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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

382 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schlund, Christine

Titel/Untertitel:

Kein Knochen soll gebrochen werden«. Studien zu Bedeutung und Funktion des Pesachfests in Texten des frühen Judentums und im Johannesevangelium.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2005. XIV, 254 S. 8° = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 107. Geb. Euro 39,90. ISBN 3-7887-2087-5.

Rezensent:

Roland Bergmeier

Schon die Anlage des Buchs lässt zu wünschen übrig. Der Arbeit an den Pesachbezügen des Joh will es eine neue und solide Grundlage geben. Dazu sollen die für das Pesachverständnis des Frühjudentums zur Verfügung stehenden Quellen einer kritischen Analyse unterzogen werden. Aber eine Untersuchung der Texte der hebräischen Bibel als solcher findet nicht statt, als ob dieselben nicht allemal Fundament des Judentums gewesen wären. So kommt denn auch ein zutreffendes Verständnis für kl Œdt jsr¹l nicht zu Stande, ist doch an dessen Gebrauch keineswegs ablesbar, dass Pesach Gemeinde konstituiere (187). Auch der Befund der Qumrantexte (vor allem der Tempelrolle) bleibt unberücksichtigt.

Der »Hauptteil A Traditionsgeschichtliche Querschnitte« weist so in Gliederung und Ausführung ein ständiges Hin und Her zwischen griechischer und hebräischer Bibel, kanonischen Pesachtexten und frühjüdischer Interpretationsleistung auf. Ohne Grund blieb den Ausschlussbestimmungen Ex 12,43­48 eine Analyse versagt. Die Kapitel III­V beleuchten Pesachtexte aus der alexandrinischen Diaspora, bei Josephus und im Jubiläenbuch. Hauptteil B untersucht sodann die »Aktualisierung des Bedeutungspotentials von Pesach« im Neuen Testament. In einem neuerlichen Vorwort wird der Leser belehrt, es ließen sich zwei Wege unterscheiden. Der eine finde sich nebst 1Kor 5,7 im Joh, das mit seinen zahlreichen Erwähnungen des Pesach die Grundannahme von 1Kor 5,7 narrativ zu entfalten scheine, »nämlich dass die Christen Jesus und seinen Tod als Zentrum ihres Pesach haben« (117). Der andere Weg begegne bei den Synoptikern, deren Pesach-Textur oberflächlich wirke und hauptsächlich im Zusammenhang des letzten Mahls Jesu zu beobachten sei (117 f.194). Die Ausführung zeigt nun aber, dass sich »VI Der eine Weg« nur auf Joh bezieht, während die Ausführungen zu 1Kor 5,7 selbständig unter VII erscheinen. Dann folgt »VIII Ein anderer Weg: Die synoptischen Evangelien«. Dem Abschnitt »Ertrag« schließt sich noch als dritter Hauptteil an »C Ausblick: Exemplarische Rezeptionen der Pesach-Motivik in nachneutestamentlicher Zeit«, nämlich in der frühen patristischen (fast nur bei Melito von Sardes) und innerhalb der jüdischen Literatur. Ein Epilog, das Literaturverzeichnis und ein Stellenregister (in Auszügen) beschließen das Ganze.

Nach Sch. haben die Pesach-Referenzen des Joh hohe theologische Bedeutung. Das grundlegende Heilsdatum Israels werde mit Jesu Geschick und dem der »Seinen« verknüpft. Mit dem Anbruch des Fests nehme auch Jesu »Stunde« ihren Anfang. Vergleichbar stelle Jub 49,14 die Anweisungen, was die rechte Zeit und das Nicht-Knochenbrechen betrifft, direkt nebeneinander. Dabei bleibt unbedacht, dass es in Jub um den Pesach-Termin nach dem rechten Kalender geht, während die Rede von der hora Jesu ausweislich Joh 7,30; 8,20 markinischen Ursprungs ist (vgl. Mk 14,41). Joh 19,36 notiert ausdrücklich, dass mit dem, was Jesus geschah, die Schrift in Erfüllung ging, aber nach Sch. gehe es da nur vordergründig um das Geschick Jesu, eigentlich aber um die Glaubenden. »Für sie bedeutet Jesu Tod als Pesachtier Schutz und Leben ­ kein Knochen wird ihnen gebrochen werden« (128).

In derart freischaffender Kunst verbindet Sch. mit Pesach »Jesu Schutz für die Seinen«, Sammlung der Zerstreuten, Überwindung des Herrschers der Welt, Reinheit im Kontext von Joh 13, Entknüpfung vom Tempel und kann sie im Abschnitt »Ertrag« mit Hilfe verallgemeinernder Begriffe nahezu alle Aspekte johanneischer Theologie unter das Pesach-Konzept subsumieren. Dazu hegt sie die Hoffnung: »Wenn meine Arbeit schlüssig aufzeigen konnte, dass der Beitrag des Pesach zum bunten Bild neutestamentlicher christologischer und soteriologischer Modelle ein ganz eigener ist Š, so hat sie ihr Ziel mehr als erreicht« (227 f.). Was ist der Fall, wenn das Ziel mehr als erreicht ist? Man ist darüber hinausgeschossen. Ja, diesen Eindruck hinterlässt die Lektüre. Die traditionsgeschichtlichen Hinweise zum Pesach seien in den Kommentaren und Johannes-Monographien im Allgemeinen zu kurz und oberflächlich; die vorliegende solle das Fehlen einer profunden Studie beheben helfen (2). Den Vorwurf der Oberflächlichkeit (vgl. auch 19) kann sich die Fachwelt wohl gefallen lassen, denn sie ist da in der gleichen Verdammnis wie die Synoptiker, die auch nur das Bild einer oberflächlichen Bezugnahme auf Pesach vermitteln (1.194.195.197.201). Ganz anders Paulus, wenn auch der kurze Relativsatz in 1Kor 5,7 »nur einen recht dürftigen Ansatzpunkt für ein Erschließen des paulinischen Pesach-Verständnisses liefert« (200), und vor allem Johannes, der eine entfaltete Pesach-Theologie aufweise. »Der Auffassung eines ðsühnendenÐ Pesachlammes als für die johanneische Gesamtkonzeption bestimmend muss Š eine klare Absage erteilt werden« (199). Dafür soll es aber naheliegend sein, das johanneische Milieu mit der quartadezimanischen Passafeier in Verbindung zu bringen (176 f.).

Das »Lamm Gottes« (Joh 1,29.36) sei Symbol für Verletzlichkeit und gewaltlosen Widerstand, denn das »Auf-Sich-Nehmen oder An-Sich-Ziehen der Sünde des kosmos« bedeute nur, dass diese Sünde am gewaltsamen Geschick Jesu besonders deutlich werde (175). So endlich entfällt »die krampfhafte Suche nach einer ðSühnebedeutungÐ des frühjüdischen Pesach« (174). Aber sollen wir mit dem Bekenntnis, dass Christus für unsre Sünden gestorben ist nach der Schrift (1Kor 15,3), genauso verfahren wie Sch. mit Joh 1,29, weil weder Altes Testament noch Frühjudentum einen Messias kennen, der (durch semantische, syntagmatische oder kontextuelle Indizien begründet, 176) für unsre Sünden sterben muss?

Die Arbeit weist eine große Bandbreite sprachlich-formaler Mängel auf, sie »verortet« so oft, dass schließlich eine »Verordnung« daraus wird, neigt überhaupt zu umgangssprachlicher Formulierung. Hinzu kommt, dass wohl während der Drucklegung noch ein Umbruch erfolgte, so dass jetzt häufig unaufgelöste Trennungszeichen den Textfluss stören und nicht wenige Seitenzahlen des Registers bis zu drei Seiten Abweichung vom Fundort aufweisen.