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Ausgabe:

März/2006

Spalte:

290 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Drijvers, Jan Willem

Titel/Untertitel:

Cyril of Jerusalem: Bishop and City.

Verlag:

Leiden-Boston: Brill 2004. XVI, 214 S. m. Abb. gr. 8° = Supplements to Vigiliae Christianae, 72. Geb. € 92,00. ISBN 90-04-13986-9.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Das vorliegende Buch will nach eigener Aussage keine Kyrill-Biographie, sondern eine Arbeit über Kyrill und Jerusalem sein (XI) und stellt es sich zur Aufgabe, die Entwicklung der Stadt während und anhand von Kyrills Episkopat (350–387) herauszuarbeiten. Dabei soll die Arbeit die relativ günstige Forschungslage im Bereich der Theologie und der Liturgiegeschichte durch einen stärker historisch (XI) bzw. sozialgeschichtlich (97) orientierten Ansatz ergänzen helfen.
Der Vf. bearbeitet die selbst gestellte Aufgabe in sechs Kapiteln, deren erstes die Entwicklung bis ins 4. Jh. und im 4. Jh. zu sammenfassend referiert. Die soziale und religiöse Vielfalt und auch Vitalität der Stadt in nachkonstantinischer Zeit kommt hier gut zum Vorschein (29 f.). Im zweiten Kapitel werden die relativ wenigen Quellenhinweise auf die Biographie Kyrills zusammengetragen und der Inhalt, die Authentizität und die Überlieferung der ihm zugeschriebenen Werke geklärt (31–63); wirklich Neues ergibt sich hierbei freilich nicht. Kapitel 3 er öffnet einen guten Einblick in das Leben der Christen in der Stadt und in die Jerusalemer Liturgie (65–96); die Aufgaben des Bischofs werden hierbei besonders berücksichtigt. In Kapitel 4 wird der Faden der Frage nach der religiösen Vielfalt in der Stadt noch einmal aufgenommen und durch eine gründliche Analyse der einschlägigen Spuren in den Mystagogischen Katechesen zu einem eindrucksvollen, geschlossenen Bild zusammengewoben (97–125): Neben der seit längerem bekannten Tatsache, dass die paganen Kulte weit über die Mitte des 4. Jh.s hinaus eine dominierende Rolle spielten und auch Christen in beträchtlicher Zahl zu attrahieren vermochten, macht der Vf. auch auf die besondere Bedeutung des Manichäismus und des sich selbst als christlich verstehenden Gnostizismus aufmerksam. Hingegen ist die Bedeutung der Juden für die Stadt Jerusalem in jener Zeit schwierig zu beurteilen: Der Vf. weist auf die Forschung der letzten 20 Jahre hin, die eine hohe Vitalität des Judentums in Palästina nachgewiesen hat, räumt aber zugleich mit Recht ein, dass die Quellenlage für die Stadt Jerusalem schwierig ist und Projektionen etwa von der Situation in Caesarea auf die in Jerusalem methodisch problematisch sind (119–122); freilich verhält es sich so, dass in Kyrills Katechesen grundsätzliche religiöse Konkurrenzlagen zwischen Juden und Christen immer wieder aufscheinen. Kapitel 5 befasst sich mit der schwierigen Frage nach den offensichtlich gegen die Wünsche der Christen gerichteten Plänen eines Wiederaufbaus des Jerusalemer Tempels in der Regierungszeit des »Apostaten« Julian. Das hierfür wichtige, erst 1970 aufgefundene, syrisch überlieferte, Kyrill zugeschriebene Schreiben »Über den Wiederaufbau des Tempels« (ms. Harvard Syriac 99) dürfte sich nicht Kyrill selbst verdanken, es kann aber möglicherweise edessinischen christlichen Milieus um das Jahr 400 herum zugeordnet werden, denen die Jerusalemer (und damit kyrillischen) Traditionen der antijüdischen Polemik gegen den Wiederaufbau des Tempels vertraut waren und die diese mit der postumen Zuschreibung an Kyrill noch verstärkten (152). Kapitel 6 hat zusammenfassenden Charakter und zeigt, wie sehr das Episkopat Kyrills als eine Phase der expliziten Förderung Jerusalems und seiner Bedeutung sowohl im Reich als auch vor allem für die Christen anzusprechen ist, die die Stadt jetzt als ihr religiöses Zentrum (wieder)entdeckten, sie ausbauten, die Wallfahrten dorthin massiv förderten und eine enge Bindung eigentlich sämtlicher Christen an diesen für die Geschichte der christlichen Religion so zentral wichtigen Ort zu erreichen suchten.
Das Buch bietet drei Appendizes, deren erster zum Thema »Kyrill und der Arianismus« bedauerlicherweise die gesamte dogmengeschichtliche Forschung der letzten 20 Jahre nicht nur im deutschsprachigen Raum völlig ignoriert und weiterhin unbedarft von »Arianern« und »Orthodoxen« spricht. Der zweite gibt eine Übersicht über das gottesdienstliche Geschehen in Jerusalem zur Zeit Kyrills auf Basis des Itinerariums der Egeria und des Armenischen Lektionars. Der dritte bietet eine willkommene englische Übersetzung des Kyrill zugeschriebenen Briefes über die Frage nach dem Wiederaufbau des Tempels. Das Literaturverzeichnis und der Apparat lassen auf einen manchmal eher eklektischen Umgang mit den Erzeugnissen der jüngeren Forschung schließen. Sieht man vom Ignorieren der »Arianismusforschung« einmal ab, hätten z. B. sowohl zu den Mystagogischen Katechesen als auch zu der immer wieder als Quelle herangezogenen Egeria Blicke in die Einleitungen der neuen Fontes-Christiani-Bände (beide von Röwekamp, für die Katechesen immerhin genannt) und zur Frage der Julianzeit das Heranziehen auch der französischsprachigen Forschung (z. B. Braun/Richter) gut getan. Man mag solche Mängel bedauern und sie wenigstens teilweise auf die lange Entstehungszeit des Werkes von insgesamt über 12 Jahren zurückführen. Es handelt sich aber gleichwohl um ein Buch, das unter der leitenden Fragestellung nach der Entwicklung Jerusalems in der Zeit Kyrills die Quellen sorgfältig auswertet und die Ergebnisse der Forschung zielgerichtet zusammenfasst. Man versteht nach der Lektüre des Buches besser, dass die Anerkennung des apostolischen Status’ Jerusalems auf dem Konzil von Chalkedon Abschluss einer von Rückschlägen nicht freien, aber doch letztlich folgerichtigen Entwicklung war (179), in der die Zeit des Epis-kopats Kyrills in vieler Hinsicht einen Höhepunkt bedeutete.