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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

316–318

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Christian [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wahrheit und Erfahrung – Themenbuch zur Systematischen Theologie. Bd. 1: Einführende Fragen der Dogmatik und Gotteslehre. Geleitwort v. G. Maier.

Verlag:

Wuppertal: Brockhaus; Gießen: Brunnen 2004. 264 S. 8° = Systematische Theologische Monographien, 11. Kart. € 16,90. ISBN 3-417-29484-3 (Brockhaus); 3-7655-9484-9 (Brunnen).

Rezensent:

Reiner Andreas Neuschäfer

Das Spektrum dieser Veröffentlichung geht über den rennomierten Blickwinkel systematisch-theologischer Reflexion hinaus und berücksichtigt in ihren Erörterungen und Erwägungen auch gewagte bzw. provozierende Positionen, die gemeinhin als konservativ, freikirchlich oder evangelikal charakterisiert werden. Hierin liegt sowohl die Chance als auch die Grenze dieses Sammelbandes: Die 19 Autoren verdeutlichen in angemessener Bandbreite und erstaunlicher Heterogenität eine auf Bibel, Bekenntnis und Gemeindebezug gegründete Theologie und Spiritualität. Dabei ergeben sich überraschende und übliche Zugänge zu einführenden Fragen der Dogmatik und Gotteslehre. Den Schwerpunkt bilden bibelhermeneutische Ausführungen, die Frage von Naturwissenschaft und Glaube sowie die spirituelle Dimension der biblischen Gottes-Vorstellung(en). Hie rin zeigt sich eine spezifische Akzentsetzung, die sich auch in den ausgefallenen Annäherungen an dogmatische Topoi niederschlägt. Wesentliche Bezugsgrößen im Nebeneinander von Wahrheit und Erfahrung sind die Bibel, die reformatorischen bzw. reformierten Bekenntnisschriften, die kirchlichen Gebrauchstexte (geistliche Lieder, liturgische Formulierungen) und die christliche Ikonographie. Neben einführenden und entfaltenden Ausführungen enthalten die jeweiligen Beiträge Aufgaben/Fragen zur Vertiefung (in der Regel didaktisch-methodisch verbesserungswürdig) und überschaubare Literaturhinweise.
Unter der ersten Rubrik »Wer ist Gott?« grenzt sich der den Band eröffnende Beitrag von Jochen Eber (»Der Glaube an den dreieinigen Gott«) von einem (zu) weiten bzw. unspezifischen Religionsbegriff ab, fokussiert die Gottesfrage auf ihren eigentlichen Ort (Gottesdienst) und verdeutlicht die Relevanz altkirchlicher Fragestellungen im aktuellen Kontext als regulative Abgrenzungen.
Die zweite Rubrik »Gott in Beziehung (Wort Gottes und Gotteserkenntnis)« widmet sich ebenso ausführlich wie sensibel der innerhalb der evangelikal ausgerichteten Theologie durchaus differierenden Bibelhermeneutik: der Beitrag von Clemens Hägele entfaltet ein Schriftverständnis in Anlehnung an Adolf Schlatter; Heinzpeter Hempelmann erörtert eine Hermeneutik der Demut in 18 Thesen, Thomas Schirrmacher konzentriert sich auf den Begriff der Irrtumslosigkeit und Thomas Jeromin eröffnet insbesondere die geistliche Dimension der Schriftauslegung. Der facettenreiche Beitrag von Stefan Felber zum Verhältnis der beiden Testamente zueinander geht über aktuelle Engführungen in der Altes Testament-Neues Testament-Debatte hinaus. Weniger bestechend und vor allem auf angelsächsischem Hintergrund fußend sind die fünf Beiträge zu Naturwissenschaft und Glaube, die zumeist über eine Auseinandersetzung auf apologetischem Niveau nicht hinausgehen: Roland Scharfenberg klärt den Begriff ›Glaube‹; Ron Kubsch und Thomas Schirrmacher untersuchen in jeweils einem Beitrag die Apologetik und die Problematik einer Natürlichen Theologie; Hermann Hafners Darlegungen zu Naturwissenschaft und Christentum würdigen in erster Linie das Werk von Karl Heim und stellen wegen ihres Stils und Umfangs einen Fremdkörper im Buch dar; Rolf Hille bringt kenntnisreich das Theodizeeproblem zur Sprache und verdeutlicht, dass die Anfechtung den Glauben voraussetzt bzw. bestätigt.
Eine angemessene und ansprechende Zuordnung von Lehre und Leben findet sich unter der Rubrik »Kopf und Herz vereint zusammen« in den drei Beiträgen von Eberhard Hahn, Oswald Bayer und Markus Liebelt zu den Fragestellungen, was eigentlich »dogmatisch«, alltags- und traditionsrelevant sei.
Die vier abschließenden Beiträge unter der Rubrik »Leben von Gott her und auf Gott hin« haben vor allem die Frage nach dem Gebet (Peter Zimmerling), der Rechtfertigung (Ralph Meier), der Ekklesiologie (Martin Abraham) und der Auferstehungshoffnung (Christian Herrmann) zum Inhalt.
Ein Anhang und ein Autorenverzeichnis sowie drei Exkurse zur Kanonfrage (Andreas Hahn), zum Kreationismus (Reinhard Junker) und zum Begriff ›evangelikal‹ (Rolf Hille) runden das breite Spektrum des Sammelbandes ab.
Wer sich nicht an der durchaus konstruktiv wahrnehmbaren konservativen Ausrichtung des Buches stößt, wird eine Stärke des Buches vor allem darin erkennen, dass etliche Fragestellungen weit mehr als die Gotteslehre tangieren und auch die Praktische Theologie oder christliche Ethik berühren. Die relative Uneinheitlichkeit in Duktus, Sprache und allgemeintheologischer Reflexion beeinträchtigt den Gesamteindruck eines Sammelbandes, der zahlreiche Beiträge auf hohem Niveau mit erfrischendem systematisch-theologischen Essay-Charakter bietet. Den folgenden Bänden ist eine einheitlichere Strukturierung sowie ein gemischter Index (Namen, Sachen, Bibelstellen) zu wünschen. Dieses Themenbuch zur Systematischen Theologie wird in Form einer pointierten und profunden Auseinandersetzung aufregen und anregen können, in jedem Fall aber den Zusammenhang von theologischer Wissenschaft und christlicher Lebensführung aufdecken.