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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

291–293

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Näf, Beat

Titel/Untertitel:

Traum und Traumdeutung im Altertum.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004. 244 S. m. Abb. 8°. Geb. € 34,90. ISBN 3-534-17998-6.

Rezensent:

Ulrich Volp

Träume haben Konjunktur. Wer sich in die Esoterikabteilungen einschlägiger Buchhandlungen begibt, entdeckt dort große Mengen an Ratgebern, die mit Versprechungen wie diesen locke n: »Schöpferisch träumen«, »Wie Sie im Schlaf das Leben meistern«, »Wie man mit Träumen sein Leben gestalten kann«, »Wie man die Macht der Träume für sich, für seine Ziele einsetzen kann« (aus aktuellen Klappentexten). Ein per Zeitmaschine in eine deutsche Buchhandlung des Jahres 2006 versetzter antiker Römer würde sich hier sofort zurechtfinden, denn Traumdeutungen hatten in der Antike einen hohen Stellenwert. Wenn Scipio oder Konstantin sich vor einer wichtigen Schlacht auf die göttliche Autorität eines Traumes beriefen, dann trat die Traumdeutung als gewichtige Autorität auf die politische Bühne. Nicht nur die alttestamentliche Josephsgeschichte (vgl. die demnächst erscheinende Bonner Dissertation von Jörg Lanckau), sondern auch die Traumerzählungen bei Homer oder in der griechischen Geschichtsschreibung waren in der Antike selbstverständliche Teile der Literatur und Kultur. Beat Näfs neues Buch über den Traum und die Traumdeutung im Altertum versucht, auf knappem Raum einen Überblick über dieses Phänomen zu geben, was für Althistoriker in den letzten 100 bis 150 Jahren nicht immer ein selbstverständliches Anliegen gewesen ist. Dass die klassischen Arbeiten von Büchsenschütz (1868) und Bouché-Leclerq (1879–82) 100 Jahre nach ihrem jeweiligen Erscheinen nachgedruckt wurden, weil sie bis dahin durch nichts Aktuelleres ersetzt worden waren, sagt bereits alles über die Forschungslage. Erst seit dem Ende der 1990er Jahre ist wieder ein verstärktes Interesse an diesen zahlreichen und für unser Verständnis der Antike so wichtigen Quellen zu beobachten (vgl. etwa Beate Pongratz-Leisten, Herrschaftswissen in Mesopotamien, Helsinki 1999; Gregor Weber, Kaiser, Träume und Visionen, Stuttgart 2000; Christine Walde, Die Traumdarstellung in der griechisch-römischen Dichtung, Leipzig 2001; dies., Antike Traumdeutung, Düsseldorf 2001).
N.s Arbeit unterscheidet sich von anderen Studien vor allem durch den ganz dezidiert ergriffenen Blickwinkel des Althistorikers und die Größe des behandelten Zeitraums. Er konzentriert sich auf sozio-politische und kulturelle Kontexte der Traumdeutung, auf Fälle von Machtausübung und Machtmissbrauch durch die antike Traummantik. In diesem Zusammenhang legt er beispielsweise ein besonderes Interesse an den Träumen in der Darstellung der antiken Geschichtsschreibung an den Tag, die trotz ihrer manchmal erstaunlich modern anmutenden Objektivitätskriterien (Thukydides) den positivistischen Blickwinkel des späten 19. und frühen 20. Jh.s zum Wahrheitsgehalt von Träumen ganz und gar nicht teilte. Im gleichen Atemzug tritt in N.s Analysen der antiken Traumgeschichten deren literarische Funktion für die jeweilige Quelle häufig ganz zurück – manchmal vielleicht sogar etwas zu sehr, wie etwa das Beispiel der Josephsgeschichte zeigt. Wem dies zu weit geht, der wird nach wie vor dankbar auf die genannten, viel stärker philologisch und literarisch denkenden Arbeiten von Walde zurückgreifen.
Man würde angesichts der Kürze des Buches und der Expertise N.s erwarten, dass er sich vielleicht auf Traumdeutungsliteratur der klassischen gräco-römischen Antike beschränkte. Tatsächlich erschließt er dem Leser ein vielfältiges kulturelles Traumdeutungsuniversum, das vom Alten Orient des 3. Jt.s über das frühe und mittelalterliche Christentum und weiter über Renaissance und Humanismus bis in das Arbeitszimmer von Sigmund Freud reicht. Für Theologen sind sicher die Abschnitte über die jüdische Apokalpytik und das antike Christentum von größtem Interesse. An dieser Stelle werden die Schwierigkeiten eines solchen – notwendigerweise – punktuellen und exemplarischen Vorgehens N.s besonders deutlich. Bei der besprochenen Traumliteratur der Patristik handelt es sich um eine sehr selektive Auswahl, die gleichwohl deutlich macht, wie wichtig diese Themen für die Alte Kirche waren und wie hoch der Forschungsbedarf hier noch ist. Für genaue Differenzierungen bleibt zwangsläufig wenig Raum: Westliche und östliche Traumerzählungen mit teilweise sehr unterschiedlichen theologischen und literarischen Hintergründen stehen recht unverbunden nebeneinander, und auch das, was man unter »Traum« und »Traumdeutung« genau zu verstehen hat, ist häufig etwas sehr Unterschiedliches. Pagane Inkubationstechniken aus dem Asklepioskult und Märtyrerverehrung etwa geraten so in eine Nähe zueinander, wie man sie in der Forschung schon lange nicht mehr beobachten konnte.
Der Vorteil dieser – im übrigen spannend und griffig geschriebenen – Darstellung liegt freilich darin, dass sie zu kreativem Denken anregt und Texte und Sachverhalte nebeneinander stellt, die in der Vergangenheit von der spezialisierten Forschung schon zu oft isoliert betrachtet worden sind. Mit der methodischen Zusammenfassung in seiner Einleitung einerseits (leider wohl auch auf Grund der Knappheit nicht immer umgesetzt) und der wirkungsgeschichtlichen Betrachtung des letzten Kapitels andererseits bietet das Buch für jede weitere Forschung wertvolle Grundlagen im Blick auf den Verstehenshorizont und die Verstehensmöglichkeiten moderner Exegese antiker Traumquellen. Dennoch verdeutlicht N.s Studie den dringenden Bedarf nach weiteren Untersuchungen gerade im Hinblick auf die altkirchlichen Texte, damit wir das Phänomen von Traum und Traumdeutung in der Alten Kirche und seine Bedeutung für die Entwicklung des christlichen Denkens wirklich zu verstehen beginnen können.