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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

302–304

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Weichenhan, Michael

Titel/Untertitel:

»Ergo perit coelum …«. Die Supernova des Jahres 1572 und die Überwindung der aristotelischen Kosmologie.

Verlag:

Stuttgart: Steiner 2004. 688 S. m. 2 Abb. gr.8° = Boethius, 49. Geb. € 76,00. ISBN 3-515-08374-X.

Rezensent:

Volker Leppin

Im Jahr 1572 erschien am Himmel über Europa eine Supernova, ein bislang unbekannter Stern, der die Zeitgenossen in Aufruhr brachte: Astronomische Theorien wurden nachhaltig irritiert, apokalyptische Weltwahrnehmungen ebenso nachhaltig inspiriert. Das Himmelsphänomen wurde offenbar rasch überall bekannt, jedenfalls verwiesen zahlreiche Flugschriftenautoren immer wieder auf dieses Phänomen und setzten dabei bei den Zeitgenossen seine Bekanntheit voraus.
Michael Weichenhan hat sich der Mühe unterzogen, die Bedeutung dieser Erscheinung in verschiedenen Diskursen nachzuzeichnen. Mit welcher Gründlichkeit er hier vorgegangen ist, lässt der Hinweis im Vorwort erahnen, dass die vorliegenden fast 700 eng bedruckten Seiten eine um ein Drittel (!) gekürzte Berliner Dissertation darstellen. Dem Umfang entsprechend kann eine Rezension wie die vorliegende nur ganz wenige Akzente hervorheben.
Das Buch beruht auf zwei Teilen: einem diachronen, der den Umbau der Astronomie im Übergang vom 16. zum 17. Jh. unter anderem auf Grund solcher Astralphänomene nachzeichnet, und einem synchronen, der die verschiedenen Reaktionen auf die nova stella von 1572 zusammenstellt und eingehend interpretiert. Die grundlegend neue Erkenntnis, zu der die Astronomie auf Grund der novae stellae kommt, ist die Einsicht, dass die aristotelische Behauptung, Veränderungen kämen nur im sublunaren Bereich vor, nicht aber in den festen Sphären jenseits des Mondes, nicht zu halten ist. Diese Diskussion stellt W. in einem breiten Bogen dar, der von einer Analyse der entsprechenden Äußerungen des Aristoteles selbst über die scholastische Physik und Astronomie bis hin zur Diskussion des 16. und 17. Jh.s reicht – den Schlusspunkt setzt Descartes. Besondere Aufmerksamkeit gilt innerhalb dieses philosophiehistorisch um fassenden Durchlaufs durch die Zeiten dem Paduaner Mediziner und Philosophen Fortunio Liceti (1577–1657), der 1622 ein Buch über die neuen Sterne vorgelegt hat, in dem er sich bemühte, die überraschenden Astralphänomene einer Deutung zuzuführen, die Aristoteles zwar modifizierte, nicht aber grundsätzlich widerlegte. W. spricht hier von einem »Reformaristotelismus« – ein wohlwollender Begriff, der sich einer sensiblen Interpretation verdankt, die zeigt, dass es Liceti darum ging, Aristoteles nicht umzuformen, sondern die gegen ihn gerichteten Korrekturen eines Brahe oder eines Kepler als ihren Gegenstand verfehlend zu erweisen, insofern Aristoteles selbst gar keine völlige Unveränderlichkeit der Himmelsmaterie gelehrt habe. Gegenüber diesem Reformaristoteliker erscheint dann in interessanter Verkehrung gängiger Schemata zur Interpretation des Weges in die moderne Naturwissenschaft Galilei als Autor, der die Höhe seiner Zeit verfehlt, indem er die Berechnung Brahes, dass Kometen sich oberhalb des Mondes befänden, schlicht bestreitet und in diesem Zusammenhang dann oft »peinlich und rätselhaft« argumentiert (267).
Lesen sich schon diese wohltuend irritierenden Darlegungen auch in ihrer Freude am philosophischen Detail ausgesprochen erfrischend, so richtet sich das besondere Augenmerk aus theologie- und kirchenhistorischer Sicht naheliegenderweise auf den zweiten Teil der Arbeit, der die zeitgenössischen Deutungshorizonte des neuen Sterns von 1572 aufarbeitet. Es handelt sich im Wesentlichen um zwei Deutungsformen: die nova stella als Komet einerseits, als Stern andererseits. Die Deutung als Komet führt in das weite Feld astrologischer und theologischer Prodigienliteratur. Überzeugend arbeitet W. dabei eine spezifische Wittenberger Deutungsform heraus, die gerade die im aristotelischen Sinne gegebene Unregelmäßigkeit der als Komet identifizierten Erscheinung zum Anlass nahm, sie als Zeichen des nahen Endes zu verstehen – maßgeblich für diese Interpretation ist Melanchthons Schwiegersohn Kaspar Peucer (477–482).
Solche apokalyptischen Interpretationen sind auch in den Deutungskontexten möglich, die das unbekannte und daher erst noch kategorial zu erfassende Phänomen (s. hierzu die schönen theoretischen Überlegungen, 525–531) als Stern einordneten. Entscheidend wird aber in diesem Zusammenhang, dass der Weg zur »Auflösung der Fixsternsphäre« (563) eingeschlagen wird. Und so gipfelt dieses Kapitel in der Darstellung der Position Tycho Brahes, dessen Erneuerung der Astronomie in eine Reihe mit den Leistungen eines Kopernikus, eines Kepler, Galilei oder Newton gestellt wird (591). In seiner Darstellung gewinnt gewissermaßen im Rückblick auch der astronomiehistorische erste Teil seine eigentliche, dort stets vorausgesetzte, aber nur gelegentlich ausführlicher angeführte (s. 325–331) Mitte, durch die erst die Entwicklungen eines Giordano Bruno oder eines René Descartes verständlich werden: Tycho Brahe, den auch das Register als den deutlich meistzitierten Denker ausweist. Er gewinnt dem Ereignis von 1572 – und einigen anderen novae stellae und Kometen– Erkenntnisse ab, die ihm helfen, einen nacharistotelischen Himmel zu entwerfen und damit der neuen Astronomie die Bahn zu ebnen. Er ist hierzu gerade in der Lage, weil er sich von tradierten Formen der Deutung astraler Phänomene als Zeichen löst und der nova stella als singulärem und daher besonderer Beobachtung zugänglichen Objekt einen dezidiert »wissenschaftsgeschichtlichen« Ort zu weist (593) – gerade darin bricht er den theologischen Diskurs, auf den er sich in seinen Schriften durchaus immer wieder bezieht.
W.s Werk, das mit dem in dieser Weise exponierten Brahe um einen eigenen Helden kreist, ist von stupender Gelehrsamkeit. Der begrenzende Untertitel verstellt den Blick dafür, dass hier über weite Strecken eine Einführung in die astronomische Diskussion des Mittelalters und der Frühen Neuzeit gegeben und ein Entwurf zum Verständnis ihrer Entwicklung geboten wird. Für theologische Debatten des 16. Jh.s um die Bedeutung des Sternenhimmels als Medium, durch das Gott den Menschen zeichenhaft seinen Willen kundgibt, sind dies oft ganz selbstverständliche Hintergründe – und W. hilft dazu, dass man auch als Theologiehistoriker diese Selbstverständlichkeiten rekonstruieren kann. Aber das ist nur ein höchst willkommener Nebeneffekt einer Dissertation, die vorbehaltlos als Opus magnum anzusprechen ist.