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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

376–378

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gräßer, Erich

Titel/Untertitel:

Der zweite Brief an die KorintherKapitel 8, 1­13,13

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005. 277 S. 8° = Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament, 8/2. Kart. Euro 29,90. ISBN 3-579-00514-6.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Mit diesem zweiten Teilband vollendet Erich Gräßer seine theologische Kommentierung des 2Kor. In der Anlage folgt er dem fast umfanggleichen ersten Teilband, vgl. meine Rezension in ThLZ 128 [2003], 1159­1162. Um es vorweg zu sagen: Es ist ein großer Kommentar im Taschenbuchformat.

Auch dieser Band hält die Sprachbarrieren gering, griechische Wörter erscheinen in Umschrift, philologische Einzelheiten erläutert G. allgemeinverständlich, wenn überhaupt. Dabei bietet G. all die Ausführungen, die bei einem Kommentar erwartet werden.

G. legt eine eigene Übersetzung vor. Die Verszahlen in den deutschen Übersetzungen fehlen manchmal (zu 2Kor 8,18; 10,5.18), manchmal sind sie falsch gesetzt (zu 2Kor 8,17). Eine Spannung zwischen G.s Übersetzung und seiner Erklärung finde ich zu 8,13 »Ruhe« (31; 34: »Erleichterung«). Gegen die zu 9,11 abgedruckte Übersetzung »in allem werdet ihr reich sein« argumentiert G. auf derselben Seite (61).

Ein Kommentar soll die Forschungsergebnisse bündeln. Einen maßvollen Literaturblock, der bei neueren Veröffentlichungen vollständiger ausfällt, setzt G. meist voran. So verweist er allein zu 2Kor 8 f. auf fünf Monographien aus den Jahren 1992­2000 (Beckheuer; Kim; O¹Mahony; Verbrugge; Wodka) unter einigen Dutzenden von Literaturangaben. St. Jouberts Monographie zum Thema (WUNT 2. R. 124, 2000) wäre auch einschlägig. Mit einem im Allgemeinen strengen Filter für die Relevanz würdigt G. die Thesen der angegebenen Literatur. Einzelne Thesen wagen sich weit ins quellenlose Dunkel der Phantasie und erhalten durch G. dann die knappe Zensur »möglich«. Gegen manche Idee scheut sich G. dann auch nicht, sein Referat der These mit einem »Nein« zu beschließen. Nur einmal entwischt ihm ein vernehmbareres Stöhnen, nachdem er fleißig einiges angeblich erhellendes »Vergleichsmaterial« referiert hat: »Wird hier nicht eher etwas aus sehr entfernten Texten in den Paulustext hineingetragen als aus ihm herausgelesen?« (205; Hervorhebung im Original). G. neigt vielleicht zum anderen Extrem, wenn er der Vorgeschichte paulinischer Worte sehr wenig Raum beimisst. Über den Weg der gemeinhin für vorpaulinisch erachteten christologischen Formel in 2Kor 8,9 schreibt G. ebenso wenig wie über den Weg, den das Wort des Herrn gegangen sein mag, bevor es Paulus in 2Kor 12,9 zitierte.

Die Textsegmentierung entfaltet G. recht ausführlich und bespricht dabei auch abweichende Positionen. Zur Textüberlieferung bietet G. gelegentlich knappe Hinweise. Aber sein Haupt-, ja sein spürbares Herzensanliegen ist eine Interpretation des Briefes, die nach allen diesen Vorarbeiten bis zu einer theologischen Interpretation durchdringt. Dieses Ziel vor Augen, kann G. manche hitzige Debatte recht knapp referieren und widerstreitende Positionen als Alternativen stehen lassen, ohne sich vor einer nachvollziehbaren Positionierung zu drücken. Etwa in der Literarkritik hält sich zwar G. recht genau an die Position seines Lehrers Bultmann, begründet auch knapp, warum er dem neueren Trend nicht folgen will, der den 2Kor für einheitlich erachtet (73 f.270), aber er verbeißt sich nicht in die kleinen Happen, die diese Fragestellung abwirft. Für unseren Teilband stellt er heraus, dass die Kollektenbriefe (2Kor 8/2Kor 9) je eigenständig (47 f.) die Korintherkorrespondenz abschlossen (68). Die Verse 13,11­13 ordnet G. nach vorsichtiger Abwägung nun doch eindeutig dem Tränenbrief zu (270 f.276 f.; offen noch im 1. Bd., 32).

Im ersten Teilband konstatierte G. noch, wenn das grammatische Subjekt von der 1. Person Singular zum Plural wechselte. Nun übergeht er diese Eigenart (vgl. 2Kor 8,7­8; 10,7­8; 13,6­7.9­10) meist ohne Hinweis und durchgängig ohne einen Erklärungsversuch.

Entsprechend der Briefvorlage hat der Kommentar zwei Themenschwerpunkte, die Jerusalemkollekte zu 2Kor 8 f. und die Kraft in der Schwachheit zu 2Kor 10­13.

G. sieht in der Kollekte die Ausführung der in Gal 2,10 angekündigten Sammlung (z. B. 51). Dass M. Thrall in ihrem durch G. durchgängig verarbeiteten Kommentar gerade diese Verbindung problematisiert (ICC, 2. Teilbd. 2000, 504­512), verrät G. nicht. Auch den ähnlich ausgerichteten Aufsatz von A. J. M. Wedderburn (NTS 48, 2002, 95­110) übergeht G. ohne Notiz. Die Kollekte ziele darauf, die una sancta ecclesia zu festigen (z. B. 46.67.233). Zu Recht hebt G. hervor, die Sammlung habe einen geistlichen Zweck (62), doch welchen? Jerusalem ist eben doch eine ganz besondere Stadt und bleibt trotz Gal 4,21­31 das Zentrum des paulinischen Weltkreises, vgl. Röm 15,19. Die bleibende Sonderrolle Jerusalems für Paulus konstatiert auch G. in einem Satz (64 f.), aber er belässt die Aussage ohne Deutung. Die eschatologische Bedeutung Israels spielt m. E. eine größere Rolle in der Kollektenangelegenheit, als G. es annimmt.

2Kor 10­13, nach G. der Tränenbrief, geschrieben im »Spätherbst des Jahres 55 n. Chr.« (185), handelt vor allem von der Kraft in Schwachheit. 2Kor 13,3 f. übertreffe »kein anderer Text im 2Kor an Wichtigkeit« (253), zumal hier die Struktur der personalen Anwendung der Kreuzestheologie besonders klar hervorleuchtet. Entsprechend gehaltvoll beschreibt G. die Theologie des Abschnitts (244­256). G. hätte die unterschiedlichen Zeitaspekte in 13,3 f. für seine Interpretation herausstreichen können und so die Zeitstruktur der eschatologischen Anwendung der Kreuzestheologie textnah ausführen können.

Drei Exkurse streut G. ein: Der eine, den ich im ersten Band vermisste, behandelt die Gegnerfrage (125­128). Doch statt seine eigenen Ergebnisse zu den catchwords zu sammeln und so der Konstruktion der Gegner eine Grundlage zu geben, nennt er knapp einige Hinweise. Die Gegner hätten sich nicht ob ihrer Herkunft aus Palästina gebrüstet (154), ja sie kommen eher aus der Diaspora (126), entsprechend unsicher ist nach G., ob sie mit Jerusalem in Verbindung stehen (130.160), es seien jedenfalls keine Judaisten (147). Ein Exkurs zur Krankheit des Paulus (198­200) verweist auf »Heckel, Dorn« (199), ohne diesen Kurztitel aufzulösen. Der Aufsatz meines Vetters findet sich in ZNW 84 [1993], 65­92. Der Exkurs über die Apostelzeichen (220­223) bleibt in einem Punkt etwas offen. Verweist Paulus auf sichtbare Taten? So klingt es auf den Seiten 222 f.232. Oder sind seine Zeichen nur dem Glauben einsichtig, wie die Kraft in Schwachheit, die G. auf S. 233 »das eigentliche Apostelzeichen nennt«? Die Monographie von St. Schreiber (BZNW 79, 1996) zum Thema verwendet G. nicht.

G. hat einen gehaltvollen Kommentar geschrieben, der ohne Schnörkel das theologischen Anliegen des Paulus im 2Kor herausarbeitet.