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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

307–309

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Berg, Christian

Titel/Untertitel:

Theologie im technologischen Zeitalter. Das Werk Ian Barbours als Beitrag zur Verhältnisbestimmung von Theologie zu Naturwissenschaft und Technik.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2002. 352 S. gr.8° = Forum Systematik, 18. Kart. € 34,80. ISBN 3-17-017623-4.

Rezensent:

Christian Schwarke

Der Dialog zwischen den Naturwissenschaften und der Theologie hat im letzten Drittel des 20. Jh.s in der deutschsprachigen Theologie eine eher untergeordnete Rolle gespielt. In den letzten Jahren sind jedoch eine Reihe von Einführungen (McGrath 2001, Polkinghorne 2001) und weitere Veröffentlichungen zum Thema erschienen, die darauf deuten, dass das Thema wieder an Bedeutung gewinnt. In diesen Trend fallen auch die Übersetzungen von Werken dreier Forscher aus dem angelsächsischen Raum, die in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s den Dialog dort bestimmt haben: John Polkingorne (2000), Arthur Peacocke (1998) und Ian Barbour (2003). Barbour ist nun in der Heidelberger Dissertation von Christian Berg zum Gegenstand einer gründlichen Analyse geworden. Gleich zu Beginn zeichnet B. dabei ein differenziertes Bild Barbours: Auf der einen Seite gilt er diesseits wie jenseits des Atlantiks als einer der Wegbereiter des Dialogs, auf der anderen Seite erscheinen die Begriffe und Anschauungen Barbours heute oft unpräzise, seine Themenbehandlung bisweilen oberflächlich und seine Lösungen nicht tragfähig.
Nach einer Einleitung (Kapitel 1), die Barbour in den Kontext der Diskussion zwischen den Naturwissenschaften und der Theologie stellt, gibt B. einen historischen Überblick über das Werk des Amerikaners (Kapitel 2). Wie Peacocke und Polkinghorne gehört Barbour (*1923) zu den Forschern, die zunächst als Naturwissenschaftler gearbeitet haben und erst danach zur Theologie fanden. Barbour und Polkinghorne sind Physiker, Peacocke ist Biochemiker. Neben anderen Faktoren bestimmt dieser biographische Horizont eine Tendenz im Werk der drei Autoren, die vermeintliche Gegenüberstellung der Disziplinen zu überwinden. Es geht um die (Wieder-)Herstellung einer kognitiven Konsonanz. Wie B. im weiteren Verlauf der Arbeit herausarbeitet, führt dies bei Barbour zu einer einseitigen Betonung der Gemeinsamkeiten zwischen der Naturwissenschaft und der Theologie. Dabei werden Unterschiede vernachlässigt und die Theologie wird letztlich auf Kosten ihrer eigenen Logik zu stark unter die Bedingungen der Naturwissenschaft gepresst. Im Verlauf der historischen Darstellung geht B. auf die Einflüsse ein, die Teilhard de Chardin und Whitehead auf Barbour ausübten, und zeichnet die Veränderungen in Barbours Konzeption nach. Zu den breit rezipierten Anteilen im Werk Barbours gehört eine Klassifizierung der möglichen Verhältnisbestimmungen zwischen den beiden »Kulturen«. B. zeigt, wie Barbour von einer anfänglichen Anlehnung an H. R. Niebuhrs Typologie in »Christ and Culture« (1951) zu einer eigenständigen Konzeption gelangt (Konflikt, Unabhängigkeit, Dialog, Integration) und von der Annahme einer »Komplementarität« der Disziplinen zur Forderung nach einer Integration fortschreitet.
Die folgenden drei Hauptkapitel des Buches greifen drei zentrale Aspekte aus dem Werk Barbours auf und unterziehen sie einer differenzierten, kritischen Analyse. Zunächst geht es um die Methodik der Wissenschaften (Kapitel 3). Barbour hatte 1974 unter dem Titel »Myths, Models and Paradigms« ein Werk vor gelegt, dass sich insbesondere der Frage zuwandte, welche Methoden die Wissenschaften auf ihre Erkenntnissuche verfolgen. Entsprechend einer damaligen Strömung der Relativierung wissenschaftlicher Absolutheitsansprüche hatte Barbour versucht, Naturwissenschaft und Theologie als jeweils gleichermaßen da ten- und theoriegeleitet zu verstehen. B. kritisiert hier insbesondere, dass Barbour dem Charakter religiöser Erfahrung mit der Vorstellung der »Daten« nicht gerecht werde und zudem die Offenbarungsdimension religiöser Erkenntnis nicht angemessen berücksichtige.
Das 4. Kapitel untersucht Barbours Verhältnisbestimmung der Wissenschaften im Blick auf die Inhalte am Beispiel des Umgangs mit den Begriffen »Natur« und »Schöpfung«. B. unterzieht dabei den Versuch Barbours, eine Integration der Bereiche zu entwickeln, einer ausführlichen Kritik. Zwei Aspekte sind für diese Kritik zentral. Erstens entferne sich die an der Prozessphilosophie Whiteheads angelehnte Konzeption deutlich von den Grundlagen des christlichen Glaubens, so dass am Ende zwar etwas Religiöses, nicht aber der Gott der Bibel gemeint sein könne. Zweitens misslinge Barbour die angestrebte Integration, weil er dem naturwissenschaftlichen Denken verhaftet bleibe und die Theologie nicht in derselben Tiefe verarbeite wie die Naturwissenschaft. Barbours Integration gehe »in der Regel auf Kosten theologischer Überzeugungen« (244). Dieser Befund, der mit einer Fülle scharfsinniger Beobachtungen zum Werk Barbours untermauert wird, steht den Intentionen Barbours gewiss entgegen. Und sein Zustandekommen basiert zum Teil auf einer »kontinentalen« Interpretation amerikanischer Theologie und auf einer sehr bestimmten Vorstellung davon, wie die Grundfesten theologischer Theorie beschaffen seien. Dennoch wird durch B.s Analyse eine Reihe von Schwachpunkten einer Integrationstheorie deutlich, die über den konkreten Versuch Barbours hinausweisen.
Das 5. Kapitel wendet sich dann der Ethik zu, die Barbour insbesondere im zweiten Teil seiner Gifford Lectures »Ethics in an Age of Technology« (1993) behandelt hatte. Auch hier wird der integrative Zug in Barbours Denken deutlich, insofern er deontologische und teleologische Momente der Ethik gleichermaßen nutzen möchte. Wiederum kritisiert B., dass Barbours Aussagen der Frage nach logischer Konsistenz nicht immer standhalten und dass spezifisch christliche Akzente in Barbours Konzeption vernachlässigt werden.
Zusammenfassend sieht B. die Leistung Barbours darin, das Feld zwischen den Naturwissenschaften und der Theologie systematisiert zu haben. Es gehe um je eigene »Zugänge zur Wirklichkeit«, »Aspekte der Wirklichkeit« und die »Gestaltung von Wirklichkeit« (332).

Obgleich B. dem Œuvre Barbours attestiert, dass es zahlreiche »Anregungen« für den Dialog biete, bleibt am Ende der Lektüre der Eindruck, dass die Arbeit ihr Objekt in die Abteilung »Geschichte« eingestellt hat. In der Tat scheint das Zeitalter der Klassifizierungen in der Science & Theology Community vorbei zu sein. Und kognitive Dissonanzen scheinen immer weniger Menschen zu beunruhigen, so dass sich Integrationsversuche zwischen den Wissenschaften möglicherweise in der Gegenwart erübrigen. Es ist das Verdienst der vorliegenden Arbeit, dem deutschsprachigen Publikum einen der Gründerväter des Dialogs zwischen den Naturwissenschaften und der Theologie nahe zu bringen und gleichzeitig die immanenten Probleme dieses Ansatzes vor Augen zu führen.