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Ausgabe:

April/2006

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Dietrich,Walter

Titel/Untertitel:

David und Saul im Widerstreit.Diachronie und Synchronie im Wettstreit. Beiträge zur Auslegung des ersten Samuelbuches.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. 312 S. m. Abb. gr.8° = Orbis Biblicus et Orientalis, 206. Geb. SFr 76,00. ISBN 3-7278-1482-9 (Academic Press); 3-525-53064-1 (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

Klaus-Peter Adam

Der Band versammelt neben einer Einführung und einem Ausblick 17 Beiträge eines Berner Symposiums im September 2003, nach fünf Themenfeldern geordnet: Methodische Entwürfe, Methodische Etüden, Davids Anfänge bei Saul (1Sam 17­19), Die Konfrontation zwischen David und Saul (1Sam 24 und 26) und David als Erbe Sauls (1Sam 28 ­ 2Sam 1).

Eingangs stehen fünf methodische Entwürfe. E. Blum, »Vom Sinn und Nutzen der Kategorie ðSynchronieЫ, betont unter anderem den Unterschied in der Heuristik synchroner und diachroner Analysen: Literarkritische Untersuchungen sind auf Spuren von Uneinheitlichkeit ausgerichtet, während synchrone Untersuchungen »die Einzelelemente exhaustiv und kohärent vom Ganzen her (und umgekehrt)« lesen (28).

Lyle Eslinger führt in seinem Beitrag »Beyond Synchrony and Diachrony. Hyperchrony, an Archaic Framework for Cultural Criticism« aus, wie die beiden methodischen Herangehensweisen überboten werden können. Mit Northrop Frye ist die Bibel als »mythologisches Universum« zu verstehen, in dessen Mittelpunkt die unmittelbaren Bedürfnisse, »primary concerns« (37), der Menschen stehen. Die hyperchrone Dimension eines literarischen Werkes erschließt sich über die dem Text zu Grunde liegenden geistigen Strömungen und Anliegen, »currents and concerns« (38), was an Gen 17­18; 1Sam 8­12 (24 und 26) dargestellt wird.

Thomas Naumann weist »Zum Verhältnis von Synchronie und Diachronie in der Samuelexegese« auf die Vielfalt synchroner Studien der Samuelexegese hin, diskutiert Ziele, Vorteile und Nachteile der Methodik (54­59). Methodisch problematische Voraussetzungen historisch-kritischer, diachroner Analysen können den »German Approach« als abschreckend erscheinen lassen (60).

Dass narrative Texte der Bibel unterschiedliche Erzählversionen bzw. -optionen enthalten, die die antiken Erzähler in ihrer synchronen Darbietung zwangsläufig einebneten, stellt A. F. Campbell, »Synchrony and the Storyteller«, fest. Daher muss der Exeget die verschiedenen Versionen isolieren und als separate Geschichten je für sich behandeln und sich weniger auf die Autoren als auf die jeweiligen Textphänomene konzentrieren.

David Jobling, »David and the Philistines«, erläutert den ideologiekritischen Textzugang der Literaturtheorie Frederic Jameson¹s und bestimmt das Verhältnis zwischen marxistischen und strukturalistisch-dekonstruktivistischen Ansätzen. Hinter den Erzählungen von David und den Philistern scheint die Alternative zwischen Israel als eigenständigem Staat oder als Kolonie einer fremden Macht durch (84).

Zwei methodische Etüden widmen sich jeweils einem Textbereich. Erich Eynikel erklärt 1Sam 7 als Antwort auf die Themen von 1Sam 1­6: die Korruptheit der Eliden, Elis Schwäche und mangelnde Pflichterfüllung, die philistäische Bedrohung und vor allem die gestörte Beziehung zwischen Israel und JHWH. Der exilische Dtr2 hat dieses Kapitel unter Verwendung älteren Materials, z. B. der Ätiologie 1Sam 7,12, geschaffen. Das Kapitel hat jetzt die Funktion eines Vorwortes zu 8,1­12,25.

Jürg Hutzli arbeitet mögliche »Retuschen am Davidbild« in der masoretischen Fassung der Samuelbücher heraus (2Sam 1,18; 1Sam 30,8; 1Sam 17,38­39 und 1Sam 29,3), die alle das Bild Davids als starken, kämpferischen und integren Militär- und Volksführers hervorheben. Er weist sie einer kleinen gezielten Bearbeitung zu (114).

Sechs Beiträge widmen sich Davids Anfängen bei Saul nach 1Sam 17­19.

An die Diskussion von Barthélemy, Gooding, Lust und Tov von 1986 knüpft A. Graeme Auld an mit »The Story of David and Goliath: A Text Case for Synchrony plus Diachrony«. Der längere masoretische Text ergibt sich nach seiner Auffassung aus der kurzen Fassung, wobei verschiedene im Kontext von 1Sam vorgegebene sprachliche und erzählerische Züge aufgenommen werden.

Johannes Klein weist auf »Unbeabsichtigte Bedeutungen in den Daviderzählungen« am Beispiel von 1Sam 17,55­58 hin. Die Absicht eines Autors ist grundsätzlich von der Bedeutung des Textes zu unterscheiden.

na Willi-Plein rekonstruiert in dem Beitrag »1Sam 18­19 und die Davidshausgeschichte« eine kohärente Davidshausgeschichte mit Beginn in 1Sam 14,47a.49­52 und Ende in 1Kön 2, die ein Autor noch ohne Wissen um eine künftige Daviddynastie schuf. Er beschreibt die Anfänge eines Königtums in »Israel«, was er weder als Ortsbegriff noch als Gegensatz zu Juda verwendet. In 1Sam 18,1 beginnt eine größere Einheit einer »Hofgeschichte«, mit dynastischer Königtumsvorstellung und genuin Jerusalemer Überlieferungen, die das Verhältnis zwischen Jonatan als Erstgeborenem Sauls und David klärt und die Davidshausgeschichte überformt.

Stefan Ark Nitsche untersucht »Die Komplexität von 1Sam 18 und 19« auf der Grundlage der neueren Historik (H. White, H.-J. Goertz), der philosophischen Hermeneutik (P. Ric¦ur) und der Kulturtheorie. Es handelt sich um eine »kunstvoll erzählende Collage« (189), die Material unterschiedlichster Herkunft, verschiedenster Stile und Formen aufnimmt. Nitsche versteht sie als »Beitrag zur mentalen Infrastruktur«, die als »traditionale Literatur« aus einem Nebeneinander von schriftlicher Produktion und mündlicher Performance nach 722 v. Chr. entstand (190­191). Peter Mommer behandelt »David und Merab« in 1Sam 18, 17­19. Die Episode, die in der Mehrzahl der LXX-Handschriften fehlt, ist ein »literarisches Konstrukt« ohne Anhalt an der tatsächlichen Geschichte (199). 1Sam 18,17­19 ist eine kurze Parallele zu 1Sam 18,20­27, die Sauls schlechten Charakter dem korrekten Verhalten Davids gegenüberstellt und so erklärt, warum die Hochzeit zwischen Merab und David nie stattfand. Bernhard Lehnart erklärt die Episode von 1Sam 19,18­24, »Saul unter den Ekstatikern«, als Zufügung, die ausgehend von 1Sam 9­10* entstand (vor allem 1Sam 10,5­6.10­12). Der Organisationsgrad der Gruppenpropheten, den 19,18­24 voraussetzt, ist viel höher als in den Episoden, in denen Saul Samuel begegnet. Auf Grund seiner Kenntnis von Nordreichtraditionen und Davidtraditionen entstand der Text nach 722 v. Chr. in Juda.Der Konfrontation zwischen David und Saul nach 1Sam 24 und 26 widmen sich zwei Beiträge. Antony F. Campbell, »Diachrony and Synchrony: 1Sam 24 and 26«, nennt drei Beweggründe des Erzählers, das Geschehen in der Höhle zu schildern: Davids demonstrativer Respektbeweis, Davids Tötungswunsch, Davids Verbot, Saul anzugreifen. Das zweifache Angebot der Sifiter an Saul in 1Sam 23 und 26 rahmt die dazwischen liegenden Abschnitte: David begegnet erst Saul, dann Abigajil und wieder Saul.

Walter Dietrich untersucht »Die zweifache Verschonung Sauls« und ihre Entstehung im Erzählwerk über die Frühe Königszeit in Israel. Die gemeinsame Handlungsschilderung bis in den Wortlaut hinein weist auf eine Angleichung beider Erzählungen hin. Die Überarbeitung wird besonders in den ausführlichen, weitgehend sekundären Dialogen 1Sam 24,3a.5a.6­8a.9b­11. 12b­17a.18­23a; 1Sam 26,1.*3.8­11.12bb16a.18­20a.*21. 23­25a um ethische, ideologische und theologische Fragen erweitert: Was ist gut, was böse? Wie soll der König handeln und wie muss er behandelt werden? Eine knappere und eine von dieser abhängige, stärker ausgearbeitete Grunderzählung lassen sich ermitteln. Beide gehörten vermutlich unterschiedlichen Erzählsammlungen an, bevor sie im späten 8. oder früheren 7. Jh. im Umkreis des Jerusalemer Hofes mit weiteren Erzählungen der Samuelbücher, besonders 1Sam 25, verwoben und Bestandteile einer Hoferzählung des Frühen Königtums wurden.

Drei Beiträge thematisieren David als Erbe Sauls nach 1Sam 28­2Sam 1. Timo Veijola untersucht in dem Artikel »Geographie im Dienst der Literatur in 1Sam 28,4« die Spannung zwischen 1Sam 28,4 Schunem/Gilboa und 29,1 Aphek/ Jesreel am Fuß des Gilboa. Nur die Beschreibung von 1Sam 29,1 kann aus geographischen, literarischen und historischen Gründen überzeugen. Die Erzählung von Sauls Besuch bei der Totenbeschwörerin in En-Dor ist von DtrP (vgl. 28,3 und 1Sam 15,35aa; abhängig von 1Sam 25,1a DtrH) eingefügt worden unter Verwendung älteren Materials.

Shimon Bar-Efrat, »The Death of King Saul: Suicide or Murder?«, versteht weder die beiden Berichte in 1Sam 31 und 2Sam 1 als zwei verschiedene Quellen bzw. Traditionen noch den zweiten Bericht als »Erfindung«. Beide ergänzen einander, ohne sich zu widersprechen.

Regine Hunziker-Rodewalds Beitrag »Wo nur ist Sauls Kopf geblieben?« vergleicht die Darstellung des elamischen Gegners Te¹umann im Relief des siegreichen Assurbanipal mit 1Sam 31 als Bericht aus der Verliererperspektive. Während dort der Kopf die Trophäe des Siegers ist, erwähnt 1Sam 31 Sauls kopflosen Körper ­ im Unterschied zu 1Chr 10,10, das aus der Siegerperspektive berichtet, dabei deutlich David verklärt, aber düsteres Licht auf Saul wirft.

Ein Ausblick und Rückblick mit weiteren Voten zu Synchronie, Diachronie, story und history und zur Rezeptionsästhetik beschließt die Sachbeiträge; Stellen- und Sachregister beschließen den Band.

Der im Titel ausgedrückte Gegensatz signalisiert vor allem das Selbstverständnis des Bandes als Beitrag zur Methodenreflexion. Wie ertragreich es ist, anhand eines ausgewählten Textbereichs eine solche Methodenreflexion durchzuführen, verdeutlichen die Einzelbeiträge.