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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

368–371

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ruppert, Lothar

Titel/Untertitel:

GenesisEin kritischer und theologischer Kommentar. 3. Teilbd.: Gen 25,19­36,43.

Verlag:

Würzburg: Echter 2005. 563 S. gr.8° = Forschung zur Bibel, 106. Kart. Euro 40,00. ISBN 3-429-02734-9.

Ein kritischer und theologischer Kommentar. 3. Teilbd.: Gen 25,19­36,43.

Rezensent:

Horst Seebaß

Bereits drei Jahre nach dem Erscheinen des 2. Teilbandes im Jahr 2002 (s. meine Rezension in ThLZ 127 [2002], 1287­1290) hat Lothar Ruppert es geschafft, den ebenfalls umfangreichen 3. Teilband herauszubringen ­ eine große Leistung. Die relativ rasche Folge kommt nicht unvorbereitet, weil der Vf. schon im 2. Teilband (23­60) seine Vorstellungen zur Überlieferungsgeschichte für alle drei Vätergestalten der Gen entwickelt hatte. Gegliedert ist der neue Band in eine diesmal knappe Einleitung zur Jakobserzählung (15­37) nach der ausführlicheren im vorigen Band, einen Abschnitt »Literatur« (39­54), die Kommentierung (55­549) und einen Rück- und Ausblick (551­563). Mag die Literaturliste auf den ersten Blick knapp erscheinen, so wird sie durch sehr viel Literatur vor den einzelnen Perikopen ergänzt, die der Vf. verarbeitet hat. In der Kommentierung haben einzelne Perikopen den Umfang von Abhandlungen, so 28,10­22 (40 S.), 31,1­32,1 (50 S.), 32,23­33 (32 S.) und 34,1­31 (42 S.). Wie beim 2. Teilband kann man sagen, dass schließlich der knappe Rück- und Ausblick sehr lesenswert ist, weil er eine Zusammenfassung der Kommentierung leistet.

Um das neue Werk recht würdigen zu können, muss aus der vorigen Rezension einiges wiederholt werden. Dazu gehört allerdings nicht des Vf.s Gesamtauffassung zum Pentateuch, die in diesem Band nicht mehr eigens entfaltet wird. Wohl aber darf man hervorheben, dass der Vf. erneut nicht nur einen kritischen, sondern auch einen dezidiert theologischen Kommentar vorgelegt hat. Wie schon im vorigen und im 1. Band (fzb 70, 1992) fallen ja die zumeist umfangreichen und recherchierten Abschnitte zu Deutung und Wirkungsgeschichte auf, die dem Ganzen wohltun. Zwar darf man am Rande bemerken, dass nicht alle frühjüdischen und Kirchenväter-Zitate das theologische Verständnis fördern, weil manche unter ihnen selbst interpretationsbedürftig sind. Das tut den Abschnitten im Einzelnen aber keinen Abbruch. Nach den beiden ersten Bänden setzt der Vf. seine sehr eigengeprägte diachrone Erklärung fort. Während im 1. Band (1,1­11,26) der Jehowist neben P weitestgehend das Feld beherrschte (es gab aber immerhin einige J-Anteile) und im 2. Band neben beiden auch vereinzelt E auftauchte (neben vielen Fortschreibungen), dominiert im 3. Band neben P fast feldbeherrschend E, zusammen mit dem Jehowisten als Ergänzungsschicht (Hiskiazeit) und gelegentlicher Fortschreibung der vom Vf. postulierten joschianischen Redaktion. Wie schon im 2. Band auf dort breiterer Basis grenzt der Vf. sich auch jetzt von einigen methodisch und inhaltlich beträchtlich abweichenden neueren Arbeiten zur Jakobstradition ab (32­35: von J. Taschner, Verheißung und Erfüllung in der Jakoberzählung [Gen 25,19­33,17], HBS 27, 2000; H. M. Wahl, Die Jakobserzählungen, BZAW 258, 1997, und Th. Nauerth, Untersuchungen zur Komposition der Jakoberzählungen, BEAT 27, 1997), sehr differenziert jetzt von E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte (1984), die er die »wohl weiterführendste Analyse der Jakobserzählung« nennt (33) und nur wegen zu vieler Spätdatierungen kritisiert. Wiederholungsbedürftig sind auch die zu den beiden ersten Bänden genannten Vorbehalte, die der Rezensent gegen die vom Vf. geübte Anwendung der literarkritischen Methode geltend gemacht hatte. Sie sind angesichts der neuesten Reduktion des J auf winzige Reste in Gen 26, einer Identifikation der Grundschicht in Gen *25­35 mit E bei Annahme einer Fülle von Ergänzungen des Jehowisten (Hiskiazeit) und einer joschianischen Fortschreibung eher noch gewachsen. Der Rezensent weiß, dass der Vf. als besonnener Literarkritiker und Exeget hervorgetreten ist. Der Rezensent stellt dies also in Rechnung und betont erneut, dass es nicht um andere Meinungen des Vf.s, die in unserer Wissenschaft immer nötig und zu diskutieren sind, sondern nur um die Anwendung der Methode selbst geht (zu Beispielen in Bd. 2 s. ThLZ 127, 1289 f., Weiteres s. u.).

Bei insgesamt 22 Perikopen bietet der Vf. zehn Exkurse, von denen allein zwei zu 25,19­28 und drei zu 31,1­32,1 ergehen. Besonders instruktiv und hilfreich sind fünf Exkurse zu Realien (Esau ­ Se´ir ­ Edom, 70 ff.; Bet-El, 196 ff.; Der Gott [?] Bet-El, 281 ff.; Die Terafim, 305 ff.; Zum »Schreck« Isaaks, 318 f.; Das Vergraben fremder Götter[bilder], 475 ff.). Die anderen fünf begründen Thesen des Vf.s (Zur Überlieferungsgeschichte der Jakob-Esau-Erzählungen 61 ff.; Das überlieferungsgeschichtliche Problem von Gen 26; Die Isaak-Traditionen, 102 ff.; Das israelitische Stämmesystem, 244 ff.; Zum Stamm Benjamin, 501f.), sie sind für das Verständnis der Kommentierung zweifellos nicht entbehrlich.

Wie inzwischen auch andere Autoren sucht und findet der Vf. den ältesten Kern der Jakob-Traditionen in Jakob-Laban-Traditionen (31,1­32,1) und einem Jakob-Itinerar von dessen Vertrags-Gal-Ed über Mahanajim (32,2 f.*3­14a.*14b­22), Pnuel (32*,23­32), der Begegnung mit Esau (*33,1­17), der Ankunft in Sichem (33*18­20) und einer hinzugekommenen Verlängerung nach Bet-El (35,*1­5a.6b­7 u. 8). Die Jakob-Esau-Traditionen, u. a. in ihrer Umgebung auch 28,10­22, seien überlieferungsgeschichtlich Erweiterungen. Unter den zur Zeit heftig umkämpften Themen findet sich beim Vf. die Ablehnung eines hohen Alters des Stämmesystems (s. o. Exkurs) ­ in 29,30­39,24 gehörten lediglich Geburtsnotizen zu den Nordreichstämmen Ruben, Simeon, Levi, Juda, Josef, Dan und Naftali (angehängt: Dina) dem E als Grundschicht an. Das führt zu der Feststellung, dass der Vf. in diesem Werk viel einseitiger als im 2. Band ein Verfechter von E als Grunderzählung geworden ist. Dass diese Thesenbildung literarkritisch fragwürdig ist, zeigt sich für den Rezensenten beispielhaft und deutlich an zwei Stellen. 1. In 27,8 kann der Vf. den Jahwe-Namen für E nicht brauchen und streicht »vor Jahwe« isoliert im angeblichen E-Kontext (138; auf S. 129 nicht korrekt wiedergegeben). Damit legt der Vf. sich offenbar den Befund nur für seine Theoriebildung zurecht. 2. In 30,25­43 streicht der Vf. wegen seiner E-Hypothese in gleicher Manier den Jahwe-Namen in V. 27b (27a mag Zusatz oder Ironie sein, das kann offen bleiben). Immerhin darf man dem Vf. attestieren, dass er mit dieser E-Hypothese nicht einem herrschenden Trend nachläuft, sondern ihm entschieden entgegentritt. Aber eine Stabilisierung des Methodenkanons, durch dessen Anwendung die gegenwärtig herrschenden zentrifugalen Kräfte wenigstens teilweise gebändigt werden könnten, rückt damit wohl aus der Sicht.

Hier mögen nun einige Anfragen an Vorschläge des neuen Bandes folgen. Sie sind davon geprägt, dass der Rezensent wie der Vf. den herrlichen Erzählungen der Gen ähnlich verpflichtet ist.

1. Respekterheischend ist der Exkurs 2 zu Esau ­ Se´ir ­ Edom (70 ff.). In der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur ist mit dem Vf. gut belegbar, dass Se´ir bereits seit ägyptischen Texten des Neuen Reiches (ab Amenophis III.) beiderseits der Araba südlich des wadi el-hesa zu suchen ist. Wenn der Vf. darauf seine Hypothese stützt, dass die Figur Esaus in ihrer Identifikation mit Se´ir in die Region östlich oder südöstlich von Beerscheba und damit zum Isaak-Bereich gehört, so bleibt einzuwenden, dass alttestamentlich in alten Texten eben die Identifikation Se´irs mit Edom, nicht aber mit einem Bereich westlich der Araba herrscht (cf. besonders M. Weippert, Edom und Israel, TRE 9, 291 f.; der Vf. zitiert selbst in diesem Zusammenhang die auch von ihm als alt eingeschätzten Bileam-Sprüche). Ist es dann gar so abwegig, wie der Vf. mehrfach meint, dass Esau, dessen Namen E. A. Knauf, NBL I, 588, aus dem Alt-Südarabischen ableitet und zwar in der Bedeutung »Lebensunterhalt« als eines Beinamens des Landes Edom, eine Figur des Ostjordanlandes gewesen ist, ähnlich wie Midian als Stamm eine solche Größe in vorstaatlicher Zeit war (so der Rezensent zu 32,7; 33,1­17)? 32,7 und 33,1­17, die eine Truppe Esaus von 400 Mann erwähnen, sprechen ja zur erzählten Zeit! Was könnte dazu zwingen, die Angabe als bloße überlieferungsgeschichtliche Erfindung zur Verbindung der Isaak- mit den Jakob-Traditionen zu behandeln? Zeigt nicht umgekehrt die Sippenliste Edoms in 36,9­11.12b­14 über Korach Verbindungen zum Negeb?

2. Unbeschadet der anderen Meinung des befreundeten Vf.s scheint es mir die Frage wert, ob nicht exegetische Genauigkeit im Falle von 28,22b (Zehnt) ebenfalls dazu zwingt, die erzählte Zeit und nicht erst eine Praxis am späteren Bethel- oder gar erst am Jerusalem-Heiligtum zu unterstellen (200). So gewiss spätere Generationen solches wie im Fall von 14,20 mitgehört haben werden (wohl a minore ad maius: umso mehr das spätere Heiligtum), so gewiss ist in beiden Fällen ein Votivzehnt exegetisch das Naheliegendste, da sich eine entsprechende Praxis nachweisen lässt ­ wenn man die erzählte Zeit gelten lässt (s. der Rezensent, Genesis II/2, 1999, 320).

3. So interessant die Deutung zum Diebstahl der Terafim von A. Schenker ist (Le tribunal des femmes et un vol légitime: Gen 31,1­25 et Ex 21,7­11, in J.-D. Macchi et Th. Römer [éd.], Jacob: Commentaire à plusieurs voix de Gen 25­36, Le Monde de la Bible 44 [2001], 143), auf den sich der Vf. auf S. 308 f. zu 31,19b beruft, wonach Rahel mit dem Diebstahl beabsichtigte, in Jakobs Haus selbst die Familiengötter zu befragen, dürfte eine solche Deutung ziemlich eindeutig daran scheitern, dass Rahel sich auf den Kamelsattel, in dem sie die Terafim versteckt hatte, setzen konnte. Diese Missachtung der Familiengottheiten lässt beim vorausgehenden Diebstahl an eine Herabsetzung Labans in seiner Familie durch den Verlust seiner Gottheit(en) denken.

Ohne Einzelnachweis möchte der Rezensent anmahnen, dass der Vf. wohl zu oft das literarkritische Messer zur Ausmerzung von scheinbaren Zusätzen, Ergänzungen und dergleichen schwingt. Der Rezensent erlaubt sich die Bemerkung, dass im Unterschied zu einem gegenwärtig weit ausgebreiteten Trend in der jüngeren Generation der alttestamentlichen Wissenschaft, ähnlich wie spätestens seit E. Tov in der Textkritik, jeder Eingriff in die tatsächlich belegte Überlieferung unbedingt rationes sufficientes erfordert und Sparsamkeit im Umgang mit Hypothesen die Wissenschaft auszeichnet. Jedoch trübt dies gewiss nicht das Urteil, dass man dann, wenn man die Literarkritik des Vf.s probeweise akzeptiert, in den Auslegungen viele sehr gute Sacherklärungen findet, die Leser und Leserinnen kompetent an die Hand nehmen.

Wie zum 2. Band muss man leider anmahnen, dass auch dieser neue Band zu viele nicht ausgemerzte Druckfehler enthält. Der Rezensent ist auf Nachfrage gern bereit, dem Vf. eine entsprechende Auflistung zur Verfügung zu stellen.