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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

295–297

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Burkhardt, Friedemann

Titel/Untertitel:

Christoph Gottlob Müller und die Anfänge des Methodismus in Deutschland.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003. 464 S. m. Tab. gr.8° = Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, 43. Geb. € 79,00. ISBN 3-525-55828-7.

Rezensent:

Karl Heinz Voigt

Christoph Gottlob Müller (1785–1858) ist der Gründer des Wesleyanischen Methodismus in Württemberg. Der methodistische Pastor Friedemann Burkhardt hat Müllers Leben und Wirken in der ihm eigenen Gründlichkeit erforscht. Das Ergebnis wurde von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen.
B. entfaltet in Verbindung mit der Person Ch. G. Müllers die Arbeit und Wirkung des von England kommenden Wesleyanischen Methodismus und stellt ihn in eine neue Beziehung zu anderen methodistischen Missionen, insbesondere der Bischöflichen Methodistenkirche, die durch Rückwanderer aus Amerika 1849 von Bremen aus zu wirken begann. Die Arbeit B.s ist in drei Teile mit neun Kapiteln gegliedert. Teil 1 (29–97; 1785–1806) behandelt unter »Herkunft und Prägung in Württemberg« im 1. Kapitel den Pietismus mit Christentumsgesellschaft und Herrnhutern unter besonderer Berücksichtigung des Dekanats Waiblingen, zu dem Winnenden – der Geburts- und Wirkungsort Müllers – gehört. Kapitel 2 erhebt die Kindheit und Jugend im kirchlichen und sozialen Kontext. Teil 2 (101–203; 1806–1831) umfasst in drei Kapiteln »fünfundzwanzig Jahre Leben und Wirken im Londoner Methodismus«, die als Grundlage für das spätere Wirken in Württemberg untersucht werden.
Die Mitarbeit Müllers in einer methodistischen Gemeinde zeigt die typischen theologischen und strukturellen Akzente. Ein Kapitel umfasst einen Besuch von 1830 in der Heimat, der zum Anlass seiner Rückkehr wurde. Teil 3 (207–407; 1831–1858) entfaltet das Wirken Müllers als »Wesleyanischer Missionar in Deutschland«. Es geht ein auf das schwierige Wirken, die Bedeutung Müllers, den Anfang des Wesleyanischen Methodismus in Württemberg und die Wirkung methodistischer Frömmigkeit, die sich vom württembergischen Pietismus abhob. Es werden Akzente von Müllers methodistischer Theologie dargestellt. Die für die methodistischen Kirchen typischen internationalen Verbindungen werden in mehrere Richtungen auf gezeigt; besonders nach England und zum deutschsprachigen Kirchenzweig unter den Einwanderern in Amerika. Neu ist die Aufarbeitung der positiven Rolle der Frau. Im Unterschied zur Erweckung in Deutschland wurde auch die 1848er Revolution positiv erlebt, weil man Religionsfreiheit erwartete. Der Wesleyanische Methodismus blieb nach dem Tode Müllers 1858 in Verbindung mit der Wesleyan Methodist Missionary Society und fand, nachdem 1872 in Württemberg ein »Dissidentengesetz« in Kraft trat, den Weg zur autonomen Kirche. Bis dahin hatten die Wesleyaner bewusst als innerlandeskirchliche Gemeinschaftsbewegung mit methodistischem Profil in ökumenischer Rücksichtnahme gewirkt. Es folgen die Zusammenfassung (407–416), einige Tabellen und Register.
Die anregende Arbeit B.s zeigt erneut, dass in den traditionell regionalen Darstellungen zwar viel zu den Erweckungsbewegungen vermittelt wird, sie aber ohne die internationalen Beziehungen kaum angemessen zu bewerten sind. Wie wenig interkonfessioneller und interkultureller Transfer in den geschlossenen Territorialkirchen möglich war, wird in der Studie deutlich. Manchmal entsteht allerdings der Eindruck, als würden frühere Negativ-Erfahrungen geglättet. Kann man wirklich das württembergische Pietistenreskript nur positiv bewerten und die damit ursprünglich angestrebte Eingrenzung in überwachte Konventikel verdrängen? Dagegen ist die dem Methodismus eigene ökumenische Offenheit durch gehend zu erkennen. Theodor Fliedners erste Kaiserswerther Diakonissen z. B. kamen aus der Wesleyanischen Gemeinschaft Müllers und Müllers Tochter heiratete einen ausgereisten, ihr unbekannten Basler Missionar.
Über 40 Jahre gingen die Wesleyaner in die Parochialkirchen zum Gottesdienst, auch um dort Abendmahl und Taufe zu empfangen. Beides gab es in den methodistischen Gemeinschaften nicht. Die Wesleyaner wollten nicht gegen die Landeskirche, sondern mit ihr missionarisch wirken. Es wird nicht gefragt, warum angesichts der innerlandeskirchlichen Positionierung die Wesleyaner nicht neben Altpietisten, Michelianern, Pregizerianern und der Korntaler Gemeinschaft ihren Ort in der landeskirchlichen Geschichte Württembergs gefunden haben. Solche ökumenischen Fragestellungen lagen von Anfang an außerhalb des Blickfelds. B. will als sein »zentrales Anliegen« zeigen, »… wie es Christoph Gottlob Müller als erstem gelang, methodistische Frömmigkeit in Deutschland nachhaltig zu beheimaten, dass von ihm auch der entscheidende Anstoß für die Aufnahme späterer nordamerikanischer methodistischer Missionen in Deutschland ausging und wie sein Leben und Wirken beispielhaft sind für den Protestantismus als eine internationale Bewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts« (5).
Mit diesem Ziel vor Augen entwirft B. neue Bilder, die der weiteren Diskussion bedürfen. Einige sollen angedeutet werden: 1. Fast ist Müller nicht mehr der Laienzeuge, der von Beruf Metzger war, am Rande von London die Metzgerei seines Schwiegervaters führte und der in Winnenden vor seinen Predigtwanderungen auf dem Feld »schaffte«, womit er Respekt bei seinen einfachen Zuhörern gewann. 2. Das Phänomen der missionarischen Rückwanderung in verschiedene europäische Staaten ist zu komplex, als dass es sich auf Anstöße aus Winnenden reduzieren ließe. 3. B. weist die für Müllers Gemeinschaften oft wiederholte Formel, sie seien »pietistische Gemeinschaften mit methodistischem Anstrich«, zurück. Leider setzt er sich nicht mit dem Ursprung dieser Bewertung durch John Lyth als einem Zeitzeugen, der als ein Nachfolger Müllers die Arbeit kannte, auseinander und blendet aus, dass dieses Zitat sich seit den frühesten wesleyanischen Selbstdarstellungen wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht. 4. Die eigens in einem Exkurs entfaltete These von der Herausgabe von Wesleypredigten als »Höhepunkt der Müllerschen Schriftenmission« (343–351) folgt dem zentralen Anliegen B.s, lässt sich aber nicht halten. Diese Predigten wurden von Wilhelm Nast übersetzt und von ihm in Berlin zum Druck gebracht (Nast schrieb am 26. April 1845 aus Berlin nach London: »I have translated the following 12 sermons …«). 5. Der Wechsel von der im 19. Jh. offiziellen Selbstbezeichnung »Wesleyanische Methodistengemeinschaft« in »Gemeinschaftsbund« ist, weil ohne Begründung, irritierend.
Für die weitere Diskussion enthält die Arbeit aus bewusst württembergischer Perspektive einige weitere Anfragen, z. B. ist zu klären, ob eine »Anerkennung als Gemeinschaft innerhalb der Landeskirche« (253) wirklich erfolgt ist oder ob es sich um eine staatliche Duldung durch eine Kreisregierung handelte, die keine landeskirchliche Sympathie begründete.
Die äußerst anregende Arbeit gibt viele Einblicke in das Ringen und Werden einer landeskirchen-unabhängigen, aber landeskirchen-freundlichen Erweckung in vorökumenischer Zeit. Die Frage der gegenseitigen Wahrnehmung war leider nicht Gegenstand der Untersuchung. Sehr erfreulich ist, dass der Beitrag in der Reihe Arbeiten zur Geschichte des Pietismus (AGP) er scheinen konnte.