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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

314–316

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Blättler, Peter

Titel/Untertitel:

Pneumatologia crucis. Das Kreuz in der Logik von Wahrheit und Freiheit. Ein phänomenologischer Zugang zur Theologik Hans Urs von Balthasars.

Verlag:

Würzburg: Echter 2004. 440 S. gr.8° = Bonner Dogmatische Studien, 38. Kart. € 39,00. ISBN 3-429-02650-4.

Rezensent:

Barbara Hallensleben

Im Vorwort dieser Doktorarbeit, die unter Leitung von Karl-Heinz Menke in Bonn verfasst wurde, fehlt jeglicher Bezug auf Hans Urs von Balthasar. Der Vf., der Priester des Bistums Aachen ist und bis zu dessen Tod Sekretär des verstorbenen Bischofs Dr. Klaus Hemmerle war, ist theologisch auf der Suche nach der »Logik der Liebe«, die sich im Blick auf Jesus Christus erschließt und »sich bis ins Kreuzesgeschehen hinein als eine glaubwürdige Lebenslogik offenbart« (7). Das Werk Hans Urs von Balthasars verheißt eine Antwort auf diese Frage. – Der Vf. wählt für seine Untersuchung die »Theologik«, die von Balthasar nach der Theologischen Ästhetik und der Theodramatik als letzten Teil seines dreigliedrigen Hauptwerkes vollendete. Zu gleich steht sie am Anfang der Trilogie, insofern ihr erster Band bereits 1947 unter dem Titel »Wahrheit der Welt« erschien und 1985 ohne Überarbeitung als erster Band der Theologik neu herausgegeben wurde. »Balthasars ›Theologik‹ ist infolgedessen zu gleich Grundstein wie Schlussstein seines theologischen Denkens« (18). Es entsteht der Eindruck, als ginge es in der Arbeit um dieses Balthasarsche Werk, zumal der Forschungsstand hier eine Lücke aufweist: Die »1985–1987 erschienene Theologik ist bislang erst in Ansätzen rezipiert« (U. J. Plaga, zit. 27).
Doch bereits die Zielsetzung der Arbeit lenkt die Aufmerksamkeit auf neue theologische Bezugspunkte: Der Titel der Arbeit, »Pneumatologia crucis«, »taucht als Wortschöpfung bei dem renommierten evangelischen Theologen Jürgen Moltmann auf. Moltmann wirft dieses Wort interessanterweise nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Enzyklika ›Dominum Vivificantem‹ in die theologische Debatte« (24). Der Vf. sieht sich in seiner »Arbeitsthese« bestätigt, »dass die Theologik von Balthasars ganz ursprünglich nur ›zwischen‹ Christologie und Pneumatologie spielen kann. Wie aber spielt diese Ursprünglichkeit im Ganzen des Weltgeschehens und wie spielt sie insbesondere hinein in das sehr konkrete, geschichtliche wie persönliche Freiheitsgeschehen zwischen Gott und Mensch?« (25) Bevor man sich auf diesen erweiterten Kontext recht einlassen kann, taucht eine neue Perspektive auf: »Dieser Leitfrage steht ein Gedanke des Aachener Bischofs Klaus Hemmerle Pate« (25).

Der Bezug zu Klaus Hemmerle ist durchaus nicht willkürlich: Die »Thesen zu einer trinitarischen Ontologie«, die Hemmerle 1976 zum 70. Geburtstag von Balthasars entwarf, nehmen dessen Grundsatz auf: »ohne Philosophie keine Theologie« (Theologik I,VII; zit. 20). »Denn ohne ein neues Nachdenken über die ›ontologische Struktur des weltlichen Seins‹ ist eine Theologik schlichtweg unmöglich« (29). Die kleine Schrift Hemmerles entfaltet eine trinitarische Ontologie als Phänomenologie der Liebe. Es ist Klaus Hemmerle, der in der vorliegenden Dissertation das letzte Wort behalten wird, indem er die »Nachfolge Christi im Raum der Kirche« als »Ernstfall trinitarischer Ontologie« präsentiert, gegründet in der »wunderbaren trinitarischen Lebensgemeinschaft« (428). Auch der Doktorvater erhält seinen Platz: Menkes Habilitationsschrift zum Thema »Stellvertretung« (Einsiedeln 1999) wird zur Auslegungshilfe für die Balthasarsche Kreuzestheologie, denn: »Für Balthasar ist ›Stellvertretung‹ ein Schlüsselbegriff christlichen Lebens und christlicher Theologie: ›gleichsam das »Scharnier« zwischen Heilsgeschichte, Trinitätslehre und Ontologie‹« (377).
Von Balthasar und Hemmerle, im Hintergrund Moltmann und Menke: Wie sich diese theologischen Entwürfe zueinander verhalten, bleibt weitgehend unreflektiert. Logik der Liebe – trinitarische Ontologie – Phänomenologie der Wahrheit – Verhältnis von Christologie und Pneumatologie – Freiheitsgeschehen zwischen Gott und Mensch: Die Fragen sind so vielfältig und so grundsätzlich, dass ein präzise nachvollziehbarer Gedankengang nicht zu erwarten ist. Dieser Mangel macht sich unmittelbar im Gang der Untersuchung bemerkbar: Das erste der zwei großen Hauptkapitel befasst sich mit der »Grundlage der Theologik: Eine Phänomenologie der Wahrheit« (41–230). Es folgt der Kapiteleinteilung der Theologik I, deren Seitenzahlen man in den Fußnoten gleichmäßig voranschreiten sieht. Der üblichen Versuchung in Arbeiten über von Balthasar wird dabei nicht widerstanden: Es bleibt bei einer Nacherzählung, die sich die Grundbegriffe und den Sprachduktus weitgehend unhinterfragt zu eigen macht. Warum nicht eigentlich gleich Band I der Theologik mit ihren 311 Seiten lesen? Und warum nur Band I und nicht auch die Bände II und III?


Kapitel II der Arbeit geht über zum »Gegenstand der Theologik: Jesus Christus und sein Kreuz« (231–400). Der Blick wird hier geöffnet auf das Gesamtwerk von Balthasars. Die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur tritt – überwiegend in den Anmerkungen – stärker hervor. Offenkundig möchte der Vf. zwei widerstrebende Tendenzen zusammenführen: Auf der einen Seite entzieht sich das Kreuzesgeschehen einer »formelhaft bzw. rein begrifflich erkennbare[n] Logik« (234) – auf der anderen Seite soll es als Ausdruck der Liebe Mitte einer Theologik werden, die ein göttlich-menschliches Spiel der Freiheit erfasst. Mit Hanspeter Heinz betrachtet der Vf. von Balthasars »Theologie nicht als eine systematische, sondern eher als eine Strukturtheologie« (252; vgl. 307 mit Anm. 813 f.). Ein »Epilog: Verortung und Reichweite einer theologischen Logik« (401–428) resümiert dasselbe Ergebnis: Christi »Kreuz entbehrt jeder durchschaubaren Logik und zugleich ersteht in ihm das Wunder der ›unaussprechlichen Logik‹ des Leben schaffenden Geistes göttlicher Liebe« (414).
Das Ergebnis der Arbeit lässt die Leser perplex zurück: Der Vf. zitiert von Balthasars Bilanz am Ende des zweiten Bandes der Theologik: »So scheinen wir mit dem Bisherigen erst eine Präambel gesetzt zu haben, und alle wirksame Durchhellung stünde noch bevor« (418). Dieser dritte Band der Theologik ist vorrangig der Pneumatologie gewidmet, um die es doch dem Vf. geht, und beginnt mit der programmatischen Frage: »Wie kommt der Geist in die Logik?« Von eben diesem Band jedoch erklärt der Vf. bereits in seiner Einleitung (31), dass er ihn aus der Untersuchung auszuklammern gedenkt. Warum? »In einem eigenen Kapitel dem Heiligen Geist selbst eine erkennbar eigene Gestalt bzw. eine identifizierbare Struktur zuweisen zu wollen, ist in der Interpretation der Theologik nicht ohne erhebliche theologische Probleme. Hier gilt die nachdrückliche Warnung und Feststellung von Balthasars: ›Theologie sollte sich hüten, dieses Mysterium des Geistes zu logisieren und schließlich durch endlose Distinktionen, die zu dessen Erhellung nichts beibringen, zu materialisieren‹« (31). Indirekt hat der Vf. die Problematik bei von Balthasar sehr richtig erspürt – allerdings ohne es selbst zu bemerken. Der philosophische Ansatz beim Gegenüber von Subjekt und Objekt, der sich bis zum dritten Band der Theologik durchhält, kommt nicht zu einer geistgewirkten Gestalt und kann nicht zu ihr gelangen, da sich das Subjekt der Objektivierung bzw. »Materialisierung« entziehen muss.
So ist die fragwürdige Feststellung des Vf.s in von Balthasars Perspektive konsequent: »Die Wahrheit einer trinitarischen Ontologie ist natürlich sachlogisch nicht im Leben und Zeugnis der Kirche begründet, sondern allein in der immanenten Trinität selbst wie sie sich in Jesus Christus als der unübertrefflichen Offenbarung Gottes auslegt« (423). Genauso bleibt es bei von Balthasar bei einer Ekklesiologie der Negation, ja bei einer negierten Ekklesiologie. Ohne Philosophie keine Theologie. Weil der Vf. die philosophischen Grundzüge der Theologie seines Autors nicht analysiert, bleibt ihm nur übrig, seine kritischen Ahnungen in pastoralem Ton vorzutragen: »Solche Art von Theologie ist pastoral schwer – vielleicht gar nicht – zu vermitteln, da sie immer schon beim Ganzen ihren Ausgang nimmt … Welche Wege öffnet sie dem Suchenden unserer Zeit?« (254 f.) Die »Theologik im Raum der Kirche« (423) muss letztlich an von Balthasar vorbei von Hemmerle »importiert« werden und täuscht eine harmonische Synthese vor, die es bei von Balthasar nicht gibt.