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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

400–402

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hafenbrack, Hans

Titel/Untertitel:

Geschichte des Evangelischen Pressedienstes. Evangelische Pressearbeit von 1848 bis 1981.

Verlag:

Bielefeld: Luther-Verlag 2004. 663 S. m. Abb. 8° = Evangelische Presseforschung, 5. Kart. Euro 42,90. ISBN 3-7858-0488-1.

Rezensent:

Jochen-Christoph Kaiser

Die evangelische Pressegeschichte des 19. und 20. Jh.s gehörte bislang eher zu den Randthemen der Kirchlichen Zeitgeschichte und ihrer Erforschung. Dieses Bild hat sich in jüngster Zeit deutlich gewandelt: Seit 2001 erschienen mehrere theologische Dissertationen zu diesem Bereich, dessen Kenntnis bislang vor allem durch das Standardwerk von Gottfried Mehnert (1983) bestimmt wurde.

Die hier vorzustellende Untersuchung von Hans Hafenbrack, Jahrgang 1936, von 1981­1998 Chefredakteur des epd in Frankfurt am Main, gehört zu einer anderer Gattung und hat auch einen anderen Ausgangspunkt: Es ist der gelungene Versuch eines Insiders, die Geschichte ðseinesÐ Verbandes auf wissenschaftlicher Grundlage aufzuarbeiten, gewissermaßen also eine quellengestützte Innenansicht der Organisationsformen protestantischer Medienpolitik zu liefern und sich dabei immer an der ­ letztlich nicht zufriedenstellend zu beantwortenden ­ Leitfrage zu orientieren, wie denn die intendierte Unabhängigkeit einer Presseagentur gewahrt werden kann, deren Finanzierung und ideelle Ausrichtung trotz sich wandelnder Organisationsstrukturen letzten Endes durch den ðTendenzbetrieb KircheÐ gesichert wird.

Wesentliches Motiv und Antriebsmoment für H., sich mit der epd-Geschichte zu beschäftigen, war ­ wie häufig bei zeitgeschichtlichen Themen ­ die irritierende Entdeckung einer bisher höchst unzulänglichen Aufarbeitung der Jahre des Dritten Reiches, d. h. die offensichtlich bewusste Ausblendung bestimmter Fakten durch die nach 1945 für den Wiederaufbau der evangelischen Presse verantwortlichen Persönlichkeiten: Konkret geht es um die Person des ersten Chefredakteurs und Herausgebers des epd nach 1945, Dr. Focko Lüpsen. So hatte dieser in seinem Lizenzantrag von 1946 für die Gründung des Bielefelder Luther-Verlages die Legende in die Welt gesetzt, er selbst sei als Chefredakteur des alten epd Repressionen durch das NS-Regime ausgesetzt gewesen, das 1937 die zwangsweise Einstellung des Dienstes verfügt habe. Erst durch die Recherchen des heutigen epd-Redakteurs Volker Lilienthal stellte sich 2003 heraus, dass dies eine Schutzbehauptung gegenüber den britischen Lizenzgebern war, die durch eine möglichst frühe Datierung des epd-Verbots, das in Wirklichkeit erst mit der Einstellung fast der gesamten konfessionellen Presse 1941 kam, günstig gestimmt werden sollten. In den Darstellungen seiner Arbeit blieb Lüpsen zeitlebens bei dieser Falschaussage, die auch von der Literatur bis 2001 ungeprüft übernommen wurde. Allerdings ðtarnteÐ sich Lüpsen nicht mit dieser Legende, um etwa seine persönliche Vergangenheit ðals radikaler NationalsozialistÐ zu verbergen, der er zweifelsfrei nicht war, sondern es ging ihm um die reibungslose Fortsetzung seiner beruflichen Karriere nach 1945, die dann aufs Engste mit seinen Verdiensten um den Wiederaufbau evangelischer Pressearbeit in der Bundesrepublik nach dem Krieg verbunden gewesen ist.

H. beginnt mit einem Überblick über die Pressearbeit der Inneren Mission (IM), deren ðGründungsvaterÐ Wichern schon 1848 die These vertrat, auch innerhalb der Kirche begännen die Zeitungen mehr und mehr, die Predigt als Medium der Verkündigung und Volkserziehung zu verdrängen ­ ihnen müsse daher höchste Aufmerksamkeit geschenkt werden. Erste Pressedienste der Diakonie entstanden seit 1876, die sich ­ im Zuge eines Emanzipationsprozesses ­ schon in den 1890er Jahren von der Diakonie wieder lösten.

Die Neukonfiguration protestantischer Medienpolitik in Gestalt des epd datiert ab 1910. Sie war begleitet von einem Wandel des Selbstverständnisses evangelischer Pressearbeit, die sich nicht länger auf »Beobachtung und Beeinflussung der politischen Tagespresse sowie Aufklärungs- und Agitationsarbeit« konzentrieren, sondern nun »Dienst« an der Tagespresse sein wollte. Das Wirken des neuen Direktors August Hinderer zwischen 1917 und 1933 lässt sich mit der Formel ðvon der kirchlichen Pressearbeit zur kirchlichen ÖffentlichkeitsarbeitÐ beschreiben. Hinderer ging es um offensive Einflussnahme auf die Kulturpolitik insgesamt, zu deren Zentrale er den epd in der Weimarer Republik ausbaute. Seine Vorstellungen zielten auf eine neue »Synthese von Christentum und Kultur, von Volk und Kirche« mit den Mitteln kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit, was ihm 1930 die beißende Kritik Karl Barths eintrug, der in Quousque tandem das in den evangelischen Medien zu Tage tretende »pompöse Selbstbewusstsein der Kirche« als Verschwörung gegen deren theologische Substanz geißelte.

Nach 1933 teilten der ppd und seine diversen ðDiensteÐ das Schicksal der Kirche und ihrer Vorfeldorganisationen. Um sein Lebenswerk zu ðrettenÐ, stellte sich Hinderer contre c¦ur auf den Kurs der Anpassung an die neuen Gegebenheiten ein. Sein engster Vertrauter, der leitende epd-Redakteur und Theologe Martin Plieninger, lehnte dies ab und wurde Pfarrer in Württemberg. An Plieningers Stelle rückte der bisherige Berliner epd- Regionalredakteur Focko Lüpsen. ­ In den folgenden Jahren entwickelte sich der epd unter Hinderer und Lüpsen zwangsweise mehr und mehr zum Sprachrohr der Deutschen Christen. Beide waren darüber hinaus fest eingebunden in die Reichspressepolitik und hatten deren Direktiven zu folgen. Dadurch gerieten sie nun kirchenpolitisch zwischen alle Fronten: Die Bekennende Kirche lehnte den epd wegen seiner einseitigen Berücksichtigung der Deutschen Christen ab, Letztere unterstellten ihm ­ zu Unrecht ­ eine besondere Nähe zur BK.

Die harte Kritik der ðSiegerÐ des sog. Kirchenkampfes an Hinderer, seinem Presseverband und der Nachrichtenagentur epd nach dem Krieg ist auf diesem Hintergrund zu sehen. Die drängenden Forderungen nach einer Verkirchlichung
Prägnante Formulierungen und die historisch korrekte Einordnung des Materials erleichtern es dem Leser, dem fundierten Überblick über 130 Jahre evangelischer Pressegeschichte zu folgen, zumal H. die eingangs erwähnte Leitfrage nach der Ermöglichung einer von Kirchenbehörden und -institutionen weitgehend unabhängigen konfessionellen Publizistik nicht aus den Augen verliert. Gelegentlich stört die Kleinschrittigkeit der Gliederung, die ­ unterstützt durch unterschiedliche Schrifttypen und -schnitte ­ manchmal etwas ðkurzatmigÐ wirkt. Wer sich über Entwicklung und Probleme evangelischer Medienarbeit zwischen 1850 und 1980 informieren will, ist mit H.s Arbeit jedoch bestens bedient und kann vor allem die grundsätzlichen Problemkonstellationen nachvollziehen, die evangelische Medienarbeit in der Spannung zwischen Pressefreiheit und Kirchenbindung bis heute begleiten.