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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

313 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kinzig, Wolfram, u. Cornelia Kück [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Judentum und Christentum zwischen Konfrontation und Faszination. Ansätze zu einer neuen Beschreibung der jüdisch-christlichen Beziehungen. M. Beiträgen v. H. Assel, O. Bertrams, A. Detmers, G. K. Hasselhoff, O. Heilbronner, W. Kinzig, H. Löhr, D. Mendels, M. Schmidt, G. Veltri u. M. Zimmermann.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2002. 221 S. gr.8° = Judentum und Christentum, 11. Kart. € 22,00. ISBN 3-17-017593-9.

Rezensent:

Martin Vahrenhorst

»Wahr spricht, wer Schatten spricht« – diese Zeile von Paul Celan bringt das Programm des hier zu besprechenden Bandes auf den Punkt. Er sammelt Beiträge, die auf einem Symposium des in Bonn angesiedelten DFG-Projekts »Judentum – Christentum. Konstituierung und Differenzierung in Antike und Gegenwart« im Jahr 2001 gehalten wurden.
Alle Aufsätze, die einen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart schlagen, suchen die Grautöne und Schattierungen in den Beziehungen von Judentum und Christentum wahrzunehmen und so die vereinfachende und der Wirklichkeit nicht gerecht werdende Dichotomie von Anti- oder Philosemitismus zu überwinden.
Dieses Vorhaben beschreibt einführend Wolfram Kinzig: Die Forschung neige häufig dazu, Juden als Reagierende, Christen als Agierende in den Blick zu nehmen und das gegenseitige Verhältnis primär unter dem Paradigma von Diskriminierung und Verfolgung zu beschreiben. Demgegenüber sei die Wirklichkeit, wie sie aus den Quellen spreche, differenzierter. Hinter den Texten verberge sich immer eine soziale Realität, die man berücksichtigen müsse, um die Interaktion von Juden und Christen zu verstehen. So polemisiere Chrysostomos gegen Juden, weil seine christlichen Hörer einen »sehr entspannten« und unproblematischen Umgang mit ihren jüdischen Nachbarn gepflegt hätten (21). Manchmal habe es aber – wie bei Adolf von Harnack – gar keinen Kontakt zwischen Juden und Christen gegeben (23).
Den Reigen der Einzelstudien eröffnet Hermut Löhr, der den Dekalog in seiner Bedeutung für die Beziehungen von Juden und Gliedern der jesusgläubigen Gemeinden untersucht. Doron Mendels setzt das Programm des Bandes vorbildlich um und arbeitet heraus, dass die Beziehungen von Juden und Christen bis ins 4. Jh. hinein relativ freundlich waren. Das zeige sich, wenn man zwischen Autoritäten und einfachen Leuten unterscheide. Gesetze, Geschichtsschreibung und Synodenprotokolle ergäben dann ein differenziertes Bild (48 ff.).

Ins Mittelalter geleitet der Beitrag von Görge K. Hasselhoff, in dem sich interessante Beobachtungen zur Maimonidesrezeption bei Thomas von Aquin finden. Thomas zitiere Maimonides als Autorität in Fragen des Wortsinnes des Alten Testaments, grenze sich sonst aber kritisch von ihm ab. Von besonderer Bedeutung seien Aufnahmen maimonidischer Gedanken, die Thomas nicht ausdrücklich nachweist. Gerade in den Gottes beweisen seien sie besonders stark (62 f.). Bedauerlich, dass der Rahmen des Vortrages nicht Raum zur ausführlicheren Darstellung geboten hat. Achim Detmers sucht einen Weg zwischen den von Wallmann und Obermann markierten Forschungsalternativen zu den jüdisch-christlichen Beziehungen in der Reformationszeit. Der Blick auf politische Aspekte (Juden halten sich an den Kaiser als Schutzmacht) und innerreformatorische Kontroversen (Judenpolemik bezieht sich auf christliche Gegner) trägt hier zur Differenzierung ebenso bei wie der Hinweis, dass die brutalen Ausfälle des späten Luther bei anderen Reformatoren auf deutliche Kritik gestoßen sind (92).
Dass die jüdische Aufklärung ihre Wurzeln nicht in Deutschland, sondern im Norditalien der Renaissance habe, arbeitet
Giuseppe Veltri heraus. Schon Abravanel habe bei der Auslegung von Exodus 18 auf Venedig als den Ort verwiesen, an dem das, was dort stehe, verwirklicht sei, und Simone Luzzato habe einen Plan zur Rettung der im Niedergang befindlichen Serenissima entworfen, bei dem die Juden als integraler Teil der gesamten Gesellschaft erschienen (108 ff.).
Wie verschwommen die Grenzen zwischen judenfreundlicher und judenfeindlicher Haltung sein können, demonstriert
Oliver Bertrams anhand ausgewählter Reaktionen von Theologen der Neologie auf den Vorschlag, den Juden die vollen bürgerlichen Rechte in Preußen einzuräumen (1871). Hier gehen an tijüdische Klischees (Judentum als Verfallserscheinung) mit Aussagen, die eine Gleichstellung bejahen, Hand in Hand. Differenziert erscheint auch die jüdische Wahrnehmung des Christentums bis hin zu einer »religio reformata innerhalb der ›altjüdischen Religion‹« (130 f.). Ähnlich verworren gestaltet sich das Verhältnis von Antisemitismus und Zionismus, waren es doch oft Antisemiten, die es begrüßten, dass die Juden sich in Palästina ansiedeln wollten, während die in Palästina wirkenden protestantischen deutschen Gemeinschaften aus antijüdischen Ressentiments heraus besonders nach 1933 (es gab NSDAP-Ortsgruppen in Palästina) die Ansiedlung der Juden dort ablehnten.
Eine dogmatische Verhältnisbestimmung von Juden und Christen als notwendiges Gegenüber in der Partizipation am Gottesdienst der Engel unternimmt
Heinrich Assel.
Der Gegenwart widmen sich
Matthias Schmidt, der u. a. den Papstbesuch (2000) auf seine politische Dimension hin befragt, und Moshe Zimmermann, dessen Rekonstruktion jüdischer Selbstdefinitionen zwischen Religion, Konfession, Nation und Shoah den Band mit einem kritischen Ausblick auf die Allianz von Juden und Christen in der Koalition gegen den Islam beschließt.

Die Beiträge des sehr lesenswerten Bandes bestätigen das eingangs beschriebene Programm und zeigen, dass die Wirklichkeit jüdisch-christlichen Mit- und Gegeneinanders nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch viele Graustufen kennt. Bei aller Differenziertheit lassen sie aber auch erkennen, dass die dunklen Töne im Gesamtbild überwiegen.