Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2006

Spalte:

328–330

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Saß, Marcell

Titel/Untertitel:

Frei-Zeiten mit Konfirmandinnen und Konfirmanden. Praktisch-theologische Perspektiven.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2005. 327 S. gr.8° = Arbeiten zur Praktischen Theologie, 27. Geb. € 44,00. ISBN 3-374-02275-8.

Rezensent:

Thomas Klie

Zwischen der Publikationsdichte bei den schnell verwertbaren Praxishilfen, Bausteinen und Unterrichtsentwürfen und der bei den theoretischen Untersuchungen zum kirchlichen Unterricht besteht ein beträchtliches Missverhältnis. Offenbar gewährt der gemeindliche Handlungsdruck keine »Frei-Zeiten« für die distanzierende Reflexion der didaktischen Praxis. Die Dissertation von Marcell Saß besetzt insofern eine signifikante Leerstelle in einem theoretisch unterbestimmten kirchlichen Praxisfeld. Konfirmandenunterricht will eben nicht nur methodisch abwechslungsreich gemacht, sondern ebenso theologisch wie pädagogisch versiert bedacht werden. Dass sich in dieser Untersuchung die Theoriebildung auf einen Spezialfall von Unterricht bezieht, ist dabei ebenso symptomatisch wie der Umstand, dass sie dabei weitgehend auf Kontaktnahmen zu den religionsdidaktischen und allgemeinpädagogischen Diskursen verzichtet. Argumentierte die Didaktik des Konfirmandenunterrichts in den 1970er Jahren primär allgemeinpädagogisch, so äußert sie sich gegenwärtig eher binnenkirchlich-hermetisch. Dies schmälert nicht die Erkenntniszuwächse der hier vorgelegten Arbeit, relativiert aber doch deren Reichweite.
Das Buch gliedert sich in drei große Teile. Nach einer kurzen einleitenden Problemskizze (20 S.) bietet der erste Teil (»Funktion und Bedeutung in der praktisch-theologischen Diskussion«; 103 S.) einen Abriss über Entstehung und Ausdifferenzierung der Konfirmandenfreizeiten. Im zweiten Teil (»Beobachtungen aus der Praxis«; 87 S.) widmet sich der Vf. der Wilhelmshavener Kirchengemeinde Bant. Das hier praktizierte »Reformmodell« wird in Geschichte und Organisation dargestellt sowie auf der Erfahrungsebene durch eine qualitative Befragung betroffener Konfirmanden abgebildet. Erscheint die empirische Basis in diesem Teil durch den Rekurs auf nur ein einziges Modell eher schmal, so sehr weitet sich dann wieder der praktisch-theologische Reflexionshorizont im abschließenden dritten Teil (»Anregungen zur praktisch-theologischen Theoriebildung«; 76 S.). Hier wird das Phänomen »Konfirmandenfreizeit« eingerückt in eine zeittheoretische, ekklesiologische und liturgische Perspektive.
Ausgesprochen erhellend für das Verständnis von Gestalt und Wirkungsgeschichte der katechetisch motivierten Reisetätigkeit ist das Material, das der Vf. eingangs präsentiert. So sehr hier allerdings die Seitenblicke auf das schweizerische Modell des »Konfirmandenlagers« und die »Rüstzeiten« in Ostdeutschland die spezifischen Begründungs- und Organisationsmuster in Westdeutschland zu konturieren vermögen, so wenig leuchtet das Aussparen der skandinavischen Freizeiten-Konzepte (»Internatskonfirmation«) sowie der kompletten schulpädagogischen Debatte (Klassenfahrten, Schullandheimaufenthalte) ein. Themenzentriertes Wegfahren ist nun einmal weder eine deutsch-lutherische Domäne noch lässt es sich auf die rein kirchlich verantwortete Vermittlungstätigkeit reduzieren.
Die beiden folgenden Kapitel sind wechselseitig aufeinander bezogen: Die praktisch-theologische Theorie der Freizeiten wird entfaltet »im Wechselverhältnis von normativ-deduktiven Bestimmungen und empirisch-induktiven Beobachtungen« (137). Die detailreiche Rekonstruktion der 1975 in einer niedersächsischen Stadtrandgemeinde begonnenen Form, die Konfirmandenzeit durch Ferienseminare zu strukturieren, dient dem nachfolgenden Abschnitt als empirische Ressource. Das außer gewöhnlich gut dokumentierte Modell und die Sequenzanalyse der drei Fallbeschreibungen (»Christian«, »Dörte«, »Ernst«) lassen die katechetische Praxis hier facettenreich hervortreten. Problematisch sind allerdings die Auswahlkriterien: Die Begründungen dafür, warum gerade dieses und nur dieses Modell zur Darstellung gelangt, sind wenig plausibel. Weder vermag das gewählte Exempel die ganze Beleglast für die praktische Theologie des dritten Lernortes zu tragen noch scheint die Distanz des Vf.s zu seinem Gegenstand groß und damit kritisch genug, um über den Affirmationsverdacht erhaben zu sein. Eine eher kon-trastive Herangehensweise, die die zum Teil parallelen Entwick lungen in der schulischen Religionspädagogik bzw. abweichende Reformmodelle anderer Kirchengemeinden synoptisch zu ordnet, hätte der Arbeit gut getan. Trotz der Monita bleibt die Darstellung immer transparent, hinreichend belegt und gut lesbar.
Entsprechend seinem »zwischen Praxis und Theorie pendelnden Ansatz« (27) verdichtet der Vf. hieran anschließend seine Un tersuchung zu einem dreigliedrigen Begründungsmuster für Konfirmandenfahrten: Sie sind erstens (zeittheoretisch) als »Frei-Zeiten« zu verstehen, als eine »Zeit, die frei ist von dem, was im Alltag durch Beschleunigungserfahrungen, Zeitnutzungszwänge …, Langeweile und Sinnsuche bei der Freizeitgestaltung … geprägt ist« (251). Zweitens kann man sie mit der paulinischen »Koinonia« identifizieren, sie sind »konkrete Gemeinde am Freizeitort« (271). Und drittens wird diese Koinonia auf Zeit in ihrer »liturgischen Dimension« bestimmt; hier ist der Ort, »konkrete christliche Praxis nicht nur methodisch aufbereitet zu vermitteln, sondern sie auch im Vollzug zu erleben« (295). Liturgie lernt sich besser im herausgehobenen katechetischen Interim. An ihr entscheidet sich – so die These mit Bezug auf Drehsen – nichts weniger als die Religionsfähigkeit der Volkskirche.
Alle drei kategorialen Eckpunkte sind sachgerecht. Mit ihnen steckt der Vf. ein Feld ab, das sich wohltuend abhebt von so zialpädagogisierenden Konzepten der 1970er und dem Ganzheitlichkeitsdunst der 1980er Jahre. Dass diese Bestimmungen– einzeln und in ihrer gegenseitigen Bezogenheit – offen sind für re ligionsästhetische und liturgiedidaktische Lesarten, macht die Untersuchungsergebnisse praktisch-theologisch in hohem Ma ße anschlussfähig.

Schade nur, dass die Theorie so wenig aus der– sehr plastischen – Praxiserhebung heraus gearbeitet ist. Bisweilen lesen sich die drei Abschnitte des letzten Kapitels wie ein theoretischer Essay ohne Bezug zu seinem empirischen Vorspann. Nichtsdestoweniger hat der Vf. ein wichtiges Buch ge schrieben, dem zu wünschen bleibt, dass es den praktisch-theologischen Diskurs über Sinn und Gestalt des kirchlichen Religionsunterrichts nachhaltig befördert.