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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

384–386

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wahlen, Clinton

Titel/Untertitel:

Jesus and the Impurity of Spirits in the Synoptic Gospels

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XIV, 272 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 185. Kart. Euro 54,00. ISBN 3-16-148387-1.

Rezensent:

Martin Meiser

Das Buch thematisiert den konzeptionellen Zusammenhang zwischen Unreinheit und dem Wirken von Dämonen und unreinen oder bösen Geistern bei den Synoptikern. C. Wahlen fragt: Sind die Termini »unreiner Geist« und »Dämon« synonym verwendet? Ist frühjüdische Halacha oder frühchristliche Betonung der inneren Gesinnung der angemessene Hintergrund zum Verständnis der »Unreinheit« (8 f.)? W. untersucht zunächst das frühjüdische und frühchristliche Vergleichsmaterial, dann die diachron nach Tradition und Redaktion analysierten synoptischen Evangelien.

Nur einige wenige Ergebnisse und Thesen seien herausgegriffen. Für die alttestamentlich-frühjüdische Literatur behauptet W. einen Dreischritt der Entwicklung: Biblische Bezüge auf unreine bzw. böse Geister (Hos 4,12; 5,4; 1Sam 16,14 f.; Sach 13,2) betreffen das Land, die Nation als Ganze, frühjüdische Bezüge betreffen Israels Identität als religiöse Gemeinschaft, zunehmend aber auch die Individuen; in späteren jüdischen (z. B. Test XII) wie in christlichen Texten hingegen nur mehr die Individuen (9­18; vgl. aber 1Kor 3,16 f.; 2Kor 11,2!).

In Tob 3,8 wird der Dämon Asmodaios wegen seiner mörderischen Aktivität, also unter moralischem Aspekt, als böser Geist bezeichnet. Andernorts in frühjüdischer Literatur dominiert, so W. zu Recht, der rituelle Aspekt: Unreinheit ist in äthHen 15,2­7 die Grenzüberschreitung der gefallenen Engel zwischen Himmel und Erde (32 f.), in TestNaph 3,5 die fehlende Entsprechung der »Wächter« zu himmlischen oder irdischen Seinskategorien, in äthHen 19,1 die Verbindung der Dämonen mit Götzendienst. Im Jubiläenbuch werden rituelle wie moralische Aspekte von »Unreinheit« thematisiert (35; Jub 15,31 f.; 50,5 sollten als Grundsatzaussagen gewürdigt werden).

Aus der Qumranliteratur sind für die neutestamentliche Exegese vor allem 4Q510 Frgm. 1 sowie 4Q560 Frg. x1 Kol. II zu beachten: 4Q510 zeigt, dass Dämonen wie Lilith nicht nur die Schädigung durch Krankheit, sondern auch grundsätzliche Störungen des Gottesverhältnisses zugeschrieben werden konnten; 4Q560 könnte, sofern der Erhaltungszustand des Textes überhaupt ein Urteil erlaubt, tatsächlich eine »more active role« (41) des Exorzisten belegen, der wie Jesus den Exorzismus nicht in Form eines Gebetserhörungswunders durchführt.

Bei der Darstellung der Synoptiker sucht W. methodisch zu Recht die Dämonenvorstellungen in die zuvor erhobenen Konzepte von Reinheit und Unreinheit einzuzeichnen.

Der Judenchrist Markus schreibt für eine aus Juden- und Heidenchristen gemischte Gemeinde. Davon sind auch seine Sicht der für ihn keineswegs marginalen Reinheitsvorstellungen sowie seine dämonologische Terminologie und Konzeption geprägt. ­ Warum wird die judenchristliche Herkunft des Evangelisten mit dem bloßen bibliographischen Hinweis auf R. Pesch, R. Guelich, J. Edwards als »generally assumed« (78) bezeichnet und dem Leser diese Sicht der Dinge erst mitten in der Markusdarstellung (69­107) en passant mitgeteilt?

Auffällig sind vor allem W.s Thesen zu Mk 1,7 f.; 7,4a.19. Die beiden ersten Texte sind nach W. durch das Stichwort baptizeinmiteinander verknüpft und interpretieren sich gegenseitig; Mk 1,7 f. wird als Gegensatz zwischen äußerer und innerer Reinigung gedeutet, diese als Instruktion durch den messianischen Lehrer Jesus interpretiert (71). Mk 7,3 f. soll nicht nur eine nichtjüdische Leserschaft informieren, sondern zugleich den Weg für die Relativierung der jüdischen, nur auf das Äußere gerichteten Reinigungsrituale ebnen. Die eigentliche Provokation liegt aber in W.s Deutung von Mk 7,19 fine: Beabsichtigt sei hier nicht die Außerkraftsetzung von Lev 11, vielmehr die Freigabe des Essens der nach Lev 11 erlaubten Tiere (und nur ihrer!) mit nicht rituell gewaschenen Händen mit dem Ziel, die Tischgemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen zu ermöglichen (72­79).

Allein dieses Verständnis von Mk 7,19 verhindert nach W. einen theologischen Widerspruch zu Mk 7,8. W. sucht seine These aber auch philologisch zu stützen: bromata bezeichne auch in LXX sowie bei Josephus und Philo nur die nach Lev 11 erlaubten Speisen; koinos sei in 1Makk 1,47 (thyein hyeia kai ktene koina) durch ein disjunktives kai von hyeia geschieden; somit hätten die ktene nicht als unrein nach Lev 11 zu gelten (ähnlich entnimmt W. der Wendung pan koinon kai akatharton in Apg 10,14 die Bezugnahme auf zwei verschiedene Arten der Unreinheit, 143 f.).

Die These könnte eher überzeugen, wenn W. nachweisen könnte, dass das Wortfeld koinon/koinun schon in vormarkinischer Zeit einhellig auf Reinigungsriten im Bezug auf das Essen (die Diskussion über deren Alter greift W. nicht auf) zu beziehen ist. Zwar fehlt koinon in Lev 11 LXX völlig, doch legen 4Makk 5,19 in Verbindung mit 4Makk 5,2.3a.6 sowie Josephus, Ant 11,346 den Bezug der miarophagia bzw. der koinophagia auf den Genuss der nach Lev 11 verbotenen Speisen nahe.

Auch die dämonologische Terminologie bei Markus ist durch seine Gemeindesituation geprägt: Markus gebraucht die traditionelle Wendung pneuma akatharton und die von ihm favorisierte hellenistische Terminologie (ekaballein + daimonia) nebeneinander, weil er von Juden- wie von Heidenchristen verstanden werden will (106).

Dieses terminologische Nebeneinander begegnet freilich schon in LXX und könnte somit auf gemeinjüdischen und dann christlichen Sprachgebrauch verweisen: In 1Reg 16,14 f. ist pneuma, in der Sachparallele in Tob 3 daimonion gebraucht, das sonst in LXX zumeist heidnische Gottheiten bezeichnet.

Kompositionskritisch richtig beobachtet W.: Zwei Exorzismen in Mk beziehen sich auf Juden (1,21­28; 9,14­29), zwei auf Heiden (5,1­20; 7,24­30); alle rahmen die Reinheitsdebatte Mk 7,1­23 (101). Das neue, um Jesus gesammelte Israel ist geographisch (Mk 5,1­20) und ethnisch ausgeweitet: Juden und Nichtjuden gehören dazu; Reinheit wird nicht durch die Tora, sondern in Relation zu Jesus definiert.

Bei Matthäus (108­139) ist trotz der Höhergewichtung moralischer Reinheit die rituelle Reinheit nicht einfach bedeutungslos (richtig 111, vgl. Mt 5,17­20!). In Mt 15,1­20 wird nicht die Unreinheit der Speisen, sondern die der Jünger thematisiert. Mt 21,14­16 signalisiert, dass der matthäische Jesus ein Problem der kultischen Verunreinigung des Tempels nicht ignoriert, sondern durch seine Heilungen löst. Die Verwendung des Syntagmas pneuma akatharton in Mt 10,1; 12,43 zeigt: Wenn Individuen gemeint sind, redet Mt von Dämonen, wenn es um Israel als Ganzes geht, vom unreinen Geist. Mt 12,45 ruft das Gericht über die Exodusgeneration in Erinnerung (Dtn 32), bezeugt dann aber nicht die endgültige Verwerfung Israels als Ganzes, sondern das Gericht über seine Führerschaft. Israel wird nicht geographisch, sondern (vgl. Mt 15,27) »ekklesiologisch« neu definiert durch die Hereinnahme von Heiden in das Gottesvolk (117).

Bei Lukas (140­169) ist moralische Reinheit der kultischen Reinheit übergeordnet: Sichtbar wird dies in Lk 10,30­35, aber auch z. B. in Lk 7,1­10. Dort fungieren rituelle Kategorien ironisch, um die moralischen Aspekte zu betonen: Während sich der Hauptmann an die jüdischen Skrupel gebunden fühlt, durchbricht sie Jesus, um die Demut zu loben, die aus diesem Glauben erwächst (145 f.). Auch Lk 11,24­26 zielt auf Grund der Bezeichnung ponerotera statt akathartotera pneumata auf ein ethisches Verständnis von Unreinheit (159­161). Lukas verwendet das Verbum therapeuein nie im Zusammenhang mit Dämonen, sondern nur mit Geistern; nur die Dämonen sind es, nicht die Geister, die Jesus selbst angreifen. Lukas führt nie eine Krankheit auf dämonische Aktivitäten zurück (161 f.).

Der allgemeinen Sprachgestalt des lukanischen Doppelwerks­ Bibelgriechisch schreibt er nur in den in Israel lokalisierten Erzählungen ­ entspricht auch die Terminologie hinsichtlich der Dämonen und der Geister: Unreine Geister werden nur in Israel erwähnt; böse Geister auch außerhalb, aber auch in Israel (168).

Das Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Manche gute Beobachtung steht neben fragwürdigen Thesen.