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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

378 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lindgård, Frederik

Titel/Untertitel:

Paul¹s Line of Thought in 2Corinthians 4,16­5,10.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2005. XII, 282 S. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 189. Kart. Euro 59,00. ISBN 3-16-148444-4.

Rezensent:

Manuel Vogel

Die von Lars Aejmelaeus (Helsinki) betreute Dissertation widmet sich einem anerkanntermaßen besonders schwierigen Text des Corpus Paulinum. Namentlich für den Passus 2Kor 5,1­10 gilt bis heute das Urteil des Straßburger Neutestamentlers Heinrich Julius Holtzmann, dass »die Geschichte der Exegese dieser dunkelsten und brüchigsten Stelle im ganzen paulin(ischen) Gedankenbau nur Ratversuche aufweist« (Lehrbuch der neutestamentlichen Theologie, Tübingen 21911, Bd. 2, 217). In welche Aporien die Exegese gerät, sobald sie tiefer in die Auslegung von 2Kor 5,1­10 eindringt, verrät auch die Notiz von Friedrich Gustav Lang in seiner forschungsgeschichtlichen Dissertation zu 2Kor 5,1­10, dass die »anerkannte Schwierigkeit« des Textes »schon mehr als einen Exegeten zur Verzweiflung gebracht hat« (2Korinther 5,1­10 in der neueren Forschung, Tübingen 1973, 1). Dem Vf. ist bewusst, auf welch schwieriges Terrain er sich begibt: Alle bisherigen Auslegungstypen, so seine Einschätzung, »in some respect end up in a dead end« (1). Dass sein eigener Versuch einer Neuauslegung dieses Schicksal nicht teilt, liegt an seiner Grundentscheidung, sich sowohl vom traditionellen Auslegungstypus zu verabschieden (2Kor 5,1­10 als ein Abwägen zwischen apokalyptischer Eschatologie einerseits und individueller post-mortem-Eschatologie andererseits) wie auch vom lehrhaft-polemischen Auslegungstyp, der von Bultmann in die Forschung eingebracht wurde und bis heute in der Exegese mehrheitlich vertreten wird (2Kor 5,1­10 als Auseinandersetzung mit der hellenistischen Anthropologie der Korinther, so zuletzt von E. Gräßer, Der zweite Brief an die Korinther (ÖTK 8/1), Gütersloh-Würzburg 2001). Der Vf. liest 2Kor 5,1­10 stattdessen vom Kontext her als »apologetic self-commendation« (63). In der Tat dürfte es sich bei 2Kor 5,1­10 nicht um einen eschatologischen bzw. anthropologischen Exkurs handeln, sondern um einen weiteren Baustein der paulinischen Apologie seiner Person und seines Apostolats. Der Vf. beobachtet zutreffend, dass der Text nicht auf der Sachebene einer anthropologisch-eschatologischen Kontroverse gelesen werden darf, sondern auf der Ebene der »internal attitudes and emotions«. Es gehe Paulus näherhin darum, »to depict himself as a person, who is not affected by suffering and death« (137). Der damit eingeschlagene Weg einer apologetischen Lektüre von 2Kor 5,1­10 eröffnet für die vielen rätselhaften Formulierungen des Textes einen neuen Interpretationszusammenhang: So kann die Erwartung des Paulus, im Gewand des himmlischen Leibes »nicht nackt angetroffen« zu werden (5,3), als eschatologische Wiederbegegnung zwischen ihm und den Korinthern gelesen werden, die ein Kontrastbild zur Niedrigkeit seiner gegenwärtigen irdischen Erscheinung schafft: »Paul Š declares, that, at the parousia, the Corinthians will not have any reason to criticize his outward appearance« (169). Gegen die apologetische Interpretation des ganzen Abschnitts scheint freilich V. 4b zu sprechen, der, so die übliche Auslegung, die Furcht vor dem »Entkleidetwerden«, d. h. vor dem Sterben artikuliert. Der Vf. sieht ganz richtig, dass Paulus mit dem Eingeständnis eigener Todesfurcht vor seinen Adressaten eine schlechte Figur gemacht hätte ­ so kann V. 4b also nicht gemeint sein ­, und behilft sich folgendermaßen: Die Metapher des »Entkleidetwerdens« meine nicht das Sterben, sondern den täglichen körperlichen Verfallsprozess, dem Paulus zu entgehen bzw. den er nicht bis zum Ende erleiden zu müssen hoffe. Paulus habe darauf gesetzt, dass die Korinther ihm solche Offenherzigkeit, mit der er sein Zurückschrecken vor körperlichem Leiden darlegt, positiv anrechnen würden: »Paul¹s openness as to his fears serves as a confirmation of his sincere mind« (22). Das mit V. 4b aufgegebene Problem lässt sich jedoch auch anders lösen: Paulus wiederholt hier das bereits in V. 2 Gesagte, dass er nämlich sein »Seufzen« inmitten des leidvollen Daseins im irdischen Leib als Ausdruck von Heilssehnsucht verstanden wissen will, und er verdeutlicht diesen Gedanken nun zusätzlich durch die Negation des Gegenteils: Nicht weil er sterben will, seufzt er, d. h. nicht aus Todessehnsucht, sondern eben aus Heilssehnsucht. 2Kor 5,1­10 lässt sich dann insgesamt als Explikation einer Ethik des Sterbens verstehen, wie sie im Geistesleben der Spätantike praktisch allgegenwärtig war. Damit wird nicht nur der vom Vf. mit Recht konstatierte apologetische Skopus des Textes im kulturellen Kontext der Antike plausibilisiert, sondern es ergibt sich auch ein stimmiger Argumentationszusammenhang, der das Urteil einer »weak internal coherence« (3) und des »unsystematic character of Paul¹s line of thought« (27), dem sich auf der Vf. meint anschließen zu müssen, erübrigt.

Der Rezensent hat eine eigene, im Druck befindliche Studie zu 2Kor 5,1­10 vorgelegt, die den Text konsequent auf dem Hintergrund antiker ars moriendi auslegt. Als eine unabhängige zweite Stimme, die mit guten Argumenten und zahlreichen wichtigen Einzelbeobachtungen eine apologetische Interpretation von 2Kor 5,1­10 verficht, ist ihm diese gut gearbeitete, philologisch gründliche Arbeit des Vf.s hoch willkommen.