias

Titel/Untertitel:

Theologie und Gebet bei Luther. Untersuchungen zur Psalmenvorlesung 1532­1535

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2004. XII, 335 S. gr.8° = Theologische Bibliothek Töpelmann, 124. Geb. Euro 98,00. ISBN 3-11-017979-2.

Rezensent:

Georg Nicolaus

Die umfangreiche Vorlesungstätigkeit Luthers über verschiedene Psalmen und Psalmengruppen aus den Jahren 1532 bis 1535 wurde bisher nur selten gründlich untersucht. M. hat es in seiner von Martin Brecht betreuten Dissertation unternommen, anhand dieser wichtigen Quelle das Verhältnis von Theologie und Gebet bei Luther zu klären. Seine These ist, dass hierbei Lob und Dank eine entscheidende Rolle spielen und diese Bedeutung aus der Rechtfertigungslehre resultiert. Diese These begründet M. schlüssig. In minutiöser Detailanalyse spürt er in seiner Quelle Luthers Gebrauch der Wortfelder ðLobenÐ und ðDankenÐ nach und führt diesen immer wieder auf die Rechtfertigungslehre zurück. Dieses einleuchtende Hauptergebnis wird in Konzeption und Durchführung der Arbeit allerdings von einigen weniger überzeugenden Punkten kontrastiert. So bringt es etwa die Überfülle umfangreicher Zitate samt Übersetzung mit sich, dass der Gedankengang immer wieder ins Stocken gerät, weil relativ einfache Zusammenhänge ausführlich belegt werden. Auch die Architektonik überrascht: Von den sechs Kapiteln haben die ersten fünf (1­101) vorbereitenden Charakter, das letzte (102­302) stellt den »Hauptteil« (103) dar. Oder handelt es sich gar um die eigentliche Arbeit? Die Zusammenfassung (295­302) jedenfalls ist diesem Kapitel eingegliedert (VI. 5.) und referiert nur dessen Ergebnisse. Die Struktur der Arbeit bleibt etwas im Unklaren.

In I. Einleitung: Thema, Methode und Gliederung der Arbeit (1­13) erörtert M. zunächst den Status seiner Quelle. Er sieht die Vorlesungen Luthers unter Verweis auf die Einheit der behandelten Textgattung als eine an (3 ff.) ­ die dritte Psalmenvorlesung. Seine Methodik gewinnt M. aus deren Eingangssequenz (6 f.): Luther betont dort Lob und Dank, deshalb analysiert M. vor allem deren Vorkommen. In II. Der Begriff »fromm« (14­47) zeigt er jedoch zunächst, dass auch Luthers vielfältiger Gebrauch von ðfromÐ durch sein Verständnis der Rechtfertigung geprägt und eng mit dem Gebet verknüpft ist, denn im »Gebet entsteht ðFrömmigkeitÐ erstmalig, und im Gebet realisiert sie sich fortwährend neu« (47). Gebet wird dabei als menschliches Tun, das Gottes heiliger Geist wirkt, charakterisiert (ebd.). Inwiefern sich darin ðdie Frömmigkeit fortwährend neu realisiertÐ und was Luther unter solchem ðfortwährendemÐ Gebet versteht, wird nicht geklärt. Nach III. Luthers Beten ­ ein Forschungsbericht (48­57) analysiert M. in IV. Die dritte Psalmenvorlesung als Gebet (58­72) die Eingangssequenz, in der Luther die dritte Psalmenvorlesung als ðMesseÐ und ðDankopferÐ tituliert. M. skizziert Luthers modifiziertes Verständnis des Dankopfers seit 1520 (60­63), identifiziert die dritte Psalmenvorlesung als ein solches Dankopfer (64­66), sieht aber auch Züge eines Bittopfers (67 f.). Das Fazit lautet, dass Luther die dritte Psalmenvorlesung »als einen liturgischen Vollzug versteht«, sie deshalb auch »einen Gebetsvollzug darstellt« (68) und daher für »Luther gilt: Theologie ist Gebet« (69). In V. Gebete in der dritten Psalmenvorlesung (73­101) stellt M. Luthers »Vorsatz, sich mit der Vorlesung betend zu Gott hinzuwenden« (73), auf die Probe, indem er die »erkennbaren aktuell vorhandenen Gebetsvollzüge« (78) untersucht. Da aber bereits erklärt wurde, dass das Gebet eine fortwährende von Gott gewirkte menschliche Tätigkeit ist (II) und die gesamte dritte Psalmenvorlesung einen Gebetsvollzug darstellt (IV), ist undeutlich, inwiefern einzelne Gebete einen Nachweis für die These darstellen sollen bzw. können.

In VI. Gott loben und danken nach der dritten Psalmenvorlesung (102­302) weist M. drei Formen des Lobens und Dankens auf: 1. Die kerygmatische Gestalt, 2. die Gebetsgestalt und 3. das gute Werk der zweiten Tafel des Dekalogs.

1. Kerygmatische Gestalt (103­141) gewinnt das Loben und Danken im Lehren und Lernen der Verkündigung, deren Zentrum die Gabe der göttlichen Rechtfertigungsgnade ist (135). Ein prinzipieller Unterschied zwischen der kerygmatischen Gestalt des Lobens und des Dankens besteht nicht (134 ff.).

2. In der umfangreichen Analyse der Gebetsgestalt des Lobens und Dankens (141­265) arbeitet M. für das Loben (142­183) und Danken (183­220) verschiedene Bedeutungsnuancen von Luthers Gebrauch der Wortfelder heraus: Für Luthers Verständnis des Lobens wehrt M. zunächst eine sachliche Nähe zum mystischen Gebet ab (142­157, vgl. 240 u. 298f.). Positiv wird in der Auslegung von Psalm 51 die ðconfessio peccatorumÐ als Lob bezeichnet (157­170), in der gesamten dritten Psalmenvorlesung das in festen Formulierungen auftretende Lob für verschiedene Wohltaten Gottes (170­177) und in der Auslegung von Psalm 127 das Lob von Gottes Schöpfungsgaben in Form einer Reminiszenz an Hiob 1,21 (178­183). Dank spricht Luther in geprägten Formeln als Dank für die Erhaltung und Förderung des Glaubens aus (183­197), er formuliert Dankgebete zur eigenen oder zur Erbauung anderer, in denen er die Implikationen der rechten theologischen Lehre entfaltet oder verarbeitet (197­210), und schließlich lobt er Gott in der Auslegung von Psalm 127 nicht nur, sondern er dankt ihm auch für seine Schöpfungsgaben (211­220). Etwas zurückhaltend formuliert M. als Ertrag: »Man gewinnt den Eindruck, das Sprechen von Lob- und Dankgebeten sei bei Luther nicht nur eine mögliche, sondern eine notwendige Folge des Verstehens der Wirklichkeit des Glaubens.« (215) Einen Unterschied zwischen Loben und Danken sieht er wiederum nicht (220­224). Wichtig ist das Ergebnis, das für Lob wie Dank gilt: Nicht die äußere Form eines expliziten Gebetsaktes ist entscheidend, sondern »die theologische Aussage, daß durch Gott etwas geschehen ist« (229). Diesen so charakterisierten Vorgang des Lobens und Dankens versteht Luther laut M. aus der Analogie zum alttestamentlichen »Heilsopfer« bzw. »Dankopfer« (238 ff.). Unter das Loben und Danken will M. auch das Beichtgebet subsumieren (240­248), dessen ðGrundtypÐ er etwas umständlich rekonstruiert (248­252). Abschließend begründet M. präzise, warum nach Luther Lob und Dank stets der Bitte vorauszugehen haben (253­265).

3. Lob und Dank können sich auch als gutes Werk der zweiten Tafel des Dekalogs artikulieren, wie einige Stellen der dritten Psalmenvorlesung nahe legen (265­280). Wo sich der Glaube als Wirken des Geistes im Tun guter Werke realisiert, da geschieht auch dies zum Lobe Gottes, muss jedoch an das Loben und Danken in Gebeten rückgebunden sein.

In 4. Dankbarkeit als Eigenschaft des Glaubens (280­295) nimmt M. seine Gebetsdefinition aus II. wieder auf und reformuliert sie mit Blick auf das Verhältnis von Danken und Glauben. Im Akt des Glaubens ist der Gläubige Gott dankbar, der Vorgang »des religiösen inneren, nonverbalen Dankens« ist für M. also eine Eigenschaft des Glaubens (294), die wiederum als fortwährendes Handeln Gottes bestimmt wird (295). Inwiefern dieses innere Danken »nonverbal« (285 u. ö.) ist und wie es ­ wenn nicht sprachlich ­ denn sonst ðcodiertÐ sein könnte, ist dem Rezensenten unverständlich geblieben. M.s Analysen wie auch Luthers Äußerungen zeigen deutlich in Richtung eines inneren sprachlichen Vorgangs.

5. Die knappe Zusammenfassung (295­302) bezieht sich nur auf Kapitel VI (s. o.). Die Äußerungen sind nach Ansicht des Rezensenten gelegentlich nicht von der Argumentation des Kapitels gedeckt, z. B. vermisst er Nachweise dafür, dass Luther der Verkündigung Vorrang vor den beiden anderen Formen des Lobens und Dankens einräumt (296) und dass er das Bitten dem Loben und Danken subsumiert (301).

Fazit: In seiner Schrift Wider Hans Worst sagt Luther, unser gesamtes Leben stehe unter dem Vorzeichen der Bitte »Vergib uns unsere Schuld« ­ mit einer Ausnahme: der christlichen Lehre und Verkündigung (WA 51,517). Auch in der für M.s Vorgehen maßgebenden Eingangssequenz der dritten Psalmenvorlesung weist Luther Lob und Dank im Blick auf Verkündigung und Lehre einen herausragenden Stellenwert zu. Dies hat M. ausgehend von der dritten Psalmenvorlesung in philologischer Kleinarbeit ins Licht gerückt (vgl. vor allem IV.; VI. 1). Dass M. sich auch bei der Erörterung der weiteren Aspekte von Luthers Gebetsverständnis (VI. 2­4) auf Loben und Danken konzentriert, ist aus dieser Aussage aber nicht ohne weiteres abzuleiten. M. weist denn auch selbst darauf hin, dass Luther das Bittgebet gegenüber dem Lob- und Dankgebet nicht abgewertet hat (264), sondern beide gleichermaßen für grundlegend hielt (253); und bei der zentralen Frage, wie die rechte Frömmigkeit erlangt werden kann, verweist M. ebenfalls auf das Bittgebet (47). So scheint für Luthers Verständnis des christlichen Lebens und Betens in dieser Welt eher ein Gegenüber von Loben und Danken auf der einen und Bitten auf der anderen Seite charakteristisch zu sein, wie z. B. seine Verknüpfung von Römer 8,26 mit dem Vaterunser zeigt (vgl. WA 45,541 u. ö.). Aus ihr lässt sich das von M. nicht näher beschriebene Verständnis des Gebets als fortwährende Tätigkeit des heiligen Geistes als Ineinander von Dank und Bitte rekonstruieren. Dass Loben und Danken als elementarer Teil von Luthers Theologie- und Gebetsverständnis zu verstehen sind, wie M. herausgearbeitet hat, bleibt aber unumstrittene Grundlage der weiteren Forschung.