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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

326–328

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Pithan, Annebelle

Titel/Untertitel:

Liselotte Corbach (1910–2002). Biografie – Frauengeschichte – Religionspädagogik.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2004. 525 S. m. Abb. 8°. Kart. € 39,90. ISBN 3-7887-2080-8.

Rezensent:

Robert Schelander

Die Verbindung von Religionspädagogik und Biographie ist nicht ungewöhnlich. Vielleicht mehr als andere theologische Wissenschaften stellt das Fach Religionspädagogik sich selbst in den Biographien von »Klassikern« dar. Über die Person soll – so der vermutete Gewinn – ein besserer Zugang zu Werk und religionspädagogischer Position, aber auch zu den religionspädagogischen Charakteristika einer bestimmten Zeit gefunden werden. Den besonderen (hochschul-)didaktischen Gewinn von Biographien verwende ich selbst gerne in Vorlesungen zur Religionspädagogik des 20. Jh.s. Nicht nur an »männlichen Klassikern« lassen sich sowohl die Verortung der religionspädagogischen Epoche und deren Trends in den Entwicklungen von Theologie und Kirche, Pädagogik und Gesellschaft als auch die komplexen Wechselverhältnisse von Ausbildung, religionspädagogischer Praxis und deren wissenschaftlicher Reflexion zeigen. Neben dem mittlerweile auf drei Bände angewachsenen Standardwerk von Rainer Lachmann und Horst Rupp (Lebensweg und religiöse Erziehung. Religionspädagogik als Autobiographie, 1989, 2000) ist hier das von P. herausgegebene Sammelwerk (Religionspädagoginnen des 20. Jahrhunderts, 1997) zu nennen. »Die Religionspädagogik schreibt ihre Geschichte bisher weit hin anhand einer an wenigen männlichen Personen orientierten Konzeptionengeschichte« (20). Frauen sind in den er wähnten Darstellungen von Lachmann und Rupp kaum vertreten.
P. verbindet nun diese drei Themen der religionspädagogischen Diskussion, Biographie, Frauengeschichte und Religionspädagogik, in ihrer Darstellung von Leben und Werk von Liselotte Corbach. Dieses – ursprünglich im Fachbereich Erziehungswissenschaft an der Universität Hannover als Dissertation entstandene – Werk erfüllt hinsichtlich der Ausstattung alle Wünsche: umfangreiche Quellenverzeichnisse, eine orientierende Zeitleiste, ein hilfreiches Register und eine Fotogalerie. Ein sehr aufwendiges und besonderes Buch, das sich aus dem üblichen Rahmen mancher schnell geschriebenen Qualifikationsarbeit abhebt.
Im einführenden Kapitel setzt sich P. zum Teil knapp, aber pointiert mit dem Zusammenhang von Frauengeschichte, Biographie und Religionspädagogik auseinander. Dem Problem eines auf einzelne Personen verkürzten Verständnisses von Religionspädagogik begegnet sie mit dem Anspruch, »… einen Beitrag zu einer gesellschaftlich reflektierten, kontextuellen Geschichte der Religionspädagogik« (20) zu liefern.
Im umfangreichen Hauptteil (2. Kapitel, Liselotte Corbach – Leben und Werk) geht P. in neun Stationen den Lebensweg Corbachs entlang: Kindheit und Jugend, Studentinnenzeit, die verschiedenen Arbeitsplätze – als Höhepunkt die Zeit als Professorin an der Hochschule in Hannover – und schließlich der Ruhestand. Klassische Fragen der Biographie stehen im Mittelpunkt: Welche Personen haben sie entscheidend geprägt? Welche Einflüsse waren für sie richtungsweisend? Wo hat sie eine soziale und geistige Heimat gefunden? Wie haben sich ihre Einstellungen und Überzeugungen in Auseinandersetzung mit den Arbeitssituationen weiterentwickelt? – P. arbeitet in detaillierter und gut recherchierter Darstellung wesentliche Stationen der Biographie Corbachs heraus: eine durch die diakonische Arbeit ihrer Eltern geprägte Kindheit und Jugendzeit; ein Theologiestudium, das Frauen als Studierende kaum wahrnahm (vgl. die Kapitelüberschrift: »›Meine Herren‹ – Als Frau studieren«) und das durch den beginnenden Nationalsozialismus geprägt war. Erste praktische Erfahrungen sammelte sie mit weiblicher Jugendarbeit im Rahmen des Burckhardthauses in Berlin-Dahlem. »Corbach fand hier einen identifikatorischen Ort von frauenbezogenen Ausbildungs-, Arbeits- und Lebenszusammenhängen und eine religiöse wie soziale ›Kraftquelle‹« (412).
Hier so wie in den Auseinandersetzungen der Bekennenden Kirche mit dem nationalsozialistischen Staat liegen die Anfänge ihrer katechetischen Arbeit und zugleich die Wurzeln ihrer religionspädagogischen Position. Besonders hervorzuheben sind die A-B-C-Pläne, welche sie zusammen mit Eduard Steinwand für die katechetische Arbeit herausgegeben hat. Ihre bibel- und kerygmatisch-orientierte Konzeption vertrat sie, ab den 50er Jahren als Professorin an der Pädagogischen Hochschule in Hannover, in der Lehre. Das Lehren lehren – und weniger die Beteiligung am wissenschaftlichen Diskurs – hat sie als ihre Lebensaufgabe gesehen: »Das Weitergeben der biblischen Glaubensbotschaft zu lehren war Corbachs Beruf« (419).
Mit der Darstellung der Entwicklung von Leben und Werk Corbachs gelingt es P. unter anderem, festgefahrene Ansichten über religionspädagogische Epochen aufzubrechen: Der Vorwurf der Kindvergessenheit der evangelischen Unterweisung lässt sich nun nicht mehr so pauschal behaupten, und auch die methodischen Bemühungen Corbachs um eine Bilddidaktik passen nicht ins geläufige Bild eines nur predigenden und wortbezogenen Unterrichtsstils. Corbach vertritt ein »Konzept einer durch Exegese theologisch gesicherten und, weil ›vom Kind‹ ausgehend, methodisch weiterentwickelten Evangelischen Unterweisung«(419).
Der Text ist sehr konzentriert, trotz der um fangreichen Darstellung findet sich keine Weitschweifigkeit. Manchmal – insbesondere in dem zusammenfassenden Kapitel – würde man sich etwas mehr Quer- und Rückbezüge wünschen.
Liselotte Corbachs Leben und Werk stehen im Zentrum, dennoch leistet P.s Arbeit mehr: Sie ist ein wichtiger Schritt zu einer geschlechterreflektierten historischen Religionspädagogik. Die Fokussierung auf eine Frauenbiographie bringt nicht nur eine deutliche Beachtung der geschlechtsspezifischen Unterschiede in Studium, Vikariat und Pfarramt – dessen Aufgaben während des Zweiten Weltkrieges aushilfsweise auch Frauen übernehmen konnten –, sondern auch die Entdeckung neuer, bisher kaum beachteter religionspädagogischer Arbeits- und Handlungsfelder: so die weibliche Jugendarbeit im Rahmen des Burckhardthauses. Dies hat Rückwirkungen auf das Verständnis von religionspädagogischer Theorieentwicklung: Wesentliche Erfahrungen aus der gemeindlichen Katechese der 40er und 50er Jahre haben die Praxis und das Verständnis dessen, was Religionsunterricht sein soll, geprägt. – P. weist auf die auffällige Diskrepanz zwischen der religionspädagogischen Bedeutung Corbachs in Niedersachsen in den 40er und 50er Jahren und ihrer »Nichtbeachtung« in der späteren religionspädagogischen Diskussion hin. Damit benennt sie ein wichtiges Forschungsdesiderat historischer Religionspädagogik. Das Verhältnis von regionalen Entwicklungen und überregionalen Diskussionen ist in seinen komplexen Wechselwirkungen dringend klärungsbedürftig.
P. zeigt mit dieser Biographie ein Stück Frauengeschichte in einer männlich geprägten Gesellschaft. Man möchte vielen Lesenden jene Erkenntnis wünschen, welche P. für sich selbst festgehalten hat, »dass sich durch die Beschäftigung mit Liselotte Corbach die symbolische Ordnung der Religionspädagogik erheblich verändert hat« (428).