Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2006

Spalte:

397 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Rittgers, Ronald K.

Titel/Untertitel:

The Reformation of the Keys. Confession, Conscience, and Authority in Sixteenth-Century Germany.

Verlag:

Cambridge (MA)-London: Harvard University Press 2004. XII, 318 S. m. Abb. gr.8°. Lw. £ 32,95. ISBN 0-674-01176-7.

Rezensent:

Michael Plathow

Im Zusammenhang der wissenschaftlichen Erforschung der Verknüpfung von Sozial- und Mentalitätsgeschichte mit kirchenhistorischen und wirtschaftswissenschaftlichen Aspekten beschäftigte sich eine Sektion des Historikertages 1992 in Hannover mit der Beziehung von konfessionell geprägter Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung (vgl. Heinz Schilling [Hrsg.], Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Berlin 1994). In diesem Kontext ist die Dissertation des Assistenzprofessors Ronald K. Rittgers an der Yale-Universität über die Geschichte der Reform der evangelischen Privatbeichte in der freien Reichsstadt Nürnberg von den Anfängen der Reformation bis zur Zeit des Konfessionalismus zu lesen.

Die Geschichte des persönlichen Bekenntnisses evangelischer Christen, eingezeichnet in die Sozial- und Mentalitätsgeschichte mit ihren kirchen- und frömmigkeitsgeschichtlichen Aspekten, wird besonders an der Person des Predigers an St. Lorenz, Andreas Osiander, an seinem Eifern und Scheitern, anschaulich entfaltet. Osianders streitsüchtig verteidigte Sakramentalisierung und auch Klerikalisierung der Privatbeichte sowie die Vergesetzlichung der Schlüsselgewalt wurden von den evangelischen Christen und vom Magistrat der freien Reichsstadt abgewiesen. Es setzte sich ­ von M. Luther und Ph. Melanchthon unterstützt ­ die evangelische Vergewisserung des angefochtenen Gewissens durch den Zuspruch der Vergebung der Sünden in der frei gewählten Einzelbeichte oder allgemeinen Beichte durch, wodurch sich die Verbindung von evangelischer Freiheit und protestantischer Disziplin in das Frömmigkeitsleben der Gemeinden und in das kommunale Zusammenleben Nürnbergs implementierte. Gleichwohl warf Andreas Osiander für die Abgrenzung von der römisch-katholischen Praxis der sakramentalen Ohrenbeichte und von der juristisch verstandenen Schlüsselgewalt wichtige Fragen auf, die im Verlauf dieser politischen Frömmigkeits- und Sozialgeschichte theologisch zu klären waren:

»Was absolution a sacrament or not? If it was, as most of Osiander¹s colleagues believed, what did this mean for its proper use? Could it be applied with equal validity and effcacy to crowds and to individuals? Given that most believed the individual encounter between pastor and confessant was to be preferred, how could one compel attendance at private confession if forgiveness could also be obtained through general absolution, a sermon, or a simple word of encouragement from a fellow Christian? Were the latter two also in some way sacramental? If so, what was unique about private absolution? Finally, what was the relationship between divine and human agency in confession, between God¹s Word and the confessor¹s words, between God¹s Word and the confessant¹s faith? These questions were hardly unique to the Reformation in Nürnberg.« (217) Unter politischem Aspekt waren es folgende Fragen: »Who would have ultimate say in issues concerning moral discipline, who would possess the binding key? Pastors or magistrates? If the latter, what would this mean for the clergy? Would they still retain the authority necessary to carry out the tasks to which they had been called, most notably, the proper administration of the Lord¹s Supper and censuring the sinners?« (217)So zeichnet R. zunächst in die sozialen und politischen Verhältnisse der freien Reichsstadt Nürnberg vor der Reformation und in die mentale Verfasstheit der Menschen zwischen Hoffnung und Angst durch die Streitigkeiten der Kontritionisten und Attritionisten (39) Luthers Rechtfertigungsbotschaft von der Vergebungsgewissheit allein durch die Gnade Gottes in Jesus Christus ein.

In Nürnberg war sie durch Luthers nachhaltig wirkende Schriften »Sermon vom Sakrament der Buße« (1519) und »Sermon vom Bann« (1520) aufgenommen geworden; Lazarus Spenglers »Apologie von Luthers Lehre« (1519) hatte die reformatorische Botschaft in Nürnberg publik gemacht; dasselbe gilt für den im März 1522 zum Prediger an St. Lorenz berufenen Andreas Osiander wie auch für Hans Sachs, Jakob Strauss u. a. In Abgrenzung zur römisch-katholischen Beichtpraxis und zum Bußsakrament führte Wolfgang Volprecht in Nürnberg die allgemeine Beichte ein an Stelle der privaten Beichte, wobei auch die private Beichte, aus freier Gewissensentscheidung gewählt, weiterhin gelebt wurde.

Andreas Osiander war es, der diesem in Nürnberg von den Bürgern und vom Magistrat mit Zustimmung begleiteten Trend harten Widerstand entgegensetzte (94). Ein theologischer Streit um Gesetz und Evangelium, um evangelische Freiheit und gesetzliche Disziplin, geistliches und weltliches Regiment entbrannte. Er führte zur Brandenburg-Nürnbergschen Kirchenordnung von 1528 und endete mit der Kirchenordnung von 1533. Luthers Kleiner Katechismus und die Confessio Augustana gaben die weisende Richtung für eine evangelische Form der privaten Beichte in Nürnberg gegen Legalismus und Antinomismus etwa in der Frage der Prüfung und Registrierung der Kommunikanten vor dem Abendmahl oder in der Frage des Banns (137).

Andreas Osianders unnachgiebige Haltung, sein kompromissloser Widerstand gegen die allgemeine Beichte in der Kirchenordnung von 1533, seine Betonung der Schlüsselgewalt als drittem Sakrament deutete einen evangelischen Sacerdotalismus an, wogegen nun Lazarus Spengler in der ihm eigenen Bestimmtheit mit Argumenten aus Luthers Rechtfertigungsverständnis vorging. Andreas Osianders Intransigenz brachte dem Prediger von St. Lorenz die hämische Karikierung beim Schembartlauf 1539 ein. Seine Ablehnung des Augsburger Interims ließ schließlich das Fass zum Überlaufen kommen: Die Konflikte mit den anderen Theologen und dem Magistrat, die Ersetzung durch andere Prediger an St. Lorenz veranlassten Andreas Osiander, 1548 Nürnberg zu verlassen und den Predigerdienst in Königsberg zu übernehmen. Gleichwohl fand die evangelische Form der privaten Beichte mit der Prüfung der Kommunikanten am Abendmahl weiterhin Aufnahme und wurde rezipiert. Auch fanden durch Jakob Strauss Andreas Osianders »Sermon« für die Kinder und durch Sebaldus Heydens »Kurzes katechetisches Summarium des christlichen Glaubens« sowie durch Veit Dietrichs »Liturgiebuch für Pastoren auf dem Land« die private Beichte unter evangelischen Gemeindegliedern und in evangelischen Gemeinden Verbreitung bis ins Zeitalter des Konfessionalismus nach 1555. Auch religiöse Schauspiele wie Leonhard Cullmanns »Wie ein Sünder zur Buße kommt« (1539) und Hans Sachs¹ »Der eifersüchtige Mann, der das Bekenntnis seiner Frau mithört« (1553) leisteten dazu einen Beitrag.

Interessant und gut zu lesen ist diese Arbeit zur Frömmigkeits- und Sozialgeschichte über Konfession, Gewissen und Autorität in der freien Reichsstadt Nürnberg des 15. bis Mitte des 16. Jh.s. Ja, sie ist unter konfessionskundlichem wie kirchen- und stadtpolitischem Gesichtspunkt spannend zu lesen im heutigen lebensgeschichtlichen Kontext, wo neue Formen der Beichte in der evangelischen Kirche entdeckt werden.