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Ausgabe:

April/2006

Spalte:

361–363

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kunz, Andreas:

Titel/Untertitel:

Die Frauen und der König David. Studien zur Figuration von Frauen in den Daviderzählungen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2004. 408 S. gr.8° = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 8. Geb. Euro 50,00. ISBN 3-374-01954-4.

Rezensent:

Sophia Bietenhard

Die Leipziger Habilitationsschrift hat zum Ziel, die Überlieferungen über die Frauenfiguren Michal, Batscheba, Abischag und Tamar und den Kreis der weisen Frauen von Abigail über die weise Frau von Tekoa bis hin zur Stadtvorsteherin von Abel-Beth-Maacha literargeschichtlich zu definieren, ihre möglichen gegenseitigen Verbindungen zu eruieren und zu einer zeitlichen Einordnung ihrer Entstehung zu gelangen (348 ff.). Dabei orientiert sich Andreas Kunz an gleichen oder vergleichbaren Erzählmotiven in den Erzählungen um David, in welchen Frauen eine zentrale Rolle spielen. Diese Methode des textübergreifenden Motivvergleichs erlaubt K., Abstand von der klassischen Einteilung in eine Aufstiegs- und eine Thronfolgeerzählung zu nehmen. Denn nach K. beweist ein Geflecht von intertextuellen Bezügen, dass eine bewusste literarische Ausgestaltung den Daviderzählungen ihre vorliegende Gestalt gegeben hat. Die Ergebnisse ihrer Analyse tragen bei zu einem weiteren Ziel, nämlich der »Beantwortung der Frage nach der literargeschichtlichen Erklärung des Phänomens, dass die Mehrheit der Daviderzählungen des zweiten Samuelbuches mit Frauenfiguren verbunden ist« (37 f.).

Durch die Spätdatierung der untersuchten Texte in die Exils- und Nachexilszeit kann K. diese Aufgabe teilweise einlösen: Die Zeit des Exils habe eine durch den sozialen Kontext bedingte Aufwertung der Rolle der Frauen gebracht, die in den untersuchten Erzählungen ihren Niederschlag gefunden habe. Diese konsequente späte Einordnung der Texte in ihrer vorliegenden Gestalt ist ein mutiger Gegenentwurf zu den vielen Frühdatierungen der Davidüberlieferungen und gibt insbesondere der Erforschung ihrer Endgestalt wichtige Impulse. Mit der Goliatgeschichte in 1Sam 17 stößt K. gar bis in die hellenistische Epoche vor. Das gelingt ihm namentlich dank der innerbiblischen und außerbiblischen Motivbezüge. Die Untersuchung der David-Goliatgeschichte im Spiegel der ägyptischen Geschichte von Sinuhe und dem Starken von Retjenu und der Vergleich des Motivs von der weisen Frau und der Stadtbelagerung von Abel Beth-Maacha mit der Geschichte von Andromache und Hektor bei der Belagerung Trojas (Il. 6,431­437) sind starke Beispiele dieses Blicks über den biblischen Gartenzaun. Es hätte sich meines Erachtens gelohnt, die außerbiblischen Bezüge zum Angel- und Ausgangspunkt der Untersuchung zu nehmen und von hier aus die innerbiblischen Vergleichstexte beizuziehen. Dafür hätte K. andere Diskussionsthemen zur Entstehung und Entwicklung der Davidüberlieferungen beiseite lassen können, umso mehr, als hier die Übersicht über die diesbezüglich relevanten Forschungsergebnisse ab und zu fehlt. Gravierend ist insbesondere, dass K. die zentralen Studien Langlamets zu den benjaminitischen Episoden bei den Michalüberlieferungen außer Acht lässt. Störend finde ich, dass plötzlich ein Begriff wie »eine ursprüngliche Joaberzählung« (349) auftaucht, ohne dass dessen Herkunft oder die Frage, ob es mehr davon gibt, diskutiert wird (Bietenhard 1998; vgl. Kunz, 129 ff.).

Trotz Spätdatierung lassen sich die redaktionsgeschichtlichen Ergebnisse der Studie in die herkömmlichen Bahnen der Saul-Davidinterpretationen einordnen: Da gibt es den aus der davidkritischen ­ wenn nicht königtumskritischen ­ Tradition rührenden Batschebakreis, es gibt die prodavidisch geprägten Weisheitstraditionen, die in die Darstellung einer Abigail münden, und es gibt die Michalüberlieferungen, welche sich gegen alle Zuweisungen sträuben und wohl die ältesten Saul-Davidtraditionen beinhalten.

Im zweiten Teil dieser Rezension komme ich zu kritischen Beobachtungen, die ich zum einen in einer unklaren exegetischen Methodik, zum andern in einer ungeklärten Hermeneutik dem Untersuchungsgegenstand gegenüber, »den Frauen um David«, verorte. Dieser Mangel an hermeneutischer Vorarbeit führt zu einer im Ganzen inkongruenten Lektüre.

K. lehnt die redaktionskritische Methode als nicht hilfreich ab (30) und versteht die Motivuntersuchung als literargeschichtliche Aufgabe. Das führt zu einer Vermischung von Sprach- und Motivvergleich und von historisch-kritischer und synchroner Auslegung. Es wäre an einer präzisen Definition des Motivs als literarischer Form zu arbeiten: Ist jede Sprachform, die zwei Erzählungen gemeinsam haben, schon ein Motiv? Wäre zum Beispiel der von David Gunn eingebrachte Begriff des »narrative« oder »traditional Pattern« als geprägtes literarisches Erzählmuster für manche der aufgeführten Analogien nicht doch brauchbarer, obwohl er von K. mit Hinweis auf die literarisch-schriftlich vorliegende biblische Erzähltradition abgelehnt wird (32)? Diese größeren literarischen Einheiten ­ Gunn verweist ja lediglich auf deren mögliche mündliche Herkunft ­ wären durchaus adaptierbar auf größere literarische Formen und deren Entwicklung (vgl. Bietenhard 1998, 30 ff.). So aber ist fraglich, wie vom Vergleich kleiner Sprachformen zu den Schlussfolgerungen zu Kultur und geistigem Klima zu kommen ist, ohne letztlich redaktionsgeschichtliche Kriterien anzuwenden. Im Kapitel zu 1Reg 1 führt K. eigentliche Redaktionskritik und -geschichte aus (206 ff.). Der Begriff des »Wertebewusstseins« des Erzählers, unter welchem K. die Ergebnisse jeweils zusammenstellt, lässt hingegen Ratlosigkeit zurück: Geht es um Überlieferung oder Literatur, um Ästhetik, Ethik oder Theologie? Die Probleme weisen auf einen ausstehenden Auftrag der alttestamentlichen Disziplin hin: Hermeneutisch klare Perspektiven und methodisch griffige Instrumente wären zu entwickeln, um die diachrone und die synchrone Untersuchung von inner- und außerbiblischen Literaturbezügen anzugehen.

Der Mangel an methodischer Reflexion zeigt sich gravierender noch in der Behandlung der Hauptthematik von K.s Studie, den »Frauen und der König David«. Die feministische Exegese hat zu solchen Themen ein reichhaltiges hermeneutisches Instrumentarium entwickelt, sowohl für die Textanalyse als auch für deren Voraussetzungen. Leider weist K. die ernsthafte Auseinandersetzung damit bereits einleitend von sich, wenn er sich gegen das Diktum von Cheryl Exum wendet, dass Frauen in der patriarchal geprägten biblischen Literatur nur marginal auftauchten. K. postuliert dagegen, dass die aktive Präsenz und das Handeln von Frauen in Davids Werdegang und seiner Herrschaft von großer Bedeutung seien (12 ff.). Am Beispiel der »Frauengeschichten« um David will er im Gegenteil beweisen, dass hier ein anderes »Frauenbild« sichtbar werde: »Die Frau erhält einen zentralen Platz im Bewusstsein der Erzähler« (14). Es kommt zu Verallgemeinerungen, beim Titel »Die Frauen und der König David« oder beim Postulat: »Mit der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, die Konturierung der Frau in der Literatur Israels am Beispiel der Daviderzählungen nachzuzeichnen.« (14) Der Widerspruch folgt wenig später, denn der »Erzählstoff von König David (sei) durch seine Verbindung mit zahlreichen Frauenfiguren eine Besonderheit in der Überlieferung der Hebräischen Bibel« (19).

Wesentliche Voraussetzungen zur Arbeit an solchen Texten, nämlich die Diskussion der antiken Geschlechtervorstellungen auf Grund von Modellen aus der Genderforschung und eine daraus entwickelte Perspektive auf die biblische Literatur fehlen in der Studie vollständig.

Dies führt notwendig zu weiteren Widersprüchen. Zum Beispiel behauptet K.: »Es ist müßig darüber zu streiten, ob die Frauenfiguren in den Davidgeschichten einer patriarchalen Perspektive entsprechen, ob sie Opfer oder Täter, als zentrale oder als Randfiguren, als dominierende oder als dominierte Handlungspersonen auftreten.« (17) Doch bezeichnet K. Michal selbst als Opfer des Handelns Davids (41 ff.). Wenn es das Ziel der Arbeit ist, den Gesamtkontext der Entstehungszeit der Erzählungen sichtbar zu machen ­ »Die Art und Weise, wie von Frauen erzählt wird, lässt sich als Reflexion der sozialen Wirklichkeit des Erzählers deuten« (11) ­, dann würde die Analyse der patriarchal geprägten antiken Welt und der literarischen Abbildung (Figuration) ihrer Akteurinnen und Akteure, ob als Täter, Mittäterinnen und Opfer, allerdings Antworten liefern.

Die Texte allein zeigen, dass Frauen eine gewichtige Rolle in den Davidüberlieferungen spielen. Es bleibt aber fraglich, ob die Untersuchung dies sichtbar macht. Es müsste zum Beispiel aus den Textanalysen klar werden, ob Frauen Subjekte oder Objekte einer Handlung sind. Nehmen wir Abigail, die als Erzählsubjekt die hebräische Fassung von 1Sam 25 dominiert. In K.s Darstellung verschwindet sie jedoch, da er an ihrer Stelle David als Hauptfigur einsetzt, so auch beim postulierten Drehpunkt in V. 31 ­ einer Rede Abigails. K. erwähnt Abigail im Schema S. 286 ein einziges Mal dahingehend, dass ihr Mägde nachfolgen, lässt aber aus, dass Abigail im gleichen Vers fünfmal mit aktiven Verbalformen die Handlung vorantreibt (vgl. Robert Alter, The Art of Biblical Narrative, 1981, 120 f.). Selbstverständlich ist die Erzählung von 1Sam 25 ganz auf David ausgerichtet. Um dies und um die Grundthese der Studie zu begründen, müsste der aktive Beitrag einer Frau bzw. ihrer Figuration dem biblischen Text gemäß aufgezeigt und erst recht nach den Autoren und ihren Interessen gefragt werden. Das Postulat Exums einer biblischen Männergeschichte ist demnach eine auf gründlicher Textanalyse basierende, exegetische Binsenwahrheit. Eine wissenschaftliche Perspektive auf die Figurationen dieser Geschichte sollte sie nicht unbedarft und mit immer gleichem Geltungsanspruch in die heutige Zeit hinein perpetuieren.